Rechtsprechung KW 43-2018

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Nichtigkeit von Schätzungen
Die bloße Absicht der Finanzbehörde, den Steuerpflichtigen durch das Schätzungsergebnis zu sanktionieren ("Strafschätzung"), löst für sich genommen noch keine Nichtigkeit der hierauf beruhenden Steuerfestsetzung nach § 125 Abs. 1 AO aus. Hinzu kommen muss, dass die Schätzung bei objektiver Betrachtung den durch die Umstände des Einzelfalls gezogenen Schätzungsrahmen verlässt, d. h. objektiv fehlerhaft ist.
BFH v. 06.08.2018, X B 22/18
Hinweis:
Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besondes schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist, § 125 Abs. 1 AO. Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen, § 162 Abs. 1 S. 1 AO.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Für das Streitjahr gaben die Kläger keine Einkommensteuererklärung ab. Das FA berücksichtigte bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Schätzungswege einen Betrag von 0 €. Erst nach Eintritt der Bestandskraft reichten die Kläger Einkommensteuererklärungen ein, in denen sie Verluste aus Gewerbebetrieb auswiesen. Eine Änderung lehnte das FA unter dem Hinweis auf die Bestandskraft (und fehlenden verfahrensrechtlichen Änderungsmöglichkeiten) ab. Die Kläger beantragten die Feststellung der Nichtigkeit der Steuerfestsetzungen, da es sich um willkürliche, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichende „Strafschätzungen“ handele.
Der BFH hat entschieden, dass eine Strafschätzung nur dann nichtig ist, wenn die Schätzung den Schätzungsrahmen verlässt.
Während eine Schätzung, die sich sogar am oberen Rand des einzelfallabhängigen Schätzungsrahmens orientiert, noch als rechtmäßig gilt, führt eine solche, die jenen Rahmen nach oben (oder unten) verlässt, zur Rechtswidrigkeit und Anfechtbarkeit. Selbst grobe Abweichungen vom Schätzungsrahmen haben regelmäßig nur die Rechtswidrigkeit, nicht aber die Nichtigkeit zur Folge. Gründet sich die insoweit fehlerhafte Schätzung - dritte Stufe - allerdings darauf, dass sich die Finanzbehörde entgegen dem Regelungsauftrag in § 162 Abs. 1 AO nicht an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt, kann ein zur Nichtigkeit führender besonders schwerer Fehler i. S. v. § 125 Abs. 1 AO vorliegen (sog. subjektive Willkürmaßnahme). Selbiges gilt, wenn ein ebenfalls als fehlerhaft zu disqualifizierendes Schätzungsergebnis trotz vorhandener Sachverhaltsaufklärungsmöglichkeiten krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden, sog. objektive Willkürmaßnahme.

1.2.Einkommensteuer

Mitunternehmerinitiative eines atypisch still Beteiligten
Ist der stille Gesellschafter neben einer Gewinnbeteiligung und einer auf seine Einlage beschränkten Verlustbeteiligung im Falle des Ausscheidens und der Liquidation an den stillen Reserven des Betriebsvermögens einschließlich des Zuwachses an dem Firmenwert beteiligt, steht seiner Mitunternehmerstellung nicht entgegen, dass seine Initiativrechte auf die des § 233 HGB beschränkt sind.
BFH v. 19.07.2018, IV R 10/17
Hinweis:
Nach § 179 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 und § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. a AO werden gesondert und einheitlich festgestellt die körperschaft- und einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Mehrere Personen sind an Einkünften beteiligt, wenn sie den Tatbestand der Einkunftserzielung in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft erfüllen.
Der Kläger ist ein österreichischer Staatsangehöriger und wohnt in Österreich. Der Kläger hatte mit der A-GmbH (GmbH) vereinbart, dass er sich an dieser mit einer Einlage in Höhe von 100.000 EUR als stiller Gesellschafter beteiligt. Lt. dem Gesellschaftsvertrag war der Kläger an Gewinn/Verlust und den stillen Reserven beteiligt. Ferner standen dem Kläger die Informations- und Kontrollrechte des § 233 HGB zu. Streitig war, ob der Kläger als atypisch stiller Gesellschafter anzusehen war und somit eine einheitliche und gesonerte Gewinnfeststellung durchzuführen war.
Der BFH hat entschieden, dass der Mitunternehmerstellung des Klägers nicht entgegensteht, dass dessen Initiativrechte auf die des § 233 HGB beschränkt waren.
Bei einem Gewerbebetrieb ist eine einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte vorzunehmen (§ 179 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 AO, § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. a AO), wenn mehrere Personen den Betrieb als Unternehmer (Mitunternehmer) führen (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG). Mitunternehmer in diesem Sinne ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch, wer sich am Betrieb eines Anderen als atypisch stiller Gesellschafter bzw. diesem ähnlicher Innengesellschafter beteiligt. Kennzeichnend für den Mitunternehmer ist, dass er zusammen mit anderen Personen eine Unternehmerinitiative (Mitunternehmerinitiative) entfalten kann und ein Unternehmerrisiko (Mitunternehmerrisiko) trägt. Mitunternehmerinitiative bedeutet vor allem Teilnahme an unternehmerischen Entscheidungen, wie sie z. B. Gesellschaftern oder diesen vergleichbaren Personen als Geschäftsführern, Prokuristen oder anderen leitenden Angestellten obliegen. Ausreichend ist allerdings schon die Möglichkeit zur Ausübung von Gesellschafterrechten, die wenigstens den Stimm-, Kontroll- und Widerspruchsrechten angenähert sind, die einem Kommanditisten nach dem HGB zustehen oder die den gesellschaftsrechtlichen Kontrollrechten nach § 716 Abs. 1 BGB entsprechen.  Mitunternehmerrisiko bedeutet gesellschaftsrechtliche oder eine dieser wirtschaftlich vergleichbare Teilnahme am Erfolg und Misserfolg eines gewerblichen Unternehmens. Dieses Risiko wird regelmäßig durch Beteiligung an Gewinn und Verlust sowie an den stillen Reserven des Anlagevermögens einschließlich eines Geschäftswerts vermittelt. Trägt der stille Gesellschafter ein dem Bild eines Kommanditisten entsprechendes Risiko, d. h. ist er neben einer Gewinnbeteiligung und einer auf seine Einlage beschränkten Verlustbeteiligung im Falle des Ausscheidens und der Liquidation an den stillen Reserven des Betriebsvermögens einschließlich des Zuwachses an dem Firmenwert beteiligt, so steht seiner Mitunternehmerstellung nicht von vornherein entgegen, dass seine Initiativrechte auf die des § 233 HGB beschränkt sind, die denen des § 166 HGB im Kern entsprechen.

1.3.Internationales Steuerrecht

Hinzurechnung passiver Einkünfte nach § 8 AStG und Gegenbeweis - verdeckte Einlagen in Dreiecksverhältnissen
Bei der Ermittlung der dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AStG) sind im Falle von Geschäftsbeziehungen zwischen (Kapital-)Gesellschaft und Gesellschafter zu nicht fremdüblichen - d. h. durch das Gesellschaftsverhältnis bestimmten - Bedingungen die hierdurch veranlassten Einkünfteminderungen und verhinderten Einkünfteerhöhungen ebenso wie die Zuführungen zum Gesellschaftsvermögen in entsprechender Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KStG - mithin durch den Ansatz von vGA und verdeckten Einlagen - zu korrigieren (Bestätigung der Rechtsprechung).
Eine verdeckte Einlage, die auf der vGA einer dem Gesellschafter nahestehenden Person beruht und bei der Besteuerung des Gesellschafters nicht berücksichtigt wurde, kann zwar nach Maßgabe von § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG das Einkommen der empfangenden Körperschaft erhöhen. An einer Nichtberücksichtigung i. S. von § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG fehlt es jedoch, wenn die vGA bei der Veranlagung des Gesellschafters zwar nicht erfasst worden ist, jedoch nach Maßgabe von § 8b Abs. 1 KStG ohnehin hätte außer Ansatz bleiben müssen.
Die Grundsätze des EuGH-Urteils Cadbury Schweppes vom 12. September 2006 C-196/04 (EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995) zur Rechtfertigung der britischen Hinzurechnungsbesteuerung sind auch im Bereich der §§ 7 ff. AStG zu beachten (Bestätigung der Rechtsprechung).
Von der Hinzurechnungsbesteuerung ist hiernach jedenfalls dann abzusehen, wenn die der Hinzurechnung unterliegenden Einkünfte auf einer "wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit" und damit auf einer von der Zwischengesellschaft selbst ausgeübten Tätigkeit beruhen.
BFH v. 13.06.2018, I R 94/15
Hinweis:
Die §§ 7 bis 14 AStG regeln den inländischen Steuerzugriff auf Gewinne aus ausländischen Zwischengesellschaften ohne aktive Geschäftstätigkeit. Der inländischen Besteuerung unterliegen dabei auch thesaurierte Gewinne aus sog. passiven Tätigkeiten i. S. v. § 8 Abs. 1 AStG.
Die unbeschränkt steuerpflichtige Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Wirtschaftsjahr 2007 zu 100 % an der in den Niederlanden ansässigen B B.V. und diese wiederum zu 100 % an der auf Zypern ansässigen C Ltd. beteiligt. Hauptaufgabe der C Ltd. war es, Lizenzen an Urheberrechten einzuholen, um an diesen jeweils Unterlizenzen zu Gunsten anderer Konzerngesellschaften (... Ukraine, ... Russland und ... Russland) zu bestellen. Mittels der Unterlizenzen verbreiteten diese Gesellschaften die entsprechenden Bücher auf dem russisch-sprachigen Markt. Bei den Lizenzeinkünften handelte es sich um passive Einkünfte nach § 8 Abs. 1 Nr. 6a AStG, die niedrig besteuert wurden, so dass diese als Einkünfte einer nachgeschalteten Zwischengesellschaft über §§ 7, 14 AStG bei der deutschen Muttergesellschaft der Hinzurechnung unterlagen. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Begründung, dass die C-Ltd. eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit in Zypern ausübe; die Grundsätze der Hinzurechnungsbesteuerung fänden deswegen aus unionsrechtlichen Gründen keine Anwendung.
Der BFH hat entschieden, dass der Anwendungsbereich der Grundsätze des EuGH-Urteils Cadburry Schweppes auch im Bereich der §§ 7ff AStG zu beachten ist und somit von einer Hinzurechnungsbesteuerung abzusehen ist, wenn die der Hinzurechnung untrerliegenden Einkünfte auf einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Zwischengesellschaft beruhen.
Nach § 10 Abs. 3 S. 1 AStG sind die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln. Demgemäß sind im Falle von Geschäftsbeziehungen zwischen (Kapital-)Gesellschaft und Gesellschafter zu nicht fremdüblichen - d. h. durch das Gesellschaftsverhältnis bestimmten - Bedingungen die hierdurch veranlassten Einkünfteminderungen und verhinderten Einkünfteerhöhungen ebenso wie die Zuführungen zum Gesellschaftsvermögen in entsprechender Anwendung von § 8 Abs. 3 S. 2 bzw. S. 3 KStG durch den Ansatz von verdeckten Gewinnausschüttungen und verdeckten Einlagen zu korrigieren. Die verdeckte Einlage hat im vorliegenden Fall das Einkommen nicht erhöht (vgl. § 8 Abs. 3 S. 3 KStG). § 8 Abs. 3 S. 5 KStG bestimmt zwar, dass sich das Einkommen abweichend von dieser Regelung erhöht, soweit eine verdeckte Einlage auf einer vGA einer dem Gesellschafter nahe stehenden Person beruht und bei der Besteuerung des Gesellschafters nicht berücksichtigt wurde. Das ist aber nach Ansicht des BFH nicht der Fall, wenn die vGA bei der Veranlagung des Gesellschafters zwar nicht erfasst worden sei, sie nach Maßgabe von § 8b Abs. 1 KStG (keine Anwendung von § 8b Abs. 1 S. 2 wegen dessen S. 4 KStG) aber ohnehin hätte außer Ansatz bleiben müssen. Im Ergebnis mache das keinen Unterschied. So oder so werde die vGA nicht im Sinne von § 8 Abs. 3 S. 5 KStG berücksichtigt. Die Grundsätze des EuGH-Urteils Cadbury Schweppes v. 12.09.2006 - C-196/04 zur Rechtfertigung der britischen Hinzurechnungsbesteuerung sind auch im Streitfall anzuwenden. Zwar ist § 8 Abs. 2 AStG n.F. nach seinem zeitlichen Anwendungsbereich nicht einschlägig. Insoweit ist jedoch der Anwendungsvorrang des Primärrechts der EU und damit der unionsrechtlichen Grundfreiheiten vor nationalem Recht auch mit Blick auf die Steuerbelastungen der §§ 7 ff. AStG zu beachten (Bestätigung der Rechtsprechung).
 

Neueste Einträge