Rechtsprechung KW 35 - 2022

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids, wenn die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO nachträglich eingetreten sind - Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung für Jahresfrist des § 174 Abs. 4 S. 3 AO maßgeblich
Für den rechtmäßigen Erlass eines Änderungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO reicht es aus, wenn die Änderungsvoraussetzungen, insbesondere die Aufhebung oder Änderung des anderen Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen, bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen (Anschluss an BFH-Urteil vom 24.04.2008 - IV R 50/06, BFHE 220, 324, BStBl. II 2009, 35).

Im Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 S. 3 AO ist zudem erforderlich, dass die (Fehler heilende) Einspruchsentscheidung innerhalb der Jahresfrist erlassen wird.

BFH v. 12.05.2022, VI R 20/19

Hinweis
Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Ist die Festsetzungsfrist für den Steuerbescheid, für den gem. § 174 Abs. 4 S. 1 AO nunmehr die richtigen steuerlichen Folgen zu ziehen sind, bereits abgelaufen, ist dessen Änderung nach § 174 Abs. 4 S. 3 AO nur zulässig, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.
Die Klägerin hatte im Jahr 2007 landwirtschaftlich genutzte Grundstücke veräußert, die zuletzt verpachtet waren. Das beklagte FA unterwarf die Veräußerung im Einkommensteuerbescheid 2007 in vollem Umfang der sog. Bodengewinnbesteuerung, weil die Grundstücke bis zur Veräußerung zu einem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen der Klägerin gehört hätten. Nachdem das FG in einem Aussetzungsverfahren entschieden hatte, dass der Veräußerungsgewinn je zur Hälfte im Jahr 2007 und im Jahr 2008 zu versteuern sei, änderte das FA die Einkommensteuer 2007 mit Bescheid vom 17.09.2014 zu Gunsten und die Einkommensteuer 2008 mit Bescheid vom 15.09.2014 zu Lasten der Klägerin ab, indem es den Veräußerungsgewinn in den beiden Veranlagungszeiträumen je zur Hälfte erfasste. Die gegen die Änderungsbescheide erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wegen Einkommensteuer 2007 war erfolglos.

Der BFH hat entschieden, dass es für den rechtmäßigen Erlass eines Änderungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO ausreicht, wenn die Änderungsvoraussetzungen, insbesondere die Aufhebung oder Änderung des anderen Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen, bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen.

Ein auf § 174 Abs. 4 S. 1 AO gestützter Steuerbescheid, der erlassen wird, bevor der den Widerstreit auslösende, fehlerhafte Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert worden ist, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der Regelung („nachträglich“) rechtswidrig. Dies ist jedoch dann unbeachtlich, wenn der fehlerhafte Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen seinerseits bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid aufgehoben oder geändert wird und damit zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 S. 1 AO vorliegen. Denn gem. § 44 Abs. 2 FGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat.

Ist die Festsetzungsfrist für den Steuerbescheid, für den gem. § 174 Abs. 4 S. 1 AO nunmehr die richtigen steuerlichen Folgen zu ziehen sind, bereits abgelaufen, ist dessen Änderung nach § 174 Abs. 4 S. 3 AO nur zulässig, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. Nach dem insoweit ebenfalls eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sowie nach deren Sinn und Zweck, die Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen von einer vorherigen Änderung eines fehlerhaften Steuerbescheids zu seinen Gunsten abhängig zu machen, beginnt die Jahresfrist erst mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids, mit dem der fehlerhafte Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird. Ein vor diesem Zeitpunkt erlassener rechtswidriger Steuerbescheid kann daher für die Einhaltung der Jahresfrist nicht herangezogen werden. Das FG ist teilweise von anderen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids des Streitjahres konnte - ausgehend von der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist - nicht auf die vorliegend allein in Betracht kommende Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 S. 1 u. 3 AO gestützt werden. Denn die steuerlichen Folgerungen aus der vorherigen Änderung des Einkommensteuerbescheids 2007 sind nicht nachträglich innerhalb eines Jahres nach dessen Erlass gezogen worden. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Festsetzungsfrist 2008 wegen einer (möglichen) leichtfertigen Steuerverkürzung der Klägerin gem. § 169 Abs. 2 S. 2 u. 3 AO fünf Jahre beträgt und der hier angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 15.09.2014 daher noch innerhalb dieser verlängerten Festsetzungsfrist erlassen worden ist.
 

1.2.Einkommensteuer

Zufluss von Kapitalerträgen beim beherrschenden Gesellschafter einer ausländischen Kapitalgesellschaft
Dem beherrschenden Gesellschafter einer ausländischen Kapitalgesellschaft fließt ein Gewinnanteil gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 EStG im Zeitpunkt des Gewinnausschüttungsbeschlusses zu, wenn die Gesellschaft zahlungsfähig ist und er nach Maßgabe des ausländischen Rechts zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich über den Gewinnanteil verfügen kann.

BFH v. 14.02.2022, VIII R 32/19

Hinweis
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 u. 2 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u. a. Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Einnahmen sind nach § 11 Abs. 1 S. 1 EStG innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind, d. h. in dem er wirtschaftlich über die Einnahmen verfügen kann. Bei beherrschenden Gesellschaftern – der Kläger gehört als Alleingesellschafter unstreitig zu diesem Personenkreis – ist der Zufluss einer Ausschüttung in der Regel bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung anzunehmen, weil der beherrschende Gesellschafter es regelmäßig in der Hand hat, sich die ihm von der Gesellschaft geschuldeten Beträge auszahlen zu lassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sein Gewinnauszahlungsanspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist und sich gegen eine zahlungsfähige Gesellschaft richtet. Unter diesen Voraussetzungen kann der beherrschende Gesellschafter im Regelfall wirtschaftlich bereits ab dem Zeitpunkt des Ausschüttungsbeschlusses über seinen Gewinnanteil verfügen.

Streitig ist, ob dem Kläger in den Jahren 2007 bis 2010 (Streitjahre) als beherrschendem Gesellschafter einer kroatischen Kapitalgesellschaft beschlossene Gewinnausschüttungen, die ihm nicht ausbezahlt wurden, gem. § 11 Abs. 1 S. 1 EStG zugeflossen sind. Der im Inland wohnhafte und unbeschränkt steuerpflichtige Kläger wurde in den Streitjahren zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin, einkommensteuerlich veranlagt. Er war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer im Jahr 2000 gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung kroatischen Rechts. Die kroatische Gesellschaft erwirtschaftete in den Geschäftsjahren 2006 bis 2009 jeweils Gewinne.

Nach Durchführung einer Außenprüfung erhöhte das FA durch auf § 164 Abs. 2 AO gestützte Änderungsbescheide die ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre. Das FA begründete dies mit weiteren von der kroatischen Gesellschaft beschlossenen Ausschüttungen, die es als dem Kläger als beherrschendem Gesellschafter im jeweiligen Streitjahr zugeflossen ansah.

Der BFH hat entschieden, dass dem beherrschenden Gesellschafter einer ausländischen Kapitalgesellschaft ein Gewinnanteil gem. § 11 Abs. 1 S. 1 EStG im Zeitpunkt des Gewinnausschüttungsbeschlusses zufließt, wenn die Gesellschaft zahlungsfähig ist und er nach Maßgabe des ausländischen Rechts zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich über den Gewinnanteil verfügen kann.

Unverzichtbare Bedingung für den Zufluss offener Gewinnausschüttungen beim beherrschenden Gesellschafter nach den vorstehenden Grundsätzen ist im Inlandsfall wie im Auslandsfall, dass der Gesellschafter über diejenigen Gewinnanteile, deren Ausschüttung durch die Gesellschafterversammlung beschlossen wurde, wirtschaftlich verfügen kann. Entsteht mit der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses nach ausländischem Recht ein wie im Streitfall sofort fälliger Gewinnauszahlungsanspruch, kann hieraus nicht in jedem Fall zwingend abgeleitet werden, dass der beherrschende Gesellschafter bei Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft unmittelbar die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt. Denn die Dispositionsmöglichkeit des Gesellschafters über die Auszahlung des Ausschüttungsbetrags kann nach den Gegebenheiten des jeweiligen ausländischen Rechts dennoch ausgeschlossen sein. Soweit und solange Gegebenheiten des ausländischen Rechts der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des beherrschenden Gesellschafters über den Ausschüttungsbetrag entgegenstehen, ist noch kein Zufluss gem. § 11 Abs. 1 S. 1 EStG bei ihm gegeben. Das maßgebliche ausländische Recht hat das FG nicht nur hinsichtlich der Frage, ob eine Gewinnausschüttung beschlossen wurde, der Fälligkeit des Gewinnauszahlungsanspruchs und der Zahlungsfähigkeit der ausschüttenden Gesellschaft, sondern auch im Hinblick darauf festzustellen, ob es landesspezifische gesetzliche oder tatsächliche Besonderheiten gibt, die verhindern, dass der beherrschende Gesellschafter die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den Ausschüttungsbetrag erlangt. Nach diesen Grundsätzen hat das FG im Streitfall zu Unrecht allein aus der Fälligkeit der beschlossenen Ausschüttungsbeträge unmittelbar auf die wirtschaftliche Verfügungsmacht des Klägers über die Ausschüttungsbeträge geschlossen, ohne zu prüfen, ob seiner Verfügungsmacht nach Maßgabe des kroatischen Rechts Hindernisse entgegenstanden. Die Sache ist nicht spruchreif und deshalb an das FG zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen zum kroatischen Recht nachholen kann.


Keine Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen bei Belastung des Gesellschafterverrechnungskontos des Steuerpflichtigen
Die Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen nach § 35a Abs. 3 EStG kann auch nach der Neufassung der Vorschrift durch das JStG 2008 nur in Anspruch genommen werden, wenn der Rechnungsbetrag auf einem Konto des Leistenden bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben wird.

Die Gutschrift des Rechnungsbetrags im Wege der Aufrechnung durch Belastung des Gesellschafterverrechnungskontos des Steuerpflichtigen bei der leistungserbringenden GmbH genügt den gesetzlichen Anforderungen an den Zahlungsvorgang nicht.

BFH v. 09.06.2022, VI R 23/20

Hinweis
Nach § 35a Abs. 3 S. 1 EStG ermäßigt sich für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 % der Aufwendungen des Steuerpflichtigen, höchstens jedoch um 1.200 €.

Die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen setzt u. a. nach § 35a Abs. 5 S. 3 EStG voraus, dass der Steuerpflichtige für die Aufwendungen eine Rechnung erhalten hat und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Leistung erfolgt ist.

Der Kläger ist von Beruf Dachdeckermeister und an einer GmbH beteiligt. Er beauftragte diese im Streitjahr (2017) mit Abdichtungs- und Reparaturarbeiten an seinem Wohnhaus. Die ihm hierfür gestellte Rechnung beglich der Kläger im Wege der Aufrechnung über sein Gesellschafterverrechnungskonto. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte er aus der o. g. Rechnung eine Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen nach § 35a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung geltend. Das FA gewährte die beantragte Steuerermäßigung nicht. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab.

Der BFH hat entschieden, dass die Gutschrift des Rechnungsbetrags im Wege der Aufrechnung durch Belastung des Gesellschafterverrechnungskontos des Steuerpflichtigen bei der leistungserbringenden GmbH den gesetzlichen Anforderungen an den Zahlungsvorgang nicht genügt.

Die formelle Ermäßigungsvoraussetzung, dass die Zahlung (der Rechnung) auf das Konto des Erbringers der Leistung erfolgt ist, verlangt die Gutschrift des Rechnungsbetrags auf einem Konto des Leistenden bei einem Kreditinstitut. Denn ohne die Einbindung eines solchen und damit ohne bankmäßige Dokumentation des Zahlungsvorgangs (Beleg eines Kreditinstituts) ist dieses Tatbestandsmerkmal nach einhelliger Rechtsauffassung nicht erfüllt. Dies gilt auch nach der Neufassung der Vorschrift durch das JStG 2008. Nach diesen Maßstäben ist die Vorentscheidung von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Denn die genannten Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Steuerermäßigung nach § 35a EStG liegen nicht vor. Zwar sind die geltend gemachten Aufwendungen für die erbrachten Abdichtungs- und Reparaturarbeiten am Wohnhaus des Klägers grundsätzlich nach § 35a Abs. 3 S. 1 EStG begünstigt. Der Kläger hat die Rechnung der GmbH betreffend die von ihr erbrachten Handwerkerleistungen jedoch weder - wie von § 35a Abs. 5 S. 3 EStG gefordert - unter Einbindung eines Kreditinstituts und bankmäßiger Dokumentation des Zahlungsvorgangs beglichen, noch ist der Rechnungsbetrag einem Konto der GmbH gutgeschrieben worden. Die fragliche Gutschrift erfolgte vielmehr im Wege der Aufrechnung durch Belastung des Gesellschafterverrechnungskonto des Klägers. Hierbei handelt es sich um ein eigenes Konto des Klägers bei der kontoführenden GmbH und nicht um ein Konto der GmbH als Leistungserbringer. Dieser Zahlungsweg genügt den gesetzlichen Voraussetzungen daher nicht.
 

1.3.Internationales Steuerrecht

Besteuerungsrecht für Arbeitslohn eines grenzüberschreitend tätigen Berufskraftfahrers
Das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn eines in Deutschland wohnenden, bei einem niederländischen Arbeitgeber beschäftigten Berufskraftfahrers steht nach Art. 10 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 den Niederlanden zu, wenn er mit seinem Fahrzeug in den Niederlanden unterwegs gewesen ist (Grundprinzip der Besteuerung im Tätigkeitsstaat). Für Tage, an denen der Berufskraftfahrer sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland oder in einem Drittstaat unterwegs gewesen ist, steht das Besteuerungsrecht den Niederlanden nicht vollständig, sondern zeitanteilig zu.

BFH v. 01.06.2022, I R 45/18

Hinweis
Art. 10 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 bestimmt für den Fall, dass eine Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte hat, wenn die Arbeit in dem anderen Staat ausgeübt wird.

Demnach wird das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaats (Art. 20 Abs. 1 S. 1 DBA-Niederlande 1959) für den Arbeitslohn nur insoweit eingeschränkt, als er auf eine Tätigkeit entfällt, die der Steuerpflichtige in dem anderen Staat verrichtet hat.

Die Beteiligten streiten um die Aufteilung und Besteuerung des Arbeitslohns eines im grenzüberschreitenden Verkehr tätigen und in Deutschland wohnenden Berufskraftfahrers. Im Streitjahr 2013 war der Kläger an insgesamt 130 von 219 Arbeitstagen sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland unterwegs; im Jahr 2014 war dies an 102 von 228 Arbeitstagen der Fall. Das FA sah das Besteuerungsrecht der Niederlande nur für den Teil des Arbeitslohns als gegeben an, der auf Tage entfiel, an denen der Kläger eine ausschließlich durch die Niederlande führende Fahrtstrecke zurückgelegt hatte. Das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn, der auf ausschließlich außerhalb der Niederlande zurückgelegte Fahrtstrecken entfiel, stehe Deutschland zu. Soweit der Kläger an demselben Tag eine sowohl durch die Niederlande als auch durch andere Staaten führende Fahrtstrecke zurückgelegt habe, sei das Besteuerungsrecht je hälftig auf die Niederlande und auf Deutschland aufzuteilen.

Der BFH hat entschieden, dass das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn eines in Deutschland wohnenden, bei einem niederländischen Arbeitgeber beschäftigten Berufskraftfahrers nach Art. 10 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 den Niederlanden zusteht, wenn er mit seinem Fahrzeug in den Niederlanden unterwegs gewesen ist (Grundprinzip der Besteuerung im Tätigkeitsstaat). Für Tage, an denen der Berufskraftfahrer sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland oder in einem Drittstaat unterwegs gewesen ist, steht das Besteuerungsrecht den Niederlanden nicht vollständig, sondern zeitanteilig zu.

Für grenzüberschreitend tätige Berufskraftfahrer, deren Arbeitsort dort ist, wo sie sich mit den ihnen anvertrauten Fahrzeugen jeweils physisch aufhalten, ist das Arbeitsentgelt aufzuteilen. Das gilt auch für den Fall, dass der Kraftfahrer an einem Arbeitstag nur stundenweise in einem Staat tätig geworden ist. Diese Auffassung entspricht der Praxis der Finanzverwaltung (vgl. z. B. § 7 Abs. 2 der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg vom 09.07.2012, BGBl. I 2012, 1484, BStBl. I 2012, 693, wo allerdings unabhängig von der tatsächlichen Verweildauer eine hälftige Aufteilung je Arbeitstag vorgesehen ist). Der Umstand, dass die niederländische Steuerverwaltung die Regelung des Art. 10 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 offenbar anders als der Senat sieht - nämlich entsprechend der Sichtweise der Revision - und dass im Falle des Klägers dessen gesamter Arbeitslohn der Streitjahre in den Niederlanden besteuert worden ist, vermag an dem gefundenen Ergebnis nichts zu ändern. Die dadurch ausgelöste Doppelbesteuerung könnte ggf. im Rahmen eines Verständigungsverfahrens (Art. 22 DBA-Niederlande 1959) beseitigt werden.
 
 

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