Rechtsprechung KW 39 - 2022

 

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Flankenschutzprüfer
Die unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. Flankenschutzprüfer zur Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren ist wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig, wenn der Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige der Ortsbesichtigung zustimmt und deshalb kein schwerer Grundrechtseingriff in Art. 13 Abs. 1 GG vorliegt.

BFH v. 12.07.2022, VIII R 8/19

Hinweis
Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt nach § 88 Abs. 1 AO von Amts wegen. Sie bedient sich dabei gem. § 92 S. 1 AO der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann insbesondere Auskünfte jeder Art von den Beteiligten und anderen Personen einholen, Sachverständige zuziehen, Urkunden und Akten beiziehen, den Augenschein einnehmen (§ 92 S. 2 Nr. 1 – 4 AO).

Eine selbständige Unternehmensberaterin machte in ihrer Einkommensteuererklärung erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Auf Nachfrage des FA reichte sie eine Skizze der Wohnung ein, die der Sachbearbeiter des FA aber für klärungsbedürftig hielt. Er bat den Flankenschutzprüfer um Besichtigung der Wohnung. Dieser erschien unangekündigt an der Wohnungstür der Steuerpflichtigen, wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung. Die Steuerpflichtige hat der Besichtigung nicht widersprochen. Der BFH hat entschieden, dass eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. Flankenschutzprüfer zur Überprüfung der Angaben der Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer rechtswidrig ist, wenn die Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt.

Der BFH urteilte, dass die Besichtigung rechtswidrig war. Zur Überprüfung der Angaben zum häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren ist angesichts des in Art. 13 Abs. 1 GG verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung eine Besichtigung in der Wohnung eines mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen erst dann erforderlich, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel (z. B. Fotografien) nicht mehr sachgerecht aufgeklärt werden können. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerpflichtige - so wie im Streitfall - der Besichtigung zugestimmt hat und deshalb ein schwerer Grundrechtseingriff nicht vorliegt. Wie der BFH weiter ausführte, war die Ermittlungsmaßnahme auch deshalb rechtswidrig, weil sie von einem Steuerfahnder und nicht von einem Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde. Denn das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen kann dadurch gefährdet werden, dass zufällig anwesende Dritte (z. B. Besucher oder Nachbarn) glauben, dass beim Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird.
 

1.2.Umsatzsteuer

Fahrzeugüberlassung an Arbeitnehmer zu privaten Zwecken als tauschähnlicher Umsatz
Der für einen steuerbaren Umsatz erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Fahrzeugüberlassung an einen Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen zu privaten Zwecken und der (teilweisen) Arbeitsleistung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Fahrzeugüberlassung individuell arbeitsvertraglich vereinbart ist und tatsächlich in Anspruch genommen wird (Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Finanzamt Saarbrücken vom 20.01.2021 - C-288/19, EU:C:2021:32).

BFH v. 30.06.2022, V R 25/21

Hinweis
Ein Tausch liegt vor, wenn das Entgelt für eine Lieferung in einer Lieferung besteht (§ 3 Abs. 12 S. 1 UStG). Ein tauschähnlicher Umsatz liegt vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung besteht (§ 3 Abs. 12 S. 2 UStG).

Streitig ist, inwieweit eine Fahrzeugüberlassung an Arbeitnehmer zu privaten Zwecken als Inlandsleistung umsatzsteuerpflichtig ist: Die Klägerin ist eine AG mit Sitz und Geschäftsleitung in Luxemburg. Sie überließ ihren beiden in Deutschland wohnenden Angestellten PS (in 2013 und 2014) und FL (ab Februar 2014) jeweils ein von ihr geleastes Firmenfahrzeug, welches PS und FL privat nutzen durften. Mit PS vereinbarte die Klägerin eine Eigenbeteiligung von 2.640 € jährlich, die sie aufgrund einer vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht einforderte. Vom Gehalt des FL behielt die Klägerin 5.688 € ein, da die für das Dienstfahrzeug zu zahlende Leasingrate insoweit das mit dem Mitarbeiter für die Überlassung von Dienstwagen vereinbarte Budget (700 €) überschritt. Zudem bestand eine gesonderte Dienstwagenvereinbarung.

In Luxemburg wurde weder die Fahrzeugüberlassung besteuert noch kam es dort zu einem Vorsteuerabzug. Die Klägerin ließ sich in Deutschland umsatzsteuerlich registrieren und meldete hinsichtlich der Überlassung der Fahrzeuge steuerpflichtige sonstige Leistungen zur Umsatzsteuer an. Hiergegen wurde Einspruch und Klage eingereicht.

Der BFH hat entschieden, dass der für einen steuerbaren Umsatz erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Fahrzeugüberlassung an einen Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen zu privaten Zwecken und der (teilweisen) Arbeitsleistung jedenfalls dann vorliegt, wenn die Fahrzeugüberlassung individuell arbeitsvertraglich vereinbart ist und tatsächlich in Anspruch genommen wird.

Das FG hat rechtsfehlerhaft einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Fahrzeugüberlassung und der teilweisen Arbeitsleistung im Rahmen eines tauschähnlichen Umsatzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 3 Abs. 12 S. 2 UStG) verneint. Der unmittelbare Zusammenhang ergibt sich regelmäßig daraus, dass die Nutzungsüberlassung im Rahmen eines Anstellungsvertrags individuell vereinbart wird. Demgegenüber genügt der bloße Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis nicht. Ebenso ist die einkommensteuerrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung. Im Streitfall ist der erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Fahrzeugüberlassung und der (teilweisen) Arbeitsleistung zu bejahen, da die Klägerin und der jeweilige Angestellte das Recht zur Privatnutzung des Dienstfahrzeugs individuell arbeitsvertraglich vereinbart hatten und davon auszugehen ist, dass von der Zusage dieser Nutzungsmöglichkeit die Entscheidung des jeweiligen Angestellten abhing, ob er das Beschäftigungsverhältnis zu den angebotenen oder nur zu anderen Bedingungen einging. Damit besteht kein „bloßer“, sondern ein das Dienstverhältnis mitprägender Zusammenhang, der sich auch nicht lediglich aus einer einkommensteuerrechtlichen Betrachtung ableitet. Für die Frage, ob die Arbeitsleistung im Rahmen eines tauschähnlichen Umsatzes Entgelt für die Fahrzeugüberlassung zu privaten Zwecken ist, kommt es - anders als bei der Wertabgabebesteuerung nach § 3 Abs. 1b UStG und § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG - nicht darauf an, ob der Klägerin der Vorsteuerabzug aus dem Bezug der Fahrzeuge zustand. Der Ort der entgeltlichen Fahrzeugüberlassung (als langfristige Vermietung eines Beförderungsmittels) liegt gem. § 3a Abs. 3 Nr. 2 S. 3 UStG in der ab dem 30.06.2013 geltenden Fassung im Inland; die Klägerin hat die Fahrzeuge nicht nur kurzfristig an PS und FL zu privaten Zwecken überlassen. Die Zahlung eines Mietzinses ergibt sich in Form einer Sachvergütung aus der im unmittelbaren Zusammenhang mit der Fahrzeugüberlassung zu erbringenden Arbeitsleistung.
 

1.3.Einkommensteuer

Kein Werbungskostenabzug für Familienheimfahrten bei Zuzahlungen an den Arbeitgeber für die Nutzungsüberlassung eines Dienstwagens
Nutzt der Arbeitnehmer ein ihm von seinem Arbeitgeber auch zur außerdienstlichen Nutzung überlassenes Kfz für Familienheimfahrten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung, so scheidet ein Werbungskostenabzug auch dann aus, wenn der Arbeitnehmer hierfür ein Nutzungsentgelt leisten muss oder individuelle Kfz-Kosten zu tragen hat.

BFH v. 04.08.2022, VI R 35/20

Hinweis
Gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 1 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Aufwendungen für die Wege vom Ort der ersten Tätigkeitsstätte zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück (Familienheimfahrt) können jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich abgezogen werden (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 5 EStG). Zur Abgeltung der Aufwendungen für eine Familienheimfahrt ist nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 6 EStG eine Entfernungspauschale von 0,30 € für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstandes und dem Ort der ersten Tätigkeitsstätte anzusetzen. Aufwendungen für Familienheimfahrten mit einem dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Einkunftsart überlassenen Kfz werden gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 8 EStG nicht berücksichtigt.

Streitig ist, ob Zuzahlungen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber für die Nutzung des Firmenwagens für Familienheimfahrten (pauschaler monatlicher Zuzahlungsbetrag zzgl. einer kilometerabhängigen Tankkostenzuzahlung) im Rahmen der doppelten Haushaltsführung im Streitjahr als Werbungskosten berücksichtigungsfähig sind.

Das FG hat zutreffend entschieden, dass der vom Kläger geltend gemachte Abzug für seine Familienheimfahrten gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 8 EStG ausscheidet. Vorliegend hat der Arbeitgeber des Klägers diesem ein Kfz überlassen, das dieser sowohl für private Fahrten als auch für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sowie für seine Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung nutzen durfte. Im Gegenzug musste der Kläger eine pauschale Zuzahlung in Höhe von 0,5 % der unverbindlichen Kaufpreisempfehlung leisten und für die ihm von seinem Arbeitgeber überlassene Tankkarte pro gefahrenem Kilometer für einen der vorgenannten Zwecke 0,10 € (bis Mai 2016) bzw. 0,09 € (ab Juni 2016) entrichten. Bei dieser Sachlage scheidet ein Werbungskostenabzug für die wöchentlichen Familienheimfahrten des Klägers nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes aus. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 8 EStG ordnet den Ausschluss des Werbungskostenabzugs pauschal für jedwede Überlassung eines Kfz im Rahmen einer Einkunftsart an. Ob der Arbeitnehmer für die Nutzung des ihm von seinem Arbeitgeber (auch) für die (wöchentlichen) Familienheimfahrten im Rahmen einer Einkunftsart überlassenen Kfz ein Entgelt entrichten muss, ist insoweit ohne Bedeutung. Die Vorschrift begrenzt allgemein den Werbungskostenabzug, soweit der Steuerpflichtige für seine Familienheimfahrten ein vom Arbeitgeber überlassenes Kfz nutzt und bei ihm dafür gem. § 8 Abs. 2 S. 5 Hs. 2 EStG kein geldwerter Vorteil und somit auch keine Einnahmen anzusetzen sind. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats zur steuerlichen Berücksichtigung eines vom Arbeitnehmer selbst getragenen Nutzungsentgelts sowie der von diesem getragenen individuellen Fahrzeugkosten (wie beispielsweise Kraftstoffkosten).

Prozesskostenabzugsverbot im Falle von Kosten Dritter
Nach § 33 Abs. 2 S. 4 EStG sind auch die Prozesskosten vom Abzug ausgeschlossen, die für die Führung eines Rechtsstreits - hier eines Strafverfahrens - eines Dritten (beispielsweise eines Angehörigen) aufgewendet worden sind.

BFH v. 10.08.2022, VI R 29/20

Hinweis
Nach § 33 Abs. 2 S. 4 EStG sind Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.

Streitig ist, ob die Kläger Aufwendungen für die Strafverteidigung ihres Sohnes als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 EStG geltend machen können: Die Kläger wurden im Streitjahr 2017 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung begehrten sie den Abzug von Strafverteidigungskosten für ihren in 1999 geborenen Sohn als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG. Das FA lehnte den Ansatz dieser Aufwendungen ab.

Der BFH hat entschieden, dass nach § 33 Abs. 2 S. 4 EStG auch die Prozesskosten vom Abzug ausgeschlossen sind, die für die Führung eines Rechtsstreits ‑ hier eines Strafverfahrens ‑ eines Dritten (beispielsweise eines Angehörigen) aufgewendet worden sind.

Voraussetzung für den Abzug der streitigen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ist zunächst, dass sie den Klägern zwangsläufig entstanden sind, weil sie sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen konnten. Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob die Kläger ihrem bereits volljährigen Sohn die Begleichung eines Vorschusses für die Kosten des Strafverfahrens tatsächlich als Unterhalt schuldeten. Ob und in welcher Höhe den Klägern die vorliegenden Kosten für die Strafverteidigung nach allgemeinen Grundsätzen zwangsläufig i. S. v. § 33 EStG entstanden sind, kann letztlich offenbleiben. Denn selbst wenn die Kläger ihrem Sohn gegenüber verpflichtet gewesen sein sollten, die streitgegenständlichen Kosten zu tragen, sind die Aufwendungen jedenfalls nach § 33 Abs. 2 S. 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung der Kläger werden auch die Kosten eines Strafverfahrens von § 33 Abs. 2 S. 4 EStG erfasst. Denn es handelt sich um Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits. Der Anwendung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG steht auch nicht entgegen, dass es im Streitfall nicht um einen Strafprozess geht, in dem die Kläger Beschuldigte sind, sondern um Kosten für die Strafverteidigung ihres Sohnes. Denn das Abzugsverbot gilt nach seinem Wortlaut für alle Fälle, in denen Aufwendungen durch das Tragen von Prozesskosten entstehen. Auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen Anwendungsausschluss, wenn ein Steuerpflichtiger einem Dritten gegenüber verpflichtet ist, dessen Prozesskosten zu tragen. Vielmehr enthält § 33 Abs. 2 S. 4 EStG ein generelles Abzugsverbot, das nur bei einer Existenzgefährdung des Steuerpflichtigen durchbrochen wird.


Berücksichtigung gezahlter Prämien für Glattstellungsgeschäfte im Zusammenhang mit Einnahmen aus Stillhalterprämien bei periodenübergreifenden Optionsgeschäften
Aufwendungen für die den Stillhalterprämien zugehörigen Glattstellungsgeschäfte mindern nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG - in Ausnahme zu § 11 Abs. 2 S. 1 EStG (sog. Abflussprinzip) - die Einnahmen in dem Veranlagungszeitraum, in dem die Stillhalterprämien vereinnahmt wurden. Es handelt sich insoweit um ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
 
Ergibt sich dabei für das einzelne Stillhalter-/Glattstellungsgeschäft ein Verlust (eine negative Differenz), ist dieser abzugsfähig und unterliegt nicht dem Werbungskostenabzugsverbot nach § 20 Abs. 9 EStG.

BFH v. 02.08.2022, VIII R 27/21

Hinweis
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören u. a. Stillhalterprämien, die für die Einräumung von Optionen vereinnahmt werden; schließt der Stillhalter ein Glattstellungsgeschäft ab, mindern sich die Einnahmen aus den Stillhalterprämien um die im Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG).

Streitig ist, in welchem Veranlagungszeitraum gezahlte Prämien für Glattstellungsgeschäfte im Zusammenhang mit Einnahmen aus Stillhalterprämien bei periodenübergreifenden Optionsgeschäften steuerlich zu berücksichtigen sind. Nach Auffassung der Klägerin sind sie im Veranlagungsjahr des Bezugs der jeweiligen Stillhalterprämien zu berücksichtigen. Das FG der ersten Instanz entschied dagegen, dass die Aufwendungen für die Glattstellungsgeschäfte im Jahr des Abflusses zu berücksichtigen seien.

Der BFH hat entschieden, dass Aufwendungen für die den Stillhalterprämien zugehörigen Glattstellungsgeschäften nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG ‑ in Ausnahme zu § 11 Abs. 2 S. 1 EStG (sog. Abflussprinzip) ‑ die Einnahmen in dem Veranlagungszeitraum, in dem die Stillhalterprämien vereinnahmt wurden, mindern. Es handelt sich insoweit um ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.

Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, dass die für das Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien zu einer Einnahmeminderung führen. Denn nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 Hs. 2 EStG „mindern sich die Einnahmen aus den Stillhalterprämien um die im Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien“. Dass der Gesetzgeber eine Rückwirkung beabsichtigt hat, ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/4841, S. 54). Nach dieser soll nur der beim Stillhalter nach Abschluss eines Gegengeschäfts (Glattstellung) verbliebene Vermögenszuwachs der Besteuerung unterworfen werden (Nettoprinzip). Auch der Sinn und Zweck der Regelung spricht dafür, dass die für das Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien von den Stillhalterprämien ‑ unabhängig von dem in § 11 EStG normierten Zu- und Abflussprinzip - abziehbar sind. Ohne Rückwirkung wäre es beispielsweise denkbar, dass Einnahmen aus Stillhalterprämien im Veranlagungszeitraum 01 voll besteuert werden, obgleich im Veranlagungszeitraum 02 in derselben Höhe im Glattstellungsgeschäft gezahlte Prämien anfallen, um das Stillhaltergeschäft wieder zu schließen, und diese Prämien - mangels entsprechender Einkünfte aus Kapitalvermögen - wegen des Verlustverrechnungsverbots nach § 20 Abs. 6 S. 1 Hs. 1 EStG nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden dürfen und somit unberücksichtigt blieben. Dies würde dem Gebot der Folgerichtigkeit und Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes widersprechen, denn die Leistungsfähigkeit des Stillhalters ist um die gezahlten Prämien gemindert. Danach sind die im Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien seit der Neuregelung der Besteuerung von Stillhaltergeschäften in § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG nicht mehr als Werbungskosten i. S. d. § 9 Abs. 1, § 20 Abs. 9 EStG bei den Einkünften als Stillhalter zu berücksichtigen.

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