Rechtsprechung KW 04 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Gemeinnützigkeit und politische Betätigung
Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung ist kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck i. S. d. § 52 AO (Folgeentscheidung zum BFH-Urteil v. 10.01.2019, V R 60/17, BStBl. 2019 II S. 301).

BFH v. 10.12.2020, V R 14/20

Eine Körperschaft verfolgt gem. § 52 Abs. 1 S. 1 AO gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. § 52 Abs. 2 AO legt fest, welche Zwecke unter den Voraussetzungen des Abs. 1 als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen sind.

Der im Vereinsregister eingetragene Kläger verfolgt nach seiner Satzung die folgenden Ziele: „die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung, die Förderung des Schutzes der Umwelt und des Gemeinwesens, der Demokratie und der Solidarität unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung. Der Verein fördert die Völkerverständigung und den Frieden.“ Das FA verneinte die Gemeinnützigkeit des Klägers.

Der BFH hat entschieden, dass Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck i. S. d. § 52 AO ist.

Nach dem BFH-Urteil V R 60/17, BStBl 2019 II, 301 ist die Verfolgung politischer Zwecke nach Maßgabe der steuerrechtlichen Regelungen nicht gemeinnützig. Mit den in diesem Verfahren streitigen Kampagnen und weiteren Tätigkeiten, die unter dem Namensbestandteil „A“ des Klägers ausgeübt wurden, erfüllte dieser keinen nach § 52 AO steuerbegünstigten Zweck. Allerdings hatte der BFH die Sache an das FG zur Klärung zurückverwiesen, ob die unter dem Namensbestandteil des Klägers durchgeführten Kampagnen und sonstigen Aktionen dem Kläger als Träger des so bezeichneten Netzwerks auch tatsächlich zuzurechnen sind. Dies hat das FG im zweiten Rechtsgang bejaht und die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. In seiner Entscheidung verweist der BFH zunächst auf die aus § 126 Abs. 5 FGO folgende Bindungswirkung des in dieser Sache bereits ergangenen BFH-Urteils für den zweiten Rechtsgang. Ergänzend weist der BFH darauf hin, dass eine gemeinnützige Körperschaft unter Inanspruchnahme der steuerrechtlichen Förderung der Gemeinnützigkeit auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung nur Einfluss nehmen kann, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke dient. In diesen Grenzen sieht der BFH den vom Kläger verfassungsrechtlich abgeleiteten Teilhabeanspruch an der politischen Willensbildung als gewahrt an. Eine Erweiterung des Begriffs der politischen Bildung in der Weise, dass sich hieraus die eigenständige steuerrechtliche Förderung einer Einflussnahme auf die politische Willensbildung in frei gewählten Politikfeldern ergibt, lehnt der BFH demgegenüber ab. § 52 Abs. 2 AO würde sonst faktisch um den dort nicht angeführten Zweck der Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung ergänzt.


Anforderungen an einen Antrag i. S. d. § 171 Abs. 3 AO bei Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung
Ordnet das Insolvenzgericht nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Nachtragsverteilung durch den früheren Insolvenzverwalter an, tritt für den im Beschluss genannten Gegenstand der Nachtragsverteilung wieder Insolvenzbeschlag ein mit der Folge, dass insoweit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim früheren Insolvenzverwalter liegt.

Die durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens eingetretene Unterbrechung eines finanzgerichtlichen Verfahrens wird spätestens durch das Fortsetzungsbegehren des früheren Insolvenzverwalters beendet.

Stellt ein Steuerpflichtiger, der zur Einreichung einer Steuererklärung gesetzlich verpflichtet ist, vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei dem für ihn zuständigen FA einen Antrag, kommt diesem die Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO nur dann zu, wenn sich das von ihm verfolgte Begehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem Antrag selbst ergibt; Angaben zur betragsmäßigen Auswirkung sind für die Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht ausreichend.

Soweit dem Steuerpflichtigen wegen fehlender Unterlagen genaue Angaben (noch) nicht möglich sind, muss er zur Konkretisierung seines Antrags auf Schätzung eines Gesamtbetrags der Einkünfte in einer bestimmten Höhe gegenüber dem FA eine substantiierte eigene Schätzung anhand der ihm zugänglichen Erkenntnisquellen vornehmen.

BFH v. 23.09.2020, XI R 1/19

Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO gestellt, so läuft gem. § 171 Abs. 3 AO die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist.

Im Streitfall hat der Kläger einen Antrag auf Schätzung eines bestimmten Verlustbetrages ohne weitere sachverhaltsbezogene Darlegungen gestellt. Strittig war, ob die Voraussetzung für den Eintritt der Ablaufhemmung i. S. d. § 171 Abs. 3 AO erfüllt ist, wenn zwar eine Verpflichtung zur Erstellung und Abgabe einer Steuererklärung vorliegt, der Antrag aber nicht zeitgleich oder im Zusammenhang mit der Abgabe einer Steuererklärung gestellt wird.
Der BFH hat entschieden, dass die Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO nur dann greift, wenn sich das vom Antragsteller verfolgte Begehren zumindest in großen Zügen bereits aus dem Antrag ergibt. Angaben zur betragsmäßigen Auswirkung sind für die Bestimmung des Antrags für sich genommen nicht ausreichend.

Stellt ein Steuerpflichtiger, der zur Einreichung einer Steuererklärung gesetzlich verpflichtet ist, vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei dem für ihn zuständigen FA einen Antrag, kommt diesem die Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO nur dann zu, wenn sich das von ihm verfolgte Begehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem Antrag selbst ergibt; Angaben zur betragsmäßigen Auswirkung sind für die Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht ausreichend. Soweit dem Steuerpflichtigen wegen fehlender Unterlagen genaue Angaben (noch) nicht möglich sind, muss er zur Konkretisierung seines Antrags auf Schätzung eines Gesamtbetrags der Einkünfte in einer bestimmten Höhe gegenüber dem FA eine substantiierte eigene Schätzung anhand der ihm zugänglichen Erkenntnisquellen vornehmen.
 

1.2.Einkommensteuer

Fremdübliche Verteilung der Vertragschancen und -risiken bei einer Wertguthabenvereinbarung unter Ehegatten
Schließen Ehegatten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zusätzlich eine Wertguthabenvereinbarung i. S. d. SGB IV ab, muss für diese – gesondert – ein Fremdvergleich erfolgen.

Im Rahmen der Gesamtwürdigung ist wesentliches Indiz, ob die Vertragschancen und ‑risiken fremdüblich verteilt sind. Eine einseitige Verteilung zu Lasten des Arbeitgeber-Ehegatten ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer-Ehegatte unbegrenzt Wertguthaben ansparen sowie Dauer, Zeitpunkt und Häufigkeit der Freistellungsphasen nahezu beliebig wählen kann.

BFH v. 28.10.2020, X R 1/19
Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 EStG).


Die Kläger werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb und ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Die Klägerin arbeitete in dessen Betrieb halbtags als Bürofachkraft mit. Hierzu schlossen die Kläger rückwirkend einen Arbeitsvertrag sowie eine Ergänzungsvereinbarung zu einem Zeitwertguthabenmodell ab. Die Kläger vereinbarten darüber hinaus, dass vom Bruttogehalt der Klägerin Betrag von 1.000 € zuzüglich Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung in ein Wertguthabenkonto einbezahlt werden soll. Bei der Gewinnermittlung führte der Kläger die Einzahlungen einer Rückstellung zu und aktivierte das „Treuhandkonto“. Eine Rückstellung für das Wertguthaben erkannte das FA nach einer Außenprüfung nicht an.

Der BFH hat entschieden, dass für eine Wertguthabenvereinbarung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Ehegatten ein gesonderter Fremdvergleich vorgenommen werden muss.

Für die Beurteilung, ob Verträge zwischen nahen Angehörigen durch die Einkunftserzielung (§ 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 EStG) veranlasst oder aber durch private Zuwendungs- oder Unterhaltsüberlegungen (§ 12 Nr. 1 u. 2 EStG) motiviert sind, ist seit der Neuausrichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Anschluss an den Beschluss des BVerfG v. 07.11.1995, 2 BvR 802/90 die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten maßgebend. Zwar ist weiterhin Voraussetzung, dass die vertraglichen Hauptpflichten klar und eindeutig vereinbart sowie entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden. Jedoch schließt nicht mehr jede geringfügige Abweichung einzelner Sachverhaltsmerkmale vom Üblichen die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus. Vielmehr sind einzelne Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, ob sie den Rückschluss auf eine privat veranlasste Vereinbarung zulassen. Diese Grundsätze gelten nach § 7 S. 1 GewStG auch für die Gewerbesteuer. Wesentliche Rechtsfolge einer Wertguthabenvereinbarung ist, dass Einstellungen in das Wertguthaben keine Beitragspflicht zur Sozialversicherung auslösen (§ 23b Abs. 1 S. 1 SGB IV) und auch nicht der Lohnsteuer unterliegen, da dem Arbeitnehmer noch kein Arbeitslohn zufließt. Das FG hat übersehen, dass die Wertguthabenvereinbarung die Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses berührt. In den Zeiten der Freistellung erbringt die Klägerin ihre Arbeitsleistung vollständig bzw. in Teilen nicht und der Kläger kann die entsprechenden Zahlungen an die Klägerin, die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften als Arbeitslohn gelten, dem Wertguthabenkonto entnehmen. Gelangt das FG im zweiten Rechtsgang, was nach den bisherigen Feststellungen eher fraglich ist, zu dem Ergebnis, dass die Wertguthabenvereinbarung fremdüblich ist, wären die entsprechenden Rückstellungen nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 249 Abs. 1 HGB ertragsteuerlich anzuerkennen.
 

1.3.Internationales Steuerrecht

Besteuerungsbefugnis für Geschäftsführervergütungen und -abfindungen nach dem DBA-Polen 2003
Die vom OECD-Musterabkommen abweichende Sonderregelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003, in der die Besteuerungsbefugnis für Vergütungen einer Person in ihrer Eigenschaft als „bevollmächtigter Vertreter“ geregelt wird, gilt auch für Geschäftsführer einer deutschen GmbH. Sie erfasst auch Abfindungen.

BFH v. 30.09.2020, I R 76/17

Nach der deutschen Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 DBA Polen 2003 können „Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen“ und ähnliche Zahlungen, die eine in Polen ansässige Person „in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats“ einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft bezieht, in Deutschland besteuert werden. Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 erweitert diese Regelung auf Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in Polen ansässige Person „in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter“ einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft bezieht.

Die Beteiligten streiten über einen Haftungsbescheid, durch den die Klägerin für Lohnsteuer ihrer ehemaligen Geschäftsführerin, der Beigeladenen, in Anspruch genommen wird. Im Streit ist insbesondere die abkommensrechtliche Behandlung des laufenden Arbeitslohns und einer Abfindung. Die Klägerin, eine inländische GmbH, bestellte die Beigeladene zum Mitglied der Geschäftsführung. Sie hatte ihren Wohnsitz ausschließlich in Polen. Ihre Tätigkeit übte sie teilweise in Deutschland, zum überwiegenden Teil aber in Polen und anderen Staaten aus. Im Juli 2013 wurde die Beigeladene von ihren Tätigkeiten freigestellt. Die Beigeladene erhielt für das Jahr 2013 u. a. ihr anteiliges Festgehalt, eine variable Vergütung sowie einen Betrag zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Zudem wurde in dem Aufhebungsvertrag eine Abfindung vereinbart. Das FA nahm die Klägerin hinsichtlich derjenigen Vergütungen und geldwerten Vorteile, für die bisher keine Lohnsteuer angemeldet und abgeführt worden war, mit dem Haftungsbescheid vom 25.11.2014 gem. § 42d EStG in Anspruch.

Der BFH hat entschieden, dass die Sonderregelung des Art. 16 Abs. 2 DBA Polen auch für Geschäftsführer einer deutschen GmbH und auch für Abfindungen gilt.

Deutschland hat als Ansässigkeitsstaat der Klägerin gem. Art. 16 DBA Polen 2003 das Besteuerungsrecht für sämtliche Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen (einschließlich der Abfindung). Auch wenn in der deutschen Sprachfassung des Art. 16 DBA Polen 2003 Geschäftsführer einer GmbH nicht ausdrücklich erwähnt werden, sind sie als „bevollmächtigter Vertreter“ i. S. d. Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 anzusehen. Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 erfasst die gesamten Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen einschließlich der Abfindung. Nach ihrem Wortlaut regelt die Vorschrift ein Besteuerungsrecht für „Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen“, die von einer Person „in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter einer Gesellschaft“ bezogen werden. Aufgrund dieses Wortlauts ist die Rechtsprechung des BFH zur Behandlung von Abfindungen nach abkommensrechtlichen Regelungen, die Art. 15 OECD-MustAbk nachgebildet sind, nicht entsprechend anwendbar. Nach Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 genügt es, wenn die Vergütung in der „Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter“ bezogen wird. Damit knüpft die Vorschrift nicht an die konkrete Tätigkeit, sondern lediglich an den Status des Steuerpflichtigen an, im Streitfall also an den Status der Beigeladenen als Geschäftsführerin der Klägerin. Deshalb werden auch Abfindungen erfasst, die aufgrund der Beendigung dieses Status gezahlt werden.
 

1.4.Bilanzsteuerrecht

Beitrittsaufforderung an BMF: Verfahrensrechtliche Umsetzung des § 6b EStG bei mitunternehmerbezogener Übertragung
Das BMF wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten. Es wird gebeten, dazu Stellung zu nehmen, in welcher Weise bei Übertragung eines Veräußerungsgewinns nach § 6b EStG auf anteilige Anschaffungs- und Herstellungskosten einer Personengesellschaft, an der der Veräußerer mitunternehmerisch beteiligt ist, nach den Vorgaben der AO die Entscheidung darüber getroffen werden muss, ob und ggf. wann und in welcher Höhe die Voraussetzungen für eine Bildung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG erfüllt sind, und ob und ggf. in welchem Umfang und auf welche Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens der Mitunternehmerschaft der in die Rücklage eingestellte Gewinn übertragen werden kann.

BFH v. 02.07.2020, IV R 7/19

Nach § 6b Abs. 1 EStG können Gewinne aus der Veräußerung von Grund und Boden u. a. auf Anschaffungskosten von Grund und Boden und Gebäuden, die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Jahr angeschafft oder hergestellt worden sind, übertragen werden. Soweit eine Übertragung nicht vorgenommen wird, kann nach § 6b Abs. 3 EStG im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden. Bis zur Höhe der Rücklage können sodann die Anschaffungs- und Herstellungskosten nach § 6b EStG begünstigter Wirtschaftsgüter, die in den folgenden vier Jahren angeschafft oder hergestellt werden, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung gekürzt werden. In Höhe des Kürzungsbetrags ist die Rücklage aufzulösen.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger eine in seinem landwirtschaftlichen Betrieb nach der Veräußerung einer betrieblichen Grundstücksfläche im Wirtschaftsjahr 2001/2002 gebildete Rücklage nach § 6b EStG zum 30.06.2006 wirksam auf eine Beteiligung des Klägers an der Firma (KG) übertragen konnte. Der Feststellungserklärung 2006 der KG lag hinsichtlich des Klägers eine Übertragung der nach § 6b EStG gebildeten Rücklage i. H. v. 400.000 € zugrunde. Das FA führte im Prüfungsbericht 2011 aus, dass eine Übertragung von Rücklagen nach § 6b EStG bei einzelnen Gesellschaftern – unter anderem dem Kläger – nicht möglich sei, da der Rücklagenbildung eine Veräußerung zugrunde liege, die im Zeitraum nach dem 31.12.1998 und vor dem 01.01.2002 stattgefunden habe und daher eine andere Gesetzesfassung gelte. Diese lasse nur rechtsträgerbezogene Reinvestitionen zu.

Der BFH hat das BMF zum Beitritt des Verfahrens aufgefordert. Das BMF soll dazu Stellung nehmen wie § 6b EStG verfahrensrechtlich bei mitunternehmerbezogener Übertragung umzusetzen ist.

Es ist denkbar, die bindende Entscheidung sowohl über die Berechtigung zur Rücklagenbildung als auch zur wirksamen Übertragung in den Veranlagungsverfahren für den Betrieb des Veräußerers zu treffen. Denn das Wahlrecht zur Rücklagenbildung ist in diesem Betrieb auszuüben, und nicht übertragene Gewinne sind Bestandteil des Gewinns dieses Betriebs. Soll der Gewinn auf Wirtschaftsgüter einer Personengesellschaft übertragen werden, wären die Einkommensteuerbescheide bzw. Gewinnfeststellungsbescheide im Jahr der Rücklagenbildung und im Jahr der freiwilligen oder wegen Fristablaufs zwingend notwendigen Auflösung der Rücklage Grundlagenbescheide für Feststellungsbescheide über den Gewinn der Personengesellschaft. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen in Bezug auf den Reinvestitionsbetrieb müsste sich das für den Veräußerungsbetrieb zuständige Finanzamt ggf. im Wege der Amtshilfe von dem für den Reinvestitionsbetrieb zuständigen Finanzamt beschaffen. Rechtsschutz könnte ausschließlich gegen die Grundlagenbescheide begehrt werden. Denkbar ist auch, dass über die Berechtigung zur Rücklagenbildung und die freiwillige oder zwangsläufige Auflösung der Rücklage in Bescheiden betreffend den Veräußerungsbetrieb, über die Frage der Übertragung dem Grunde und der Höhe nach aber in Bescheiden für den Reinvestitionsbetrieb zu entscheiden ist. Die Bescheide könnten dann wechselbezüglich jeweils Grundlagen- und Folgebescheid sein. Rechtsschutz wäre jeweils dort zu gewähren, wo die Wirkung eines Grundlagenbescheids eintritt. Schließlich ist in Betracht zu ziehen, dass über die Bildung der Rücklage und deren Übertragung sowohl in Verfahren betreffend den Veräußerungsbetrieb als auch in Verfahren betreffend den Reinvestitionsbetrieb eigenständig zu entscheiden ist. Die jeweiligen Bescheide stünden dann nicht in einem Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid und könnten sich materiell widersprechen. Rechtsschutz könnte gegen jeden dieser Bescheide umfassend begehrt werden, ohne allerdings Gewähr dafür bieten zu können, dass widersprüchliche Ergebnisse vermieden werden.
 
 

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