Auswertung Aufsätze 03 - 2022

 

1.Verfahrensrecht

1.1.NWB

Verlängerung der Steuererklärungsfristen und Karenzzeiten für 2020 bis 2022 - Regierungsentwurf eines Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes
Baum, NWB 08/2022, S. 494

Anmerkung
Durch das ATAD-Umsetzungsgesetz (ATADUmsG) waren die Steuererklärungsfristen und die zinsfreien Karenzzeiten für 2020 bereits allgemein um jeweils drei Monate verlängert worden. Nach dem Regierungsentwurf eines Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes sollen diese Fristen nun noch einmal verlängert werden. Außerdem sollen zugleich die Erklärungsfristen und Karenzzeiten für 2021 und 2022 maßvoll, aber degressiv verlängert werden. Mit diesen Rechtsänderungen soll den andauernden Zusatzbelastungen der Steuerpflichtigen und insbesondere der Angehörigen der steuerberatenden Berufe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Rechnung getragen werden.

Da die Fristen für die Abgabe der Steuer- und Feststellungserklärungen für 2020, 2021 und 2022 allgemein, allerdings unterschiedlich verlängert werden sollen, sollen auch die zinsfreien Karenzzeiten nach § 233a Abs. 2 S. 1 und 2 AO entsprechend verlängert werden.


Neue Rechtsprechung zu § 171 Abs. 14 AO – Entschärfung einer Geheimwaffe der Finanzverwaltung?
Redeker, Bleifeld, DStR 09/2022, S. 385

Anmerkung
Die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch endet nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 noch nicht verjährt ist (§ 228) (§ 171 Abs. 14 AO).

Mit Urteil v. 27.07.2021, V R 3/20 hat der BFH hat entschieden, dass beim Bauleistenden keine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 14 AO eintritt.
  • Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO setzt voraus, dass der Erstattungsanspruch vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist (Anschluss an BFH v. 04.08.2020 – VIII R 39/18, BFHE 270, 81, DStRE 2021, 46, sowie v. 25.11.2020 – II R 3/18, BFHE 272, 1, DStRE 2021, 679).
  • In den sog. Bauträgerfällen führt ein Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers (Bauträger) nicht zu einer Ablaufhemmung für die Steuerfestsetzung beim Bauleistenden, wenn im Zeitpunkt der Festsetzung des Erstattungsanspruchs bereits Festsetzungsverjährung beim Bauleistenden eingetreten ist.
Die Verfasser weisen darauf hin, dass der BFH bislang die Fragen, ob ein vor Eintritt der Festsetzungsverjährung entstandener, aber wegen Erfüllung bereits erloschener Erstattungsanspruch die Verjährung nach § 171 Abs. 14 AO hemmen kann und ob die Norm auch Erstattungsansprüche von Dritten erfasst, nicht entscheiden musste. Beide Fälle sind nach Ansicht der Verfasser aufgrund des Sinns und Zwecks der Norm in dem Sinne zu lösen, dass § 171 Abs. 14 AO einen (noch) bestehenden Erstattungsanspruch erfordert und Erstattungsansprüche eines Dritten i. R. v. § 171 Abs. 14 AO die Verjährung nicht hemmen können. Insoweit sei eine weitere Eingrenzung der praktischen Rechtsanwendung geboten.
 

2.Erbschaft-/Schenkungsteuer

2.1.DStR

FG Münster schränkt den Anwendungsbereich des Einstiegstests nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG durch teleologische Reduktion ein
Bernhard, DStR 11/2022, S. 513

Anmerkung
Nach § 13a Abs. 1 S. 1 ErbStG bleibt begünstigtes Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 2 zu 85 % steuerfrei (Verschonungsabschlag), wenn der Erwerb begünstigten Vermögens i. S. d. § 13b Abs. 2 ErbStG zuzüglich der Erwerbe i. S. d. Satzes 2 insgesamt 26 Millionen Euro nicht übersteigt. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Verschonungsabschlags sind im Streitfall erfüllt. § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG sieht vor, dass – abweichend von § 13b Abs. 2 S. 1 ErbStG, welcher das begünstigte Vermögen definiert – der Wert des begünstigungsfähigen Vermögens vollständig nicht begünstigt ist, wenn das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 4 ErbStG vor der Anwendung des § 13b Abs. 3 S. 1 ErbStG, soweit das Verwaltungsvermögen nicht ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Schulden aus durch Treuhandverhältnisse abgesicherten Altersversorgungsverpflichtungen dient und dem Zugriff aller übrigen nicht aus diesen Altersversorgungsverpflichtungen unmittelbar berechtigten Gläubiger entzogen ist, sowie der Schuldenverrechnung und des Freibetrags nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG sowie § 13b Abs. 6 u. 7 mindestens 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt.

Mit Urteil v. 24.11.2021, 3 K 2174/19 Erb hat das FG Münster zur Nichtanwendbarkeit der 90 %-Grenze des sog. Einstiegstests nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG entschieden.
  • Der Verschonungsabschlag und der Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG sind nicht zu versagen, wenn eine Kapitalgesellschaft deren Anteile unentgeltlich übertragen wurden, ihrem Hauptzweck nach einer land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient.
  • Die Vorschrift des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG ist im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen, dass der sog. Einstiegstest nicht zur Anwendung kommt, wenn die betreffende Gesellschaft hauptsächlich Tätigkeiten i. S. des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG dient.
  • § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG soll solches begünstigungsfähiges Vermögen von der Verschonung ausnehmen, das nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen besteht, weil die Verschonung betrieblichen Vermögens verfassungskonform ausgestaltet werden sollte, um die vorhandene Beschäftigung in den übergehenden Betrieben zu sichern.
Bis zur Entscheidung des BFH in dieser anhängigen Rechtssache ist dem Einstiegs- bzw. 90 %-Test des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG samt seiner Konsequenzen nach Ansicht des Verfassers weiterhin mit größter Sorgfalt in der täglichen Steuerrechtspraxis zu begegnen. Selbst die laufende Beratung von Unternehmermandaten erfordere ein permanentes und besonderes Augenmerk auf den Einstiegstest, damit auch in nicht planbaren Erbfällen keine nachteiligen Konsequenzen aus dieser Regelung entstehen, wobei in Erbfällen u. U. die Investitionsklausel gem. § 13b Abs. 5 ErbStG bemüht werden könne, ­sofern ein entsprechend vorgefasster Plan des Erblassers nachweislich bestehe.
 
 

3.Umsatzsteuer

3.1.DStR

Die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsräten - Kritische Betrachtung einzelner Aspekte des BMF-Schreibens v. 08.07.2021
Masuch, Fetzer, DStR 09/2022, S. 385

Anmerkung
Mit Urteil vom 27.11.2019, V R 23/19, V R 62/17 hat der BFH u. a. entschieden, dass das Mitglied eines Aufsichtsrats entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig ist, wenn es aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko trägt.
  • Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig.
  • Ist eine Gutschrift nicht über eine Leistung eines Unternehmers ausgestellt, steht sie einer Rechnung nicht gleich und kann keine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG begründen.
Besteht die Vergütung sowohl aus festen als auch variablen Bestandteilen, ist ein Aufsichtsratsmitglied laut BMF grundsätzlich selbständig tätig, wenn die variablen Bestandteile im Kalenderjahr mindestens 10 % der gesamten Vergütung (einschließlich Aufwandsentschädigungen) betragen.
 

4.Einkommensteuer

4.1.NWB

Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften gegen Raten und wiederkehrende Bezüge - Ausgewählte Problemfelder zu § 17 EStG
Deutschländer, NWB 10/2022, S. 667

Anmerkung

Anteilsveräußerung gegen Raten
Soweit Anteile i. S. d, § 17 Abs. 1 EStG gegen Raten veräußert werden, ist als Veräußerungspreis i. S. d. § 17 Abs. 2 S. 1 EStG im Zeitpunkt der Veräußerung ungeachtet von Fälligkeits- und Zuflusszeitpunkt der einzelnen Raten – denn für Fälle des § 17 EStG gilt grds. das Stichtagsprinzip – der gemeine Wert (= Gegenwartswert oder auch Barwert) gem. § 12 Abs. 3 BewG anzusetzen. Der gemeine Wert der Kaufpreisforderung ist in diesem Fall durch Abzinsung unter Zuhilfenahme der Vervielfältiger gem. Tabelle 2 der gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 10.10.2010, BStBl. 2010 I, 810) bzw. der Tabelle 3 gem. BMF-Schreiben v. 26.05.2005, BStBl. 2005 I, 699) zu ermitteln, d. h. die Kaufpreisforderung ist in einen Zins- und Tilgungsanteil aufzuspalten.

Anteilsveräußerung gegen Leibrente
Bei einer Anteilsveräußerung i. S. d. § 17 EStG gegen Leibrente gelten die Grundsätze einer Betriebsveräußerung i. S. d. § 16 EStG gegen Leibrente sinngemäß (s. BMF-Schreiben v. 03.08.2004, BStBl. 2004 I, 1187; R 17 Abs. 7 S. 2 EStR i. V. m. R 16 Abs. 11 EStR). Danach hat ein Steuerpflichtiger bei der Veräußerung einer Beteiligung i. S. des § 17 EStG gegen eine Leibrente gleichermaßen ein Wahlrecht zwischen der Sofortversteuerung und der nachträglichen Versteuerung bzw. Zuflussversteuerung (R 17 Abs. 7 S. 2 EStR i. V. m. R 16 Abs. 11 S. 1, 6 u. 7 EStR).

Anteilsveräußerung gegen dauernde Last
Eine dauernde Last stellt ebenfalls einen wiederkehrenden Bezug dar und so gilt auch hier nach Ansicht des Verfassers das Wahlrecht zwischen Sofortversteuerung und nachträglicher Versteuerung bzw. Zuflussversteuerung entsprechend.


Steuerpflichtige Spekulationen mit Kryptowährungen - FG Köln, Urteil v. 25.11.2021 - 14 K 1178/20
Urban, NWB 10/2021, S. 681

Anmerkung
Mit Urteil v. 25.11.2021, 14 K 1178/20 hat das FG Köln zur Steuerpflicht von Gewinnen aus der Veräußerung von Kryptowährungen entschieden.

Der Kläger verfügte zu Beginn des Jahres 2017 über zuvor erworbene Bitcoins. Diese tauschte er im Januar 2017 zunächst in Ethereum-Einheiten und die Ethereum-Einheiten im Juni 2017 in Monero-Einheiten. Ende des Jahres 2017 tauschte er seine Monero-Einheiten teilweise wieder in Bitcoins und veräußerte diese noch im gleichen Jahr. Für die Abwicklung der Geschäfte hatte der Kläger über digitale Handelsplattformen entweder Kaufverträge mit Anbietern bestimmter Kryptowerte zu aktuellen Kursen oder Tauschverträge, bei denen er eigene Kryptowerte als Gegenleistung eingesetzt hat, geschlossen. Der Kläger erklärte den aus der Veräußerung erzielten Gewinn von rund 3,4 Millionen Euro in seiner Einkommensteuererklärung 2017 als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß fest. Der Kläger legte daraufhin Einspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Kryptowährungen ein strukturelles Vollzugsdefizit bestehe und ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vorliege. Daher dürften diese Gewinne nicht besteuert werden. Im Übrigen fehle es bei Kryptowährungen an der erforderlichen Veräußerung eines „Wirtschaftsguts“.

Dem folgte das Finanzgericht Köln nicht und wies die Klage ab. Ein strukturelles Vollzugsdefizit liege nicht vor. Dieses werde insbesondere nicht durch die anonyme Veräußerung begründet. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts vor. Bei den Kryptowährungen handele es sich um „andere Wirtschaftsgüter“ im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Die Qualifikation als Wirtschaftsgut verstoße nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, da über den Gegenstand des Wirtschaftsguts keine Unklarheiten bestünden. Die vom Kläger gehandelten Kryptowerte (Bitcoin, Ethereum und Monero) seien verkehrsfähig und selbständig bewertbar. Zudem bestehe eine strukturelle Vergleichbarkeit mit Fremdwährungen.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das Revisionsverfahren ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen IX R 3/22 anhängig.


Grundsätze der Kaufpreisaufteilung erneut auf dem Prüfstand - Wurden die Vorgaben des BFH zutreffend in der BMF-Arbeitshilfe umgesetzt?
Graf, Nacke, NWB 12/2022, S. 822

Anmerkung
Gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 EStG ist im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG als AfA bei Gebäuden ein bestimmter Prozentsatz der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzuziehen.

Mit Urteil v. 30.09.2020, 3 K 233/18 hat das FG Hamburg zur Kaufpreisaufteilung bei einer als Ferienwohnung genutzten Eigentumswohnung entschieden.
  • Auch bei einer als Ferienwohnung genutzten Eigentumswohnung ist grundsätzlich eine Kaufpreisaufteilung unter Anwendung des Sachwertverfahrens angebracht.
Nach der BMF-Arbeitshilfe ist eine Hierarchie der Bewertungsmethoden gegeben, die nach Ansicht der Verfasser mit den Grundsätzen des BFH nicht vollständig übereinstimmt. Wie der Fall des FG Hamburg zeige, bestehe zwischen dem Ertragswertverfahren und dem Sachwertverfahren grundsätzlich keine Rangfolge.

Entsprechend den BFH-Vorgaben sei nach den Umständen im Einzelfall eine Auswahl zwischen den an sich gleichwertigen Bewertungsmethoden vorzunehmen, die die Arbeitshilfe nicht zulasse. Ein weiterer Kritikpunkt an der Arbeitshilfe des BMF betreffe die Berücksichtigung von Regionalfaktoren. Sie sei nur dann möglich, wenn – so die Arbeitshilfe des BMF − diese vom Gutachterausschuss festgelegt wurden. Bis dahin müssen die lokalen Gegebenheiten in anderer Form einfließen. Neben der Auswahl der Bewertungsmethode erscheint auch der Hinweis des BMF von Bedeutung, dass objektspezifische Grundstücksmerkmale i. S. des § 8 Abs. 3 ImmoWertV von der Arbeitshilfe nicht berücksichtigt werden (s. Anleitung zur Kaufpreisaufteilung 2021 (KPA 2) S. 1 linke Spalte). Des Weiteren fehlen einheitliche Grundsätze für die steuerliche Bewertung für die Gutachter.


BFH-Urteil zu Drittstaaten-Spin-Offs - Ertragsteuerliche Folgen für inländische Privatanleger und Auswirkungen auf das steuerliche Einlagekonto
Müller, NWB 12/2022, S. 827

Anmerkung
Mit Urteil v. 19.10.2021, VIII R 7/20 hat der BFH zur Zuteilung von Aktien im Rahmen eines ausländischen „Spin-Off“ vor Inkrafttreten des § 20 Abs. 4a S. 7 EStG und zu den ertragsteuerlichen Folgen für den inländischen Privatanleger entschieden.
  • Drittstaatenabspaltungen, die einer inländischen Abspaltung i. S. des § 123 Abs. 2 UmwG vergleichbar sind, fallen bis zum Inkrafttreten des § 20 Abs. 4a S. 7 EStG bei unionsrechtskonformer Auslegung in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 4a S. 1 EStG.
  • Ein ausländischer „Spin-Off“, der aus nationaler Sicht eine Ausgliederung i. S. des § 123 Abs. 3 UmwG mit anschließender Sachausschüttung der Aktien am übernehmenden Rechtsträger darstellt, kann einer Abspaltung i. S. des § 123 Abs. 2 UmwG dann vergleichbar sein, wenn die Übertragung der Vermögenswerte in einem einheitlichen „zeitlichen und sachlichen Zusammenhang“ mit der und gegen die Übertragung von Anteilen an der übernehmenden Gesellschaft erfolgt (Anschluss an BFH-Urteile vom 01.07.2021 – VIII R 9/19, und VIII R 15/20).
 

4.2.DStR

Zum Dauerüberzahlerprivileg gemäß § 44a Abs. 5 EStG aus Sicht von Führungs- und Funktionsholdinggesellschaften - Zugleich Besprechung des Urteils des FG München v. 15.03.2021
Kiesow, DStR 12/2022, S. 589

Anmerkung
Gemäß § 44a Abs. 5 S. 1 EStG ist bei Kapitalerträgen im Sinne des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2, 5-7 u. 8-12 sowie S. 2 EStG, die einem unbeschränkt oder beschränkt einkommensteuerpflichtigen Gläubiger zufließen, der Steuerabzug nicht vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragsteuer bei ihm auf Grund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher wäre als die gesamte festzusetzende Einkommen­steuer oder Körperschaftsteuer. Die Voraussetzung des § 44a Abs. 5 S. 1 EStG ist durch eine Bescheinigung des für den Gläubiger zuständigen Finanzamts nachzuweisen (§ 44a Abs. 5 S. 4 EStG). Die Bescheinigung ist unter dem Vorbehalt des Widerrufs auszustellen (§ 44a Abs. 5 S. 5 EStG).

Mit Urteil v. 15.03.2021, 7 K 1827/18 hat das FG München zum Dauerüberzahlungsprivileg gem. § 44a Abs. 5 EStG aus Sicht von Führungs- und Funktionsholdinggesellschaften entschieden.

Die bei einer Führungs- und Funktionsholding gegebene Dauerüberzahlungssituation beruht auf der Art ihrer Geschäfte, sofern der Unternehmensgegenstand allein im Halten von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften besteht, die Einkünfte also fast ausschließlich aus steuerfreien, aber kapitalertragsteuerpflichtigen Beteiligungserträgen bzw. Veräußerungsgewinnen stammen.
  • Werden im Rahmen der Holdingfunktion gegenüber der Tochtergesellschaft auch Beratungsleistungen erbracht, stellt dies die Dauerüberzahlungssituation nicht infrage, wenn die Holdinggesellschaft nicht über eigenes Personal zur Erbringung solcher Leistungen verfügt, sie also organisatorisch nicht dafür ausgestattet ist, Beratungsleistungen erwerbswirtschaftlich zu erbringen und hieraus substantielle Gewinne zu erzielen.
  • Eine Dauerüberzahlungssituation ist nicht nur dann gegeben, wenn die gesamte einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten ist. Ausreichend ist, dass die festgesetzte Körperschaftsteuer geringer als die anzurechnende Kapitalertragsteuer ist.
  • Zur Bestimmung der „Art der Geschäfte“ im Sinne von § 44a Abs. 5 EStG ist nicht der satzungsmäßig bestimmte Unternehmensgegenstand maßgeblich, sondern die tatsächlich ausgeübte Unternehmenstätigkeit.
  • Die sogenannte Dauerüberzahlerbescheinigung nach § 44a Abs. 5 S. 4 EStG ist kein Freistellungsbescheid und damit auch kein Steuerbescheid. Jedoch stellt sie einen sonstigen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne von § 130 Abs. 2 AO dar.
  • Eine Beschränkung der gerichtlichen Prüfung des Anspruchs auf Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung auf die Zeit bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung besteht nicht, wenn nach den Umständen des Streitfalls davon auszugehen ist, dass der Regelungsgegenstand der Ablehnung bzw. der bestätigenden Einspruchsentscheidung keine zeitliche Begrenzung auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt enthielt, sondern auch in die Zukunft wirkt.
Gegen das Urteil des FG München ist Revision eingelegt, es bleibt abzuwarten, wie sich der BFH zu den angesprochenen Fragen positioniert. Bis zu dessen Entscheidung ist nach Ansicht des Verfass aus Praxissicht nach wie vor zu empfehlen, den Unternehmensgegenstand der Holdinggesellschaft in der Satzung einzugrenzen und deren Management- und Finanzierungsaktivitäten auf verbundene Unternehmen einzuschränken.
 

5.Bilanzsteuerrecht

5.1.NWB

Forderungen in der Handels- und Steuerbilanz - Bilanzierung, Bewertung sowie steuerliche Besonderheiten
Zimmermann, Wrede, Nasouhi, NWB 11/2022, S. 760

Anmerkung
Handelsrechtlich findet für die Bewertung von Forderungen das strenge Niederstwertprinzip Anwendung (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, § 253 Abs. 4 HGB). Abschreibungen auf den niedrigeren beizulegenden Wert sind am Bilanzstichtag zwingend vorzunehmen. Dies gilt auch bei einer nur vorübergehenden Wertminderung.

Steuerlich besteht ein Wahlrecht auf den niedrigeren Teilwert abzuschreiben, wenn die Wertminderung voraussichtlich dauerhaft ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG). Bei der Beurteilung jeder einzelnen Forderung sind wertaufhellende Tatsachen, die zwischen dem Bilanzstichtag und dem Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bekannt geworden sind, aber am Bilanzstichtag bereits bestanden, zu berücksichtigen (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB).

Neben Einzelwertberichtigungen bei zweifelhaften Forderungen sind Forderungen, die unter Berücksichtigung der Wertaufhellungstheorie bereits als uneinbringlich angesehen werden, als Forderungsverluste aufwandswirksam zu erfassen. Zudem ist bzw. kann auf den gesamten dann noch verbleibenden Forderungsbestand eine Pauschalwertberichtigung zur Abbildung des allgemeinen Ausfall- und Kreditrisikos gebildet werden.

Umsatzsteuerlich ist eine Berichtigung nach § 17 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 Nr. 1 UStG vorzunehmen, wenn die Forderung uneinbringlich geworden ist. Dies ist bei Einzel- und Pauschalwertberichtigungen noch nicht der Fall (Abschn. 17.1 Abs. 5 S. 8 UStAE). Gründe für die Uneinbringlichkeit einer Forderung sind z. B. das Bestreiten der Forderung, Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenzeröffnung des Schuldners sowie Überschreiten des Zahlungsziels.
 

6.Sonstiges

6.1.DStR

Der einkommensteuerliche Formwechsel als Möglichkeit der Umstrukturierung der GmbH & atypisch still in eine GmbH & Co. KG mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung
Stein, DStR 10/2022, S. 449

Anmerkung
Die Umwandlung einer atypisch stillen Gesellschaft in eine GmbH & Co. KG ist auf zwei Wegen denkbar. Einerseits kann eine solche Umwandlung durch Einbringung der Mitunternehmeranteile an der atypisch stillen Gesellschaft durch den jeweiligen Mitunternehmer in eine mitunternehmerische KG als Außengesellschaft gemäß § 24 UmwStG gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten vollzogen werden. Dabei gründen die GmbH, als bisheriger Geschäftsinhaber, und der bisherige atypisch stille Gesellschafter diese Kommanditgesellschaft. Diese Kommanditgesellschaft tritt nach der Übertragung des steuerlichen Betriebs der atypisch stillen Gesellschaft nach außen auf. Als Einlageleistungen bringen beide Mitunternehmer – aus steuerlichem Blickwinkel – ihre Mitunternehmeranteile an der ursprünglich atypisch stillen Gesellschaft in diese GmbH & Co. KG gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ein. Dieser Vorgang vollzieht sich nach § 24 UmwStG und ist bei entsprechender Antragstellung buchwertneutral möglich. Nach der Einbringung erlischt die Mitunternehmerschaft „atypisch stille Gesellschaft“ auch steuerlich, da nur noch ein Mitunternehmer beteiligt ist. Dies ist als Anwachsungsvorgang zu betrachten. Andererseits ist statt einer Einbringung gemäß § 24 UmwStG der einkommensteuerliche Formwechsel möglich.

Mit Urteil v. 29.07.2021, 12 K 374/19 hat das FG Baden-Württemberg über die ertragsteuerliche Behandlung der Umstrukturierung einer atypisch stillen Gesellschaft in eine GmbH & Co. KG entschieden. Streitig war, ob im Streitfall eine Aufdeckung stiller Reserven und die Besteuerung eines Aufgabegewinns zu erfolgen hatte oder ob die Wirtschaftsgüter zu Buchwerten auf die GmbH & Co. KG übertragen werden konnten.

Im Streitfall wurde eine GmbH & atypisch still dadurch beendet, dass eine Auseinandersetzungsbilanz entsprechend den gesellschaftsvertraglichen Regelungen erstellt wurde und die darin aufgeführten Vermögenswerte und das Auseinandersetzungsguthaben auf die GmbH & Co. KG als neuen zivilrechtlichen Rechtsträger übertragen wurden. Ein Firmenwert wurde in dieser Auseinandersetzungsbilanz nicht berücksichtigt. Das FA sah in dieser Vorgehensweise die Beendigung einer atypisch stillen Gesellschaft durch Auflösung als gegeben an und hatte einen Aufgabegewinn gemäß § 16 EStG im Feststellungsbescheid festgestellt. Der Kläger war dem unter Berufung auf die BFH-Rechtsprechung zum sog. einkommensteuerlichen Formwechsel entgegengetreten und trug das Bestehen eines einkommensteuerneutralen Vorgangs vor. Das FG hat der Klage stattgegeben. Die Revision gegen das Urteil wird unter dem Az. IV R 28/21 beim BFH geführt.


Die BFH-Rechtsprechung zu § 15 Abs. 2 S. 3–4 UmwStG – Neue Freiheiten für steuerliche Umstrukturierungen und ihre Grenzen
Broemel, Kölle, DStR 11/2022, S. 513

Anmerkung
Nach § 15 Abs. 2 S. 2 UmwStG ist § 11 Abs. 2 UmwStG nicht anzuwenden, wenn durch die Spaltung die Veräußerung an außenstehende Personen vollzogen wird. Das Gleiche gilt nach Satz 3, wenn durch die Spaltung die Voraussetzungen für eine Veräußerung geschaffen werden. Davon ist nach Satz 4 auszugehen, wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag Anteile an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft, die mehr als 20 % der vor Wirksamwerden der Spaltung an der Körperschaft bestehenden Anteile ausmachen, veräußert werden.
Mit Urteil v. 11.08.2021, I R 39/18 hat der BFH entschieden, dass § 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG kein eigenständiger, von Satz 4 losgelöster Ausschlussgrund ist.
  • § 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG bildet nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 und ist kein eigenständiger Ausschlussgrund für eine Buchwertfortführung; es handelt sich um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4.
Die Verfasser weisen darauf hin, dass das Urteil erfreulich sei, da die Entscheidung den Steuerpflichtigen Rechtssicherheit bei Auf- und Abspaltungen gebe, bei denen die 20 %-Grenze des § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG gewahrt bleibe und es im Nachgang zu einer Veräußerung komme. Gleichwohl sei abzuwarten, ob die Finanzverwaltung das Urteil durch Veröffentlichung im BStBl. II anerkenne. Die Neufassung des § 42 AO dürfte hingegen dem Buchwertansatz selbst bei einer gezielten Abspaltung mit Veräußerungsabsicht nicht entgegenstehen.
 
 

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