Rechtsprechung KW 40 - 2022

 

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Steuerfreie Heilbehandlung
Die isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen ist jedenfalls dann gemäß § 4 Nr. 14 Bst. a UStG steuerfrei, wenn sie im Rahmen eines therapeutischen Kontinuums mit einer Kryokonservierung erfolgt, bei dem Einlagerung und Kryokonservierung zwar durch zwei unterschiedliche Unternehmer durchgeführt werden, für die aber dieselben Ärzte tätig sind.

BFH v. 07.07.2022, V R 10/20

Hinweis
§ 4 Nr. 14 Bst. a UStG befreit die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden“. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Bst. c MwStSystRL.

Im Streitfall war eine Gesellschaft im Bereich der Kryokonservierung zum Zweck der medizinisch indizierten künstlichen Befruchtung in Fällen tätig, in denen eine organisch bedingte Sterilität bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorlag. Die vorgehende bzw. sich anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung wurde zwar von einem anderen Unternehmen durchgeführt. Allerdings waren für beide Unternehmen dieselben Personen tätig. Während das Finanzamt die Einlagerung der eingefrorenen Eizellen als umsatzsteuerpflichtig ansah, nahm das FG steuerfreie Heilbehandlung an.
Der BFH hat entschieden, dass die isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen jedenfalls dann gem. § 4 Nr. 14 Bst. a UStG steuerfrei ist, wenn sie im Rahmen eines therapeutischen Kontinuums mit einer Kryokonservierung erfolgt, bei dem Einlagerung und Kryokonservierung zwar durch zwei unterschiedliche Unternehmer durchgeführt werden, für die aber dieselben Ärzte tätig sind.

Der BFH bestätigte die Entscheidung des FG. Zur Begründung verweist er darauf, dass er bereits in der Vergangenheit entschieden habe, dass die weitere Lagerung von im Rahmen einer Fruchtbarkeitsbehandlung eingefrorenen Eizellen durch einen Arzt gegen ein vom Patienten gezahltes Entgelt umsatzsteuerfrei ist, wenn damit ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, wie er z. B. bei der Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft im Hinblick auf eine andauernde organisch bedingte Sterilität besteht. Ergänzend führt er aus, dass auch die isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen umsatzsteuerfrei ist. Der BFH wendet sich damit gegen eine von der Finanzverwaltung vorgenommene Unterscheidung zwischen einer „weiteren Lagerung“ und einer „bloßen Lagerung“, wobei die Finanzverwaltung für den Fall der bloßen Lagerung eine zur Steuerpflicht führende Regelvermutung aufstellt. Für den BFH ist maßgeblich, dass es in beiden Fällen gleichermaßen um eine Lagerung als umsatzsteuerrechtlich eigenständige Leistung geht. Dass in Bezug auf die Fruchtbarkeitsbehandlung und die Einlagerung Leistungen zweier unterschiedlicher Unternehmer vorlagen, sieht der BFH jedenfalls dann als unerheblich an, wenn für die beiden Unternehmer dieselben Personen tätig sind.
 

1.2.Einkommensteuer

Bewertung der Einlage einer GmbH-Beteiligung bei Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto
Die Einlage eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft ist mit den Anschaffungskosten zu bewerten, wenn der Steuerpflichtige an der Gesellschaft im Zeitpunkt der Einlage wesentlich i. S. von § 17 EStG beteiligt ist (Bestätigung des BFH-Urteils vom 05.06.2008 - IV R 73/05, BFHE 222, 277, BStBl. II 2008, 965).
 
Bei der Bewertung ist auch der Wertzuwachs zu erfassen, der sich im Privatvermögen zu einer Zeit gebildet hat, als der Anteilsinhaber noch nicht wesentlich beteiligt war.

Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft aus dem steuerlichen Einlagekonto sind bei dem gewerblich tätigen Gesellschafter im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs erfolgswirksam zu erfassen, soweit sie die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigen.
BFH v. 30.06.2022, IV R 19/18

Hinweis
Einlagen sind grundsätzlich mit dem Teilwert zu bewerten, den das Wirtschaftsgut im Zeitpunkt seiner Zuführung zum Betriebsvermögen hat (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Hs. 1 EStG). Der Einlagewert ist jedoch auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts zu begrenzen, wenn es sich um einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft handelt, an der der Steuerpflichtige i. S. d. § 17 Abs. 1 (oder heute Abs. 6) EStG beteiligt ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Hs. 2 Bst. b EStG).

Streitig ist u. a., ob eine in das Betriebsvermögen eingelegte wesentliche Beteiligung auch dann mit den insgesamt aufgewendeten Anschaffungskosten zu bewerten ist, wenn der Anteilseigner zu einer Zeit, als die im Privatvermögen gehaltene Beteiligung die seinerzeit geltende Wesentlichkeitsgrenze noch nicht überschritten hatte, Ausschüttungen aus dem EK 04 bezogen hat.

Der BFH hat entschieden, dass die Einlage eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit den Anschaffungskosten zu bewerten ist, wenn der Steuerpflichtige an der Gesellschaft im Zeitpunkt der Einlage wesentlich i. S. v. § 17 EStG beteiligt ist. Bei der Bewertung ist auch der Wertzuwachs zu erfassen, der sich im Privatvermögen zu einer Zeit gebildet hat, als der Anteilsinhaber noch nicht wesentlich beteiligt war. Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft aus dem steuerlichen Einlagekonto sind bei dem gewerblich tätigen Gesellschafter im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs erfolgswirksam zu erfassen, soweit sie die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigen.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des BFH die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG, wonach Bezüge nicht zu den Einnahmen gehören, soweit sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. d. § 27 KStG als verwendet gelten, sich im Bereich der gewerblichen Einkünfte auch als eine den Anschaffungskostenbegriff des § 6 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 17 Abs. 2 EStG ergänzende Bewertungsvorschrift auswirkt, die sicherstellt, dass alle stillen Reserven, die sich in der Beteiligung gebildet haben - aber auch nur diese -, steuerlich erfasst werden. Weiterhin ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft aus dem steuerlichen Einlagekonto (§ 27 KStG; bereits im früheren Anrechnungsverfahren wurden die nicht das Nennkapital erhöhenden Einlagen im Rahmen der sog. Gliederungsrechnung als „EK 04“ festgestellt) bei dem gewerblich tätigen Gesellschafter im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs erfolgswirksam zu erfassen sind, soweit sie die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigen. Das FG hat auch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu Recht entschieden, dass auch Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. d. § 27 KStG bzw. aus dem EK 04, die in der Zeit vor dem Überschreiten der im Streitfall maßgeblichen Wesentlichkeitsgrenze von 25 % erfolgt sind, zu einer Minderung der Anschaffungskosten der in das Gesamthandsvermögen der Klägerin eingelegten GmbH-Beteiligung führen und damit bei der Ermittlung des Einlagewerts der Beteiligung nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Hs. 2 Bst. b EStG zu berücksichtigen sind. Nach den vorstehend ausgeführten Maßstäben ist die Einlage der streitbefangenen Kapitalbeteiligung nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Hs. 2 Bst. b EStG zu bewerten, denn auch unter Zugrundelegung der im Jahr 1998 gültigen Wesentlichkeitsgrenze von 25 % wurde diese seit dem Erwerb weiterer Anteile am 21.12.1998 und damit innerhalb der maßgeblichen Fünfjahresfrist vor dem Zeitpunkt der Einlage (23.12.2004) überschritten.

Sämtliche Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. d. § 27 KStG bzw. aus dem EK 04 in der Zeit zwischen „ursprünglicher“ Anschaffung und dem Zeitpunkt der Einlage der Beteiligung in das Gesamthandsvermögen der Klägerin führen zu Minderungen der Anschaffungskosten der Beteiligung und damit zu einem entsprechend geminderten Einlagewert. Die von der Klägerin behauptete Privilegierung für die Zeit, in der der Anteilseigner (noch) nicht wesentlich i. S. d. § 17 EStG beteiligt ist, besteht nicht.


Anrechnung eigener Einkünfte der unterhaltenen Person beim Abzug von Unterhaltsaufwendungen gemäß § 33a Abs. 1 EStG
Anrechenbare Einkünfte i. S. des § 33a Abs. 1 S. 5 EStG sind die nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 2 EStG.

Negative Einkünfte der unterhaltenen Person mindern die gemäß § 33a Abs. 1 S. 5 EStG anrechenbaren Ausbildungshilfen ‑ hier BAföG-Zuschüsse ‑ nicht.

BFH v. 08.06.2022, VI R 45/20

Hinweis
Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird gemäß § 33a Abs. 1 S. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 8.820 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Der Höchstbetrag nach dieser Vorschrift erhöht sich gem. § 33a Abs. 1 S. 2 EStG um den Betrag der im jeweiligen Veranlagungszeitraum nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG für die Absicherung der unterhaltsberechtigten Person aufgewandten Beiträge; dies gilt nicht für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die bereits nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG anzusetzen sind. Voraussetzung ist nach § 33a Abs. 1 S. 4 EStG ferner, dass weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder auf Kindergeld für die unterhaltene Person hat und die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt. Hat die unterhaltene Person andere Einkünfte oder Bezüge, so vermindert sich die Summe der nach § 33a Abs. 1 S. 1 u. S. 2 EStG ermittelten Beträge gemäß § 33a Abs. 1 S. 5 EStG um den Betrag, um den diese Einkünfte und Bezüge den Betrag von 624 € im Kalenderjahr übersteigen, sowie um die von der unterhaltenen Person als Ausbildungshilfe aus öffentlichen Mitteln oder von Förderungseinrichtungen, die hierfür öffentliche Mittel erhalten, bezogenen Zuschüsse.

Die im Streitjahr 2017 zusammenveranlagten Kläger haben eine im Jahr 1988 geborene Tochter. T studierte in X und wohnte dort in einer den Klägern gehörenden Wohnung. Im Streitjahr erhielt sie Zuschüsse nach dem BAföG in Höhe von 4.020 €. Daneben bezog sie aus einem geringfügigen Arbeitsverhältnis Arbeitslohn in Höhe von 1.830 €. Im Einkommensteuerbescheid der T waren außerdem Werbungskosten in Höhe von 2.180 € angesetzt, so dass sich für das Streitjahr negative Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 350 € (1.830 € ./. 2.180 €) ergaben. In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger Unterhaltsaufwendungen an T in Höhe von 9.920 € gem. § 33a Abs. 1 EStG geltend. Sie gaben an, Unterhaltsleistungen in Höhe von über 8.820 € in Form von Sachleistungen (Wohnungsüberlassung, Ernährung, Kleidung, Hausrat) sowie in Höhe von 1.100 € durch Übernahme von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung der T geleistet zu haben. Das FA erkannte Unterhaltsleistungen i. H. v. 6.079 € an. Hierbei berücksichtigte es die Verluste der T aus nichtselbständiger Arbeit nicht. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Nach Auffassung der Richter habe das FA bei der Berechnung des nach § 33a Abs. 1 S. 5 EStG maßgeblichen Kürzungsbetrags die von T erhaltenen BAföG-Zuschüsse zu Unrecht nicht mit den negativen Einkünften der T aus nichtselbständiger Arbeit saldiert. Daher seien weitere Unterhaltsleistungen der Kläger in Höhe von 350 € steuermindernd anzuerkennen.
 
Der BFH hat entschieden, dass anrechenbare Einkünfte i. S. d. § 33a Abs. 1 S. 5 EStG die nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Einkünfte i. S. d. § 2 Abs. 2 EStG sind. Negative Einkünfte der unterhaltenen Person mindern die gem. § 33a Abs. 1 S. 5 EStG anrechenbaren Ausbildungshilfen - hier BAföG-Zuschüsse - nicht.

Die negativen Einkünfte der T mindern die gem. § 33a Abs. 1 S. 5 EStG anzurechnenden BAföG-Zuschüsse nicht. § 33a Abs. 1 S. 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung unterscheidet zwischen Einkünften und Bezügen einerseits und den Ausbildungszuschüssen andererseits. Erstere sind nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut auf den Unterhaltshöchstbetrag erst bei Überschreiten des Betrags von 624 € anzurechnen. Ausbildungszuschüsse sind dagegen ohne Einschränkung und damit in voller Höhe anzurechnen (Grundsatz der Vollanrechnung). Dieses aus dem Gesetzeswortlaut gewonnene Auslegungsergebnis steht in Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. In der Begründung des Gesetzentwurfs zur Neufassung des § 33a Abs. 1 S. 3 EStG a.F. durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz, der insoweit § 33a Abs. 1 S. 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung entspricht, wird ausdrücklich ausgeführt, dass Ausbildungsbeihilfen aus öffentlichen Mitteln künftig auch beim Abzug zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ohne Berücksichtigung eines anrechnungsfreien Betrags auf die abziehbaren Höchstbeträge angerechnet werden sollen. Danach können auch negative Einkünfte nur zur Minderung im Grundsatz anzurechnender Einkünfte oder Bezüge genutzt werden, nicht aber zur Minderung anrechenbarer Ausbildungszuschüsse. Insoweit wird zudem eine sonst mögliche doppelte staatliche Förderung durch die Ausbildungszuschüsse einerseits und die Steuerentlastung andererseits vermieden.
 

1.3.Internationales Steuerrecht

Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen
Die von Deutschland abgeschlossenen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen, so dass sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm eines dieser Abkommen gewährt.

Die Verpflichtung Deutschlands zur Freistellung bestimmter Einkünfte aufgrund eines DBA (hier: DBA-Schweiz 1971/2010) wird daher in einer Dreieckskonstellation nicht dadurch beeinträchtigt, dass nach dem mit einem weiteren Staat bestehenden DBA (hier: DBA-Frankreich 1959/2001) das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte (als sog. Drittstaateneinkünfte) Deutschland zugewiesen wird.

BFH v. 01.06.2022, I R 30/18

Hinweis
Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden (§ 50d Abs. 8 S. 1 EStG).

Die Beteiligten streiten in einem abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalt über das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Jahren 2012 und 2013 (Streitjahre) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befand sich in ihrer gemeinsamen Wohnung in Deutschland. Der Kläger war seit dem 01.09.2012 in der Schweiz als Altenpfleger tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Anlässlich der Aufnahme dieser Tätigkeit bezog er eine Zweitwohnung in Frankreich, von der aus er arbeitstäglich zu seiner wenige Kilometer entfernten Arbeitsstätte in der Schweiz pendelte.

Den Arbeitslohn versteuerte der Kläger in Frankreich. Die Schweiz erhob hierauf keine Steuern. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre setzten die Kläger den Arbeitslohn des Klägers auf Grundlage des DBA-Schweiz 1971/2010 als steuerfreie Einkünfte an. Das FA folgte dem nicht und unterwarf diese Einkünfte in den Einkommensteuerbescheiden für 2012 und 2013 der inländischen Besteuerung. Die Einsprüche der Kläger blieben erfolglos.

Der BFH hat entschieden, dass die von Deutschland abgeschlossenen DBA grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander stehen und jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen sind, so dass sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm eines dieser Abkommen gewährt.

Das FG hat zu Recht entschieden, dass der in der Schweiz erzielte Arbeitslohn des Klägers gem. Art. 15 Abs. 1 i. V. m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Bst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freizustellen ist und lediglich dem Progressionsvorbehalt unterliegt. Die Kläger sind aufgrund ihrer inländischen Wohnung unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 8 AO). Daraus folgt, dass der Kläger aus seiner Tätigkeit als Altenpfleger steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. d. § 19 EStG erzielte. Da er seine Tätigkeit in der Schweiz ausübte, sind diese Einkünfte grundsätzlich nach Art. 15 Abs. 1 i. V. m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Bst. d DBA-Schweiz 1971/2010 von der deutschen Besteuerung freizustellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen (§ 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 DBA-Schweiz 1971/2010). Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unilateralen Rückfallklausel sind nicht erfüllt. Dies gilt sowohl für § 50d Abs. 8 EStG als auch für § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 und 2 EStG. Darüber hinaus ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass auch die abkommensrechtliche Dreieckskonstellation eine Besteuerung in Deutschland nicht rechtfertigt. Die Dreieckskonstellation ergibt sich im Streitfall daraus, dass der Kläger sowohl in Deutschland als auch in Frankreich einen Wohnsitz hat, seine Einkünfte aber aus dem Quellenstaat Schweiz bezieht. Bei isolierter Betrachtung der jeweiligen DBA steht das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 dem Quellenstaat Schweiz, nach dem DBA-Schweiz/ Frankreich Frankreich (Grenzpendlerregelung) und nach dem DBA-Frankreich 1959/2001 Deutschland zu.

Entgegen der Auffassung des FA kann die Zuweisung des Besteuerungsrechts an Deutschland durch das DBA-Frankreich 1959/2001 die Steuerfreistellung für den Arbeitslohn des Klägers nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 nicht aufheben. Die Verteilungsnormen der von Deutschland abgeschlossenen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen. Die Verpflichtung Deutschlands zur Freistellung bestimmter Einkünfte aufgrund eines DBA (hier: DBA-Schweiz 1971/2010) wird daher in einer Dreieckskonstellation nicht dadurch beeinträchtigt, dass nach dem mit einem weiteren Staat bestehenden DBA (hier: DBA-Frankreich 1959/2001) das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte (als sog. Drittstaateneinkünfte) Deutschland zugewiesen wird.
 

1.4.Sonstiges

Grunderwerbsteuer bei Erwerb forstwirtschaftlich genutzter Waldflächen
Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer sind diejenigen Leistungen, die für den Erwerb des Grundstücks im Sinne des bürgerlichen Rechts zu erbringen sind. Eine Gegenleistung für Scheinbestandteile gehört nicht zur Bemessungsgrundlage.

Gehölze sind Scheinbestandteile, wenn bereits zum Zeitpunkt von Aussaat oder Pflanzung vorgesehen war, sie wieder von dem Grundstück zu entfernen. Dazu können auch Forstbäume zählen.

BFH v. 25.01.2022, II R 36/19
 
Hinweis
Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als Gegenleistung der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen.

Der Kläger unterhält einen forstwirtschaftlichen Betrieb. Er pflegte kontinuierlich forstlich bewirtschaftete Flächen zu erwerben, um fällreife Bäume abzuholzen und entsprechend neue Bäume anzupflanzen. Im Jahre 2018 erwarb er mit einem einheitlichen Vertrag von derselben Veräußerin mehrere Waldgrundstücke in verschiedenen Gemeinden. Der wertvollste Bestand an Grundstücken war im Zuständigkeitsbereich des beklagten FA belegen. Auch bei diesen Grundstücken hatte zum Zeitpunkt der Aufforstung bereits festgestanden, dass die gepflanzten Bäume bei Hiebreife abgeholzt werden sollten. Zum Ankaufszeitpunkt wiesen die Flächen teilweise hiebreife Bestände auf. Vom Gesamtkaufpreis in Höhe von 105.000 € sollte ein Teilbetrag in Höhe von 73.500 € auf den „Aufwuchs“ und ein Teilbetrag in Höhe von 31.500 € auf den Grund und Boden entfallen. Das FA stellte für die einzelnen Grundstücke die jeweilige Gegenleistung, insgesamt in Höhe von 105.000 € gesondert fest. Das FA begründete seine Entscheidung mit dem Hinweis, dass der Wald wesentlicher Bestandteil des jeweiligen Grundstücks i. S. v. § 94 BGB sei. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der sich der Kläger gegen die Einbeziehung des Kaufpreisanteils für den Aufwuchs in die Gegenleistung wandte, hatte Erfolg.

Der BFH hat entschieden, dass Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer diejenigen Leistungen sind, die für den Erwerb des Grundstücks im Sinne des bürgerlichen Rechts zu erbringen sind. Eine Gegenleistung für Scheinbestandteile gehört nicht zur Bemessungsgrundlage.

Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als Gegenleistung der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Danach gehören zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung (Bemessungsgrundlage) alle Leistungen des Erwerbers, die dieser nach den vertraglichen Vereinbarungen gewährt, um das Grundstück zu erwerben. Soweit sich ein Kaufvertrag auch auf Gegenstände bezieht, die kein Grundstück sind, gehören die hierauf entfallenden Teile des Kaufpreises nicht zur grunderwerbsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage, denn es können nur solche Leistungsverpflichtungen des Erwerbers Gegenleistung sein, die er um des Grundstückserwerbs willen zu erbringen hat. Unter Grundstück im Sinne des GrEStG ist das Grundstück im Sinne des bürgerlichen Rechts zu verstehen (§ 2 Abs. 1 S. 1 GrEStG). Ob Gehölze zum Grundstück zählen, hängt davon ab, zu welchem Zweck die Aussaat bzw. das Einpflanzen des Gehölzes erfolgt ist. Zu den Bestandteilen eines Grundstücks gehören solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind (§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB), die sog. Scheinbestandteile. Gehölze sind Scheinbestandteile, wenn bereits zum Zeitpunkt von Aussaat oder Pflanzung vorgesehen war, sie wieder von dem Grundstück zu entfernen. Dazu können auch Forstbäume zählen. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend entschieden, dass nur der auf den Grund und Boden entfallende Kaufpreisanteil Gegenleistung für den Grundstückserwerb ist. Der Kaufpreisanteil für die aufstehenden Bäume wurde nicht für den Erwerb des Grundstücks geleistet, da die Bäume als Scheinbestandteile nicht Teil des Grundstücks waren. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG waren die Bäume bereits bei Pflanzung zur Abholzung und damit zur Entfernung von dem Grundstück bestimmt.
 

2.Verwaltungsanweisungen

2.1.Verfahrensrecht

Berücksichtigung der gestiegenen Energiekosten als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine
Das BMF hat im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder ein Schreiben erlassen, nach dem die Finanzämter die ihnen gesetzlich zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume im Interesse der erheblich betroffenen Steuerpflichtigen nutzen sollen. Ohne strenge Nachweispflichten sollen im Einzelfall auf Antrag fällige Steuern gestundet, Vor­auszahlungen zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer angepasst werden sowie Vollstreckungsaufschub gewährt werden.

BMF v. 05.10.2022

In jedem Einzelfall ist unter Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, inwieweit ggf. die Voraussetzungen für eine steuerliche Billigkeitsmaßnahme vorliegen. Die Finanzämter schöpfen den ihnen hierbei zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum verantwortungsvoll aus.

Bei der Nachprüfung der Voraussetzungen sind bei bis zum 31.03.2023 eingehenden Anträgen keine strengen Anforderungen zu stellen.

Über Anträge auf Billigkeitsmaßnahmen oder Anpassung der Vorauszahlungen unter Einbeziehung der aktuellen Situation soll zeitnah entschieden werden. Auch eine rückwirkende Herabsetzung von Vorauszahlungen für das Jahr 2022 ist im Rahmen der Ermessensentscheidung möglich.

Auf die Erhebung von Stundungszinsen kann im Einzelfall aus Billigkeitsgründen verzichtet werden. Voraussetzung hierfür ist u. a., dass der Steuerpflichtige seinen steuerlichen Pflichten, insbesondere seinen Zahlungspflichten, bisher pünktlich nachgekommen ist und er in der Vergangenheit nicht wiederholt Stundungen und Vollstreckungsaufschübe in Anspruch genommen hat, wobei Billigkeitsmaßnahmen aufgrund der Corona-Krise nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. In diesen Fällen kommt ein Verzicht auf Stundungszinsen in der Regel in Betracht, wenn die Billigkeitsmaßnahme für einen Zeitraum von nicht mehr als drei Monaten gewährt wird.

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