Rechtsprechung KW 36 - 2022

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Haftung der Organgesellschaft für nach Beendigung der Organschaft entstandene Steuern
Die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gemäß § 73 AO beschränkt sich nicht notwendigerweise auf solche Steuern, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.

Die Organgesellschaft kann in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann.

BFH v. 05.04.2022, VII R 18/21

Hinweis
Gemäß § 73 S. 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist.

Der Kläger wurde mit Beschluss des zuständigen Amtsgerichts zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die GmbH war zuvor umsatzsteuerlich als Organgesellschaft in das Unternehmen der A-GmbH eingegliedert gewesen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG). Über das Vermögen der A-GmbH wurde ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet. Bei der A-GmbH bestanden im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen Umsatzsteuerrückstände, u. a. aus den Voranmeldungen für März 2014. Das FA meldete deswegen im Insolvenzverfahren der GmbH eine Haftungsforderung in ebendieser Höhe gem. § 73 AO wegen rückständiger Umsatzsteuer der A-GmbH zur Insolvenztabelle an. Da der Kläger die Forderung in vollem Umfang bestritt, erließ das FA den streitgegenständlichen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage und beantragte, den Feststellungsbescheid dahingehend zu ändern, dass die Forderung in dem Umfang reduziert werde, in dem die Umsatzsteuer für März 2014 betroffen sei. Streitig ist, ob eine ehemalige Organgesellschaft nach § 73 AO auch für die während des Bestehens der Organschaft steuerrechtlich noch nicht entstandene Umsatzsteuer in Haftung genommen werden kann.

Der BFH hat entschieden, dass sich die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gem. § 73 AO nicht notwendigerweise auf solche Steuern beschränkt, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind. Die Organgesellschaft kann in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann.

Die Finanzbehörde stellt nach § 251 Abs. 3 AO Ansprüche, die sie im Insolvenzverfahren aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung geltend macht, erforderlichenfalls durch schriftlichen Verwaltungsakt fest. Das betrifft u. a. den Fall, in dem ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon begründet, aber noch nicht festgesetzt war und der Insolvenzverwalter der zur Tabelle angemeldeten Forderung widersprochen hat. Wird der Feststellungsbescheid unanfechtbar, beseitigt er den Widerspruch zur Tabelle. Gegenstand der Feststellung ist die Geltendmachung einer Steuerforderung als Insolvenzforderung mit dem Ziel ihrer Berücksichtigung bei der Verteilung der Insolvenzmasse. Der Verwaltungsakt nach § 251 Abs. 3 AO enthält also zwei Feststellungen, und zwar erstens, dass ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 Abs. 1 AO besteht, und zweitens, dass es sich dabei um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO handelt. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gem. § 37 Abs. 1 AO gehört auch der Haftungsanspruch.

Gem. § 73 S. 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Steuern des Organträgers, „für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist“, liegen nach Wortlaut und Systematik von § 73 AO i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 Nr. 2 S. 1 u. 3, § 18 UStG grundsätzlich dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft nach § 73 AO. Der im Schrifttum - ohne nähere Begründung - vertretenen Auffassung, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur solche Steuern umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind, wird nicht gefolgt. Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist. Für die insolvenzrechtliche Begründung einer Haftungsforderung kommt es weder auf die zugrunde liegende Steuerschuld noch auf den Erlass des Haftungsbescheids an, sondern darauf, ob die für die Haftung maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde. Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 73 S. 1 AO ist das Bestehen der Organschaft. Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze kann nicht abschließend darüber entschieden werden, in welcher Höhe die GmbH als ehemalige Organgesellschaft nach § 73 S. 1 AO haftet. Das FG hat - ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zutreffend - keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 2014 Steuern des Organkreises und nicht originäre Steuern der ehemaligen Organträgerin enthält.
 

1.2.Einkommensteuer

Gewerbliche Tätigkeit eines Sportlers und Zurechnung von Zahlungen der Sportförderung
Steht eine - an sich nicht steuerbare - sportliche Betätigung mit ihrer gewerblichen Vermarktung im Rahmen von Sponsorenverträgen in einem untrennbaren Sachzusammenhang, bilden beide Tätigkeiten einen einheitlichen Gewerbebetrieb, so dass auch die Sporttätigkeit von der Steuerpflicht erfasst wird.

Liegt ein einheitlicher Gewerbebetrieb als Sportler vor, stellen finanzielle Unterstützungsmaßnahmen der Sportförderung aufgrund des weiten Verständnisses des Veranlassungsbegriffs Betriebseinnahmen dar.

BFH v. 15.12.2021, X R 19/19

Hinweis
Unter einem Gewerbebetrieb ist gem. § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes, § 15 Abs. 2 EStG jede selbständige nachhaltige Tätigkeit zu verstehen, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, falls sie den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet und es sich nicht um die Ausübung von Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG) oder einer selbständigen Arbeit (§ 18 EStG) handelt.

Im Streitfall war der Kläger als erfolgreicher Sportler Mitglied einer Sportfördergruppe und nahm an (inter-)nationalen Meisterschaften teil. Im Rahmen seines Gewerbebetriebs als „Sportler“ erfasste er die Einnahmen aus seinen Sponsorenverträgen, von denen er die konkreten Aufwendungen im Zusammenhang mit seiner Sporttätigkeit in Abzug brachte. Die ihm von der Stiftung Deutsche Sporthilfe (S) gewährten Leistungen (Kader-Förderung, Prämien für Platzierungen bei den Olympischen Spielen) sah er hingegen als sonstige Einkünfte an, denen er ohne weitere Nachweise Werbungskosten in gleicher Höhe gegenüberstellte. Das Finanzamt erfasste auch die Zahlungen der S als Einnahmen des klägerischen Gewerbebetriebs, ohne jedoch die zusätzlich geltend gemachten Werbungskosten anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht ab. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.

Der BFH hat entschieden, dass Zahlungen der Stiftung Deutsche Sporthilfe an einen Leistungssportler gewerbliche Einnahmen darstellen können.

Auch die Leistungen der Sportförderung seien durch den Gewerbebetrieb des Klägers als Sportler veranlasst worden. Zwar sei eine sportliche Betätigung im Ausgangspunkt dem nicht einkommensteuerbaren Bereich zuzurechnen. Sie stehe aber im Streitfall in einem untrennbaren Sachzusammenhang mit der gewerblichen Vermarktung dieser Sporttätigkeit im Rahmen von Sponsorenverträgen, da sich die kostenintensive Betätigung als Spitzensportler und der Abschluss substantieller Ausrüster- und Sponsorenverträge wechselseitig bedingten. Beide Tätigkeiten bildeten einen einheitlichen Gewerbebetrieb. Diesem Gewerbebetrieb seien auch die Zahlungen der S als betrieblich veranlasste Einnahmen zuzurechnen. Sie wiesen den erforderlichen wirtschaftlichen Bezug zur betrieblichen Tätigkeit als Sportler auf. Die Zuwendungen seien nämlich im Hinblick auf besondere sportliche Leistungen des Klägers erbracht worden und von dessen Leistungsniveau und der Teilnahme an nationalen und internationalen Wettkämpfen abhängig gewesen. Da die konkreten sportbedingten Aufwendungen bereits im Rahmen des Gewerbebetriebs steuerlich berücksichtigt worden seien, komme ein weiterer Ansatz von Betriebsausgaben auch in pauschaler Form nicht mehr in Betracht.
 

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