Rechtsprechung KW 20 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Steuerschuld des Leistungsempfängers
Der Anwendung von § 13b Abs. 5 S. 1 UStG steht nicht entgegen, dass neben dem Unternehmer oder der juristischen Person eine weitere Person Empfänger der Leistung ist, wenn der Unternehmer (oder die ihm gleichgestellte juristische Person) Schuldner des vollen Entgeltbetrages ist und der weitere Leistungsempfänger nicht zum Kreis der in § 13b Abs. 5 S. 1 UStG genannten Steuerschuldner gehört.

BFH v. 10.12.2020, V R 7/20

Hinweis:
Nach § 13b Abs. 5 S. 1 UStG ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner für die in § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG bezeichneten Umsätze, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person ist. § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG erfasst „steuerpflichtige Umsätze“, wenn es sich bei diesen um Werklieferungen und nicht unter § 13b Abs. 1 UStG fallende sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers handelt. Unionsrechtlich beruht die Steuerschuld des Leistungsempfängers auf der den Mitgliedstaaten durch Art. 194 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) eingeräumten Ermächtigung, bei Leistungen ausländischer Unternehmer die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger zu verlagern.

Streitig ist, ob der Umstand, dass sowohl der Kläger als Unternehmer als auch seine damalige Ehefrau als Nichtunternehmerin im gleichen Umfang Empfänger einer von einem in Österreich ansässigen Unternehmer erbrachten Werklieferung (hier: Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück des Klägers) gewesen sind, der alleinigen Inanspruchnahme des Klägers als Steuerschuldner gem. § 13b Abs. 5 S. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 UStG entgegen steht.

Der BFH hat entschieden, dass der Anwendung von § 13b Abs. 5 S. 1 UStG nicht entgegensteht, dass neben dem Unternehmer oder der juristischen Person eine weitere Person Empfänger der Leistung ist, wenn der Unternehmer Schuldner des vollen Entgeltsbetrags ist und wenn der Leistungsempfänger nicht zum Kreis der in § 13b Abs. 5 S. 1 UStG genannten Steuerschuldner gehört.

§ 13b Abs. 5 S. 1 UStG ordnet eine Steuerschuldnerschaft des Empfängers der dort bezeichneten Leistungen an, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person ist.

Der Wortlaut der Vorschrift lässt es zu, die Regelung auch dann anzuwenden, wenn neben diesem Leistungsempfänger eine weitere Person Empfänger der Leistung ist. Dies gilt zumindest dann, wenn der in § 13b Abs. 5 S. 1 UStG bezeichnete Unternehmer (oder die ihm gleichgestellte juristische Person) zum einen Schuldner des vollen Entgeltbetrages ist und zum anderen der weitere Leistungsempfänger nicht zum Kreis der in § 13b Abs. 5 S. 1 UStG genannten Steuerschuldner gehört und daher weder Unternehmer noch juristische Person ist. Diese Auslegung vermeidet Unklarheiten bei der Gesetzesauslegung wie auch Umgehungsmöglichkeiten bei Mitberechtigung und Mitverpflichtung weiterer Personen. Danach steht es im Streitfall der Anwendung von § 13b Abs. 5 S. 1 UStG zu Lasten des Klägers nicht entgegen, wenn neben dem Kläger auch seine Ehefrau, die nicht Unternehmerin war, Leistungsempfängerin gewesen sein sollte, ohne dass der erkennende Senat hierüber abschließend zu entscheiden hat.
 
 

1.2.Einkommensteuer

Kindergeld bei Wohnsitz der Eltern in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten; Anwendbarkeit des ausländischen Rechts auf den im Inland wohnenden Elternteil
Ein Zusammentreffen von Leistungsansprüchen i. S. des Art. 68 der VO Nr. 883/2004 ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der im Inland lebende Elternteil nach Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 dem deutschen Recht unterliegt, wenn der andere Elternteil unter die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats fällt, dort aber selbst keinen Familien­leistungsanspruch hat.

Nach der gemäß Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO Nr. 987/2009 anzuwendenden Familienbetrachtung ist nicht nur zu fingieren, dass der im Inland wohnende Elternteil auch im Wohnsitz-Mitgliedstaat des anderen Elternteils wohnt, sondern auch, dass er unter die Rechtsvorschriften des betreffenden anderen Mitgliedstaats fällt. Es ist daher auch zu prüfen, ob der im Inland lebende Elternteil die Anspruchsvoraussetzungen im anderen Mitgliedstaat erfüllt und deshalb eine Anspruchskonkurrenz besteht.

BFH v. 18.02.2021, III R 71/18

Hinweis:
Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 bestimmt als Grundsatz, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen.

Ab November 2005 war die Klägerin in Deutschland selbständig tätig. Wegen eines Arbeitsunfalls erhielt sie ab 01.11.2011 eine private Berufsunfähigkeitsrente, die im August 2017 enden sollte. Ab dem 01.11.2012 erhielt sie eine bis 31.12.2014 befristete staatliche Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zeitweise bezog sie Arbeitslosengeld II. J wurde von 2009 bis November 2010 vom Jobcenter mit dem Ziel „Aktivierung zur Arbeitssuche“ betreut. Im November 2010 meldete sie sich in Polen bei einer Realschule an, bei der sie im März 2011 mit dem Unterrichtsbesuch begann und im September 2014 das Abitur ablegte. Die Familienkasse B gewährte der Klägerin bis einschließlich November 2010 Kindergeld. Aufgrund eines neuen Kindergeldantrags der Klägerin vom 26.09.2011 richtete die Familienkasse B zur Klärung ihrer Zuständigkeit am 12.10.2011 ein entsprechendes Auskunftsersuchen an die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Polen (DOPS). Hieraus ergab sich, dass der Vater der J seit dem 14.12.2010 nicht mehr in Polen arbeitet und dort seit dem 01.09.2011 keine Leistungen bezogen hat. Die Familienkasse B bewilligte der Klägerin Kindergeld ab September 2011. Mit weiterem Bescheid vom 10.08.2012 lehnte die Familienkasse B eine Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Dezember 2010 bis August 2011 ab und hob die Kindergeldfestsetzung ab September 2012 auf. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse zurück: Nach den europäischen Koordinierungsregelungen sei ein Anspruch auf deutsches (Differenz-)Kindergeld ausgeschlossen, da beide Elternteile weder eine Erwerbstätigkeit ausübten noch eine Rente bezögen und deshalb ein Anspruch auf Familienleistungen nur im Wohnsitzland des Kindes, also Polen, bestehe.

Der BFH hat entschieden, dass nach der gemäß Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO Nr. 987/2009 anzuwendenden Familienbetrachtung nicht nur zu fingieren ist, dass der im Inland wohnende Elternteil auch im Wohnsitz-Mitgliedstaat des anderen Elternteils wohnt, sondern auch, dass er unter die Rechtsvorschriften des betreffenden anderen Mitgliedstaats fällt. Es ist daher auch zu prüfen, ob der im Inland lebende Elternteil die Anspruchsvoraussetzungen im anderen Mitgliedstaat erfüllt und deshalb eine Anspruchskonkurrenz besteht.

Zu Unrecht hat das FG angenommen, dass auf die Klägerin ausschließlich deutsches Recht Anwendung findet. Für den Bereich der Familienleistungen gilt die Sonderregelung des Art. 67 S. 1 VO Nr. 883/2004. Danach hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

Danach ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Es ist daher auch zu prüfen, ob der im Inland lebende Elternteil die Anspruchsvoraussetzungen im anderen Mitgliedstaat erfüllt und deshalb eine Anspruchskonkurrenz besteht.
 

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