Rechtsprechung KW 41 - 2022

 

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Vorsteuerabzug und Personalabbau
Bezieht der Unternehmer für einen von ihm angestrebten Personalabbau Leistungen von sog. Outplacement-Unternehmen, mit denen unkündbar und unbefristet Beschäftigte individuell insbesondere durch sog. Bewerbungstrainings bei der Begründung neuer Beschäftigungsverhältnisse unterstützt werden sollen, ist der Unternehmer aufgrund eines vorrangigen Unternehmensinteresses zum Vorsteuerabzug berechtigt.

BFH v. 30.06.2022, V R 32/20

Hinweis
Aufgrund wirtschaftlicher Gegebenheiten beabsichtigte die Klägerin, Personal abzubauen. Ihre Mitarbeiter waren allerdings zu einem großen Teil unkündbar und unbefristet beschäftigt. Der Personalabbau konnte daher nur auf freiwilliger Basis mit Zustimmung der betroffenen Mitarbeiter zur Aufhebung ihrer Arbeits- oder Dienstverträge erfolgen. Die Klägerin beauftragte (ebenso wie ihre Organgesellschaften) sog. Outplacement-Unternehmen, die sie bei der Erreichung ihrer Personalabbauziele unterstützten. Diese Unternehmen sollten Mitarbeiter individuell betreuen, fachlich beraten und organisatorisch bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz unterstützen, damit diese freiwillig ihre bisherigen Beschäftigungsverhältnisse aufgaben. Dies umfasste eine Basisberatung, eine Standortanalyse des Mitarbeiters, eine Perspektiv- und Motivationsberatung, Vermittlungstätigkeiten zur Begründung eines neuen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, ein sog. ganzheitliches Placement mit Finanzberatung sowie ein sog. Newplacement mit Beratungsprogramm. Die Kosten trugen die Klägerin und ihre Organgesellschaften. Aus den Leistungen der Outplacement-Unternehmen machte die Klägerin den Vorsteuerabzug geltend, den das FA nur insoweit anerkannte, als er auf die allgemeine Beratung und auf sog. Erfolgspauschalen entfiel. Demgegenüber versagte es den Vorsteuerabzug aus den personenbezogenen Beratungsleistungen, da die von der Klägerin bezogenen Leistungen durch die individuelle Beratung speziell auf die künftige berufliche Entwicklung der Beschäftigten, die individuell mental gestärkt werden sollten, zugeschnitten gewesen seien.

Der BFH hat entschieden, dass der Unternehmer aufgrund eines vorrangigen Unterneh­mensinteresses zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn der Unternehmer für einen von ihm angestrebten Personalabbau Leistungen von sog. Outplacement-Unternehmen, mit denen unkündbar und unbefristet Beschäftigte individuell insbesondere durch sog. Bewerbungstrainings bei der Begründung neuer Beschäftigungsverhältnisse unterstützt werden sollen, bezieht.

Der Unternehmer ist zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Bst. a u. c MwStSystRL) zu verwenden beabsichtigt. Dabei muss der direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz vorliegen, der z. B. zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit bestehen kann. Beabsichtigt der Unternehmer bereits beim Leistungsbezug, die bezogene Leistung nicht für seine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern ausschließlich und unmittelbar für eine unentgeltliche Entnahme i. S. v. § 3 Abs. 9a UStG zu verwenden, ist er allerdings nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend entschieden, dass für die Klägerin ein vorrangiges Unternehmensinteresse bestand, hinter dem das Interesse des Beschäftigten an der Outplacement-Beratung zurücktrat.
 

1.2.Einkommensteuer

Kindergeldrechtliche Ausschlussfrist bei Wanderarbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union
Stellt ein Wanderarbeitnehmer, der die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch im Inland erfüllt, seinen Antrag auf Kindergeld bei der inländischen Familienkasse erst nach Ablauf der in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG vorgesehenen sechsmonatigen Ausschlussfrist, kann sein Auszahlungsanspruch erst abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass weder der Wanderarbeitnehmer selbst noch eine andere berechtigte Person für das betreffende Kind im Heimatland des Kindes einen die Frist wahrenden Antrag auf Kindergeld oder eine vergleichbare ausländische Familienleistung gestellt haben.
Bezieht der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person laufend Familienleistungen für das betreffende Kind, genügt es für einen nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG zu berücksichtigenden Antrag auch, dass der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person gegenüber dem zuständigen Träger des Heimatlandes innerhalb der Sechsmonatsfrist den durch die in Deutschland ausgeübte Tätigkeit entstandenen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzeigt und hierdurch die Durchführung des Koordinierungsverfahrens ermöglicht.

Die Feststellungen zum Vorliegen eines Antrags oder einer Mitteilung beim ausländischen Träger sind durch an diesen gerichtetes Auskunftsersuchen zu treffen. Der Anspruchsteller trägt die Feststellungslast (objektive Beweislast) hinsichtlich der Nichterweislichkeit eines entsprechenden Antrags oder einer entsprechenden Mitteilung.

BFH v. 14.07.2022, III R 28/21

Hinweis
Nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG erfolgt die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Die Vorschrift ist nach § 52 Abs. 50 EStG i. d. F. des SozialMissbrG auf nach dem 18.07.2019 eingehende Kindergeldanträge anzuwenden.

Streitig ist der Kindergeldanspruch des Klägers, der rumänischer Staatsbürger ist und im März 2019 bis Mai 2019 in Deutschland als Wanderarbeiter tätig war. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers hatten das Kindergeld mit Schreiben v. 22.11.2019 beantragt, welches bei der Familienkasse am 25.11.2019 eingegangen ist. Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldfestsetzung für März und April 2019 ab. Eine Auszahlung nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG sei nur sechs Monate rückwirkend vor Antragstellung möglich. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG bleibe von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz im Ergebnis keinen Erfolg.

Der BFH hat entschieden, dass der Auszahlungsanspruch gem. § 70 Abs. 1 S. 2 EStG erst abgelehnt werden kann, wenn festgestellt wird, dass weder der Wanderarbeitnehmer selbst noch eine andere berechtigte Person für das betreffende Kind im Heimatland des Kindes einen die Frist wahrenden Antrag auf Kindergeld oder eine vergleichbare ausländische Familienleistung gestellt haben.

Das FG ist auf der Basis der getroffenen Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Eingreifens der Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG keinen Anspruch auf Auszahlung des Differenzkindergelds für März und April 2019 hat. Zwar ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass der vom Kläger gestellte und am 25.11.2019 bei der Familienkasse eingegangene Antrag die Sechsmonatsfrist für die Monate März und April 2019 nicht wahrt. Das FG hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, ob im Heimatland des Klägers (Rumänien) vom Kläger oder einer anderen berechtigten Person ein diese Frist wahrender Antrag gestellt wurde.

Stellt ein Wanderarbeitnehmer, der die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch im Inland erfüllt, seinen Antrag auf Kindergeld bei der inländischen Familienkasse erst nach Ablauf der in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG vorgesehenen sechsmonatigen Ausschlussfrist, kann sein Auszahlungsanspruch erst abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass weder der Wanderarbeitnehmer selbst noch eine andere berechtigte Person für das betreffende Kind im Heimatland des Kindes einen die Frist wahrenden Antrag auf Kindergeld oder eine vergleichbare ausländische Familienleistung gestellt haben. Bezieht der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person laufend Familienleistungen für das betreffende Kind, genügt es für einen nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG zu berücksichtigenden Antrag auch, dass der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person gegenüber dem zuständigen Träger des Heimatlandes innerhalb der Sechsmonatsfrist den durch die in Deutschland ausgeübte Tätigkeit entstandenen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzeigt und hierdurch die Durchführung des Koordinierungsverfahrens ermöglicht. Die Feststellungen zum Vorliegen eines Antrags oder einer Mitteilung beim ausländischen Träger sind durch an diesen gerichtetes Auskunftsersuchen zu treffen. Der Anspruchsteller trägt die Feststellungslast (objektive Beweislast) hinsichtlich der Nichterweislichkeit eines entsprechenden Antrags oder einer entsprechenden Mitteilung.
 

1.3.Internationales Steuerrecht

Behandlung ausländischer Krankengeldzahlungen und Kapitaleinkünfte im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht und des Progressionsvorbehalts
Für die Berechnung der sog. Wesentlichkeitsgrenzen nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG als Voraussetzung für die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht sind auf der ersten Stufe (Ermittlung des Welteinkommens) Einnahmen, die unter Zugrundelegung deutschen Einkommensteuerrechts grundsätzlich steuerbar, aber ‑ z. B. nach § 3 EStG ‑ steuerfrei wären (hier: aus den Niederlanden stammende Krankengeldzahlungen), nicht einzubeziehen (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 01.10.2014 - I R 18/13, BFHE 247, 388, BStBl. II 2015, 474). Solche Einnahmen sind aber ggf. im Rahmen der Bemessung des Progressionsvorbehalts zur Berechnung des besonderen Steuersatzes nach § 32b EStG zu berücksichtigen.

Bei der Bemessung des Progressionsvorbehalts bleiben ausländische Kapitaleinkünfte außer Betracht, die bei einem inländischen Sachverhalt der Abgeltungsteuer unterliegen würden (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 12.08.2015 - I R 18/14, BFHE 251, 182, BStBl. II 2016, 201).

BFH v. 01.06.2022, I R 3/18

Hinweis
Nach § 1 Abs. 3 S. 1 EStG werden auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG haben. Dies gilt nach Satz 2 Hs. 1 der Vorschrift nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sog. relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG nicht übersteigen (sog. absolute Wesentlichkeitsgrenze). Durch das Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150, BStBl. I 2008, 218) wurde § 1 Abs. 3 EStG um einen Satz 4 ergänzt, nach welchem bei der Ermittlung der Einkünfte nach Satz 2 nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind, unberücksichtigt bleiben.

Der Kläger ist als Erbe Rechtsnachfolger seiner 2013 verstorbenen Schwester. Diese wohnte in den Niederlanden und erzielte im Streitjahr (2012) in Deutschland Einkünfte aus selbständiger Arbeit. In den Niederlanden erzielte sie im Streitjahr Zinseinkünfte und erhielt Krankengeld des niederländischen Sozialversicherungsträgers Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen (UWV).

Das Krankengeld und die Kapitaleinkünfte wurden vom niederländischen Fiskus besteuert. Der Kläger beantragte beim FA seine Schwester im Rahmen der sog. fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln. Das FA kam nach einer Außenprüfung zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG für das Streitjahr nicht vorlägen, weil die niederländischen Krankengeldzahlungen bei der Prüfung der sog. Wesentlichkeitsgrenzen des § 1 Abs. 3 S. 2 EStG als ausländische Einkünfte zu berücksichtigen seien. Es besteuerte die inländischen Einkünfte daher unter Annahme der beschränkten Steuerpflicht der Schwester.

Der BFH hat entschieden, dass Einnahmen, die unter Zugrundelegung deutschen Einkommensteuerrechts grundsätzlich steuerbar, aber z. B. nach § 3 EStG steuerfrei wären, nicht einzubeziehen sind. Bei der Bemessung des Progressionsvorbehalts bleiben ausländische Kapitaleinkünfte außer Betracht, die bei einem inländischen Sachverhalt der Abgeltungsteuer unterliegen würden.

Die Schwester war im Streitjahr wegen fehlenden Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland nicht i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig. Grundsätzlich wären die von ihr erzielten inländischen Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zu besteuern (§ 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Art. 9 Abs. 1 DBA NL weist das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte dem Tätigkeitsstaat (Deutschland) zu.

Die Berücksichtigung des Krankengelds im Rahmen des Progressionsvorbehalts folgt aus § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG. Nach dieser Vorschrift sind Einkünfte, die bei Anwendung von § 1 Abs. 3 EStG bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens unberücksichtigt bleiben, weil sie nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen, in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen. Anders als bei der Berechnung der Wesentlichkeitsgrenzen nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG ist die hypothetische Steuerfreiheit der Krankengeldbezüge bei Anwendung deutschen Einkommensteuerrechts nach § 3 Nr. 1 Bst. a EStG für den Bereich des Progressionsvorbehalts kein Grund, diese Einkünfte unberücksichtigt zu lassen. Der Progressionsvorbehalt zielt vielmehr gerade darauf ab, solche Einkünfte in die Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs einzubeziehen, die aufgrund ihrer Steuerfreiheit nicht in die steuerliche Bemessungsgrundlage eingehen. Das zeigt sich z. B. an § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Bst. b EStG, der das auf der Grundlage des SGB V gewährte Krankengeld in den Progressionsvorbehalt einbezieht. Dieses Verständnis steht zudem im Einklang damit, dass der Gesetzgeber nach Einfügung des § 3 Nr. 2 Bst. e EStG n.F., der die Tatbestände der Steuerfreiheit gem. § 3 Nr. 1 bis 2 Bst. d EStG ab 2015 auf entsprechende Leistungen ausländischer Rechtsträger mit Sitz in EU/EWR-Staaten ausgedehnt hat, die entsprechenden ausländischen Leistungen gem. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Bst. k EStG n.F. in den Progressionsvorbehalt einbezieht.
 

1.4.Sonstiges

Gewerbesteuerrechtliches Schachtelprivileg bei doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften
Zu den inländischen Kapitalgesellschaften i. S. d. § 9 Nr. 2a GewStG gehören auch Kapitalgesellschaften, die ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben.

BFH v. 28.06.2022, I R 43/18

Hinweis
§ 8 Nr. 5 GewStG regelt u. a. die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung von Gewinnanteilen aus Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, die bei der Ermittlung des körperschaftsteuerlichen Gewinns aus Gewerbebetrieb nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz geblieben sind (abzüglich nicht abziehbarer Aufwendungen nach § 8b Abs. 5 KStG).

Allerdings ist eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG ausgeschlossen, soweit die Gewinnanteile die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder 7 GewStG erfüllen. § 9 Nr. 2a GewStG gilt u. a. für Gewinne aus Anteilen an einer nicht steuerbefreiten inländischen Kapitalgesellschaft i. S. d. § 2 Abs. 2 GewStG, wenn die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens 15 % des Grund- oder Stammkapitals beträgt und die Gewinnanteile bei Ermittlung des Gewinns (§ 7 GewStG) angesetzt worden sind. Gleiches gilt gem. § 9 Nr. 7 GewStG für die Gewinne aus Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, wenn die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens 15 % des Nennkapitals beträgt und die Gewinnanteile bei der Ermittlung des Gewinns (§ 7) angesetzt worden sind.

Die Klägerin ist eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland. Ihr Unternehmensgegenstand ist die Verwaltung eigenen Vermögens, insbesondere der Erwerb und die Verwaltung eigenen Grundbesitzes sowie die Beteiligung an in- und ausländischen Gesellschaften, die Grundbesitz erwerben und verwalten. Im Jahr 2009 (streitiger Erhebungszeitraum) war die Klägerin Alleingesellschafterin der B-BVBA, einer Gesellschaft mit Sitz in Belgien. Die B-BVBA ist nach den Grundsätzen des sog. Rechtstypenvergleichs als Kapitalgesellschaft einzuordnen. Die B-BVBA war ihrerseits zu 14 % am Stammkapital einer mexikanischen Kapitalgesellschaft (M-CV) beteiligt, die im streitigen Erhebungszeitraum Gewinn an die B-BVBA ausschüttete. Die B-BVBA schüttete diesen Betrag noch im streitigen Erhebungszeitraum ohne Abschlag weiter an die Klägerin aus. Das FA ermittelte den Gewerbeertrag und den vortragsfähigen Gewerbeverlust antragsgemäß unter Hinzurechnung von 95 % der Gewinnausschüttung der B-BVBA gem. § 8 Nr. 5 GewStG i. V. m. § 8b Abs. 1 u. 5 KStG. Auf dieser Grundlage setzte das FA den Gewerbesteuermessbetrag für 2009 und den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2009 fest. Die entsprechenden Bescheide standen gem. § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Den Antrag der Klägerin, diese Bescheide dahin zu ändern, dass die Hinzurechnung gem. § 9 Nr. 7 GewStG wieder gekürzt wird, lehnte das FA ab. Ein Einspruch blieb erfolglos.

Der BFH hat entschieden, dass zu den inländischen Kapitalgesellschaften i. S. d. § 9 Nr. 2a GewStG auch Kapitalgesellschaften gehören, die ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben.

Eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG ist ausgeschlossen, soweit die Gewinnanteile die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder 7 GewStG erfüllen.

Das FG hat in den Senat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass die Geschäftsleitung der B-BVBA im streitigen Erhebungszeitraum in Deutschland lag, die B-BVBA keinen aktiven Tätigkeiten i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG nachging und sie zu weniger als 15 % an der mexikanischen M-CV beteiligt war. Auf Grundlage dieser Feststellungen hat das FG zutreffend entschieden, dass keine der Tatbestandsalternativen des § 9 Nr. 7 GewStG vorlag. Dies gilt auch für § 9 Nr. 7 S. 1 Hs. 2 GewStG, der tatbestandlich erfordert, dass Sitz und Geschäftsleitung der B-BVBA im anderen Mitgliedstaat belegen wären. Die Entscheidung des FG, stattdessen § 9 Nr. 2a GewStG anzuwenden, ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern. Auf der Grundlage der bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) liegen die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a GewStG grundsätzlich vor. Insbesondere ist die B-BVBA nach dem sog. Rechtstypenvergleich als Kapitalgesellschaft einzuordnen. Da die Klägerin im streitigen Erhebungszeitraum zu 100 % an der B-BVBA beteiligt war, ist auch die Mindestbeteiligungsquote überschritten. Darüber hinaus erfüllte die B-BVBA als doppelt ansässige Gesellschaft mit Sitz in Belgien und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland die Voraussetzungen einer „inländischen“ Kapitalgesellschaft i. S. d. § 9 Nr. 2a GewStG. Die Einbeziehung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften in den Anwendungsbereich des § 9 Nr. 2a GewStG ist umstritten. Während ein Teil der Literatur die Voraussetzung einer inländischen Kapitalgesellschaft zumindest bei denjenigen Gesellschaften bejaht, die - wie die B-BVBA - ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben, fordert ein anderer Teil der Literatur einen doppelten Inlandsbezug, d. h. Sitz und Ort der Geschäftsleitung müssen sich im Inland befinden. Das FG hat sich zu Recht der zuerst genannten Auffassung angeschlossen.

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