Rechtsprechung KW 25

 

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Ordnungsgemäße Bekanntgabe eines Steuerbescheids bei vermuteter Bevollmächtigung
Treten Angehörige der steuerberatenden Berufe für einen Steuerpflichtigen gegenüber Finanzbehörden auf, wird auch vor der Einfügung des § 80 Abs. 2 S. 1 AO i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl I 2016, 1679) mit Wirkung vom 01.01.2017 die ordnungsgemäße Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vermutet.

Diese Vermutung gilt trotz Vorliegens einer auf bestimmte Zeiträume beschränkten schriftlichen Vollmacht auch für außerhalb der schriftlichen Vollmacht liegende Zeiträume, wenn der Angehörige der steuerberatenden Berufe für diese Zeiträume gegenüber dem FA wie ein Bevollmächtigter auftritt.

BFH v. 16.03.2022, VIII R 19/19

Hinweis
Nach § 122 Abs. 1 S. 1 AO ist ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. Dass eine Bevollmächtigung i. S. d. § 122 Abs. 1 S. 3 AO nicht schriftlich vorliegen muss, sondern sich aus den Umständen ergeben kann, folgt aus § 80 Abs. 1 S. 3 AO in der Fassung des Streitjahres. Danach hat der Bevollmächtigte seine Vollmacht nur auf Verlangen schriftlich nachzuweisen. Bei Personen und Vereinigungen i. S. d. §§ 3 und 4 Nr. 11 des Steuerberatungsgesetzes, die für den Steuerpflichtigen handeln, wird gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 AO i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl I 2016, 1679) eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet.

Die Beteiligten streiten über die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids für 2004 (Streitjahr). Mit Schreiben vom 20.05.2014 zeigten die Prozessbevollmächtigten der Kläger beim FA an, dass sie die Kläger hinsichtlich der „Erklärung von Einkünften für die Jahre 2008 – 2011“ sowie „Einkommensteuer 2012“ vertreten und reichten entsprechende, von den Klägern unterschriebene Vollmachten ein. Dem Schreiben war eine Schätzung ausländischer Kapitalerträge für die Jahre 2008 bis 2011 beigefügt. Im weiteren Verlauf forderte das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung die Prozessbevollmächtigten auf, die Anlagen KAP für die Jahre 2008 bis 2011 einzureichen und darüber hinaus auch die Kapitaleinkünfte für die noch nicht festsetzungsverjährten Jahre 2004 bis 2007 zu erklären. Die Prozessbevollmächtigten reichten sodann „wunschgemäß die ergänzenden Anlagen KAP zur Nacherklärung von Einkünften unserer (...) Mandanten für die Jahre 2004 bis 2011“ sowie für die Jahre 2004 bis 2007 „weitere Bankunterlagen zum Nachweis der in den Anlagen KAP angegebenen Beträge“ ein. Das FA änderte daraufhin die Einkommensteuerfestsetzung für 2004 mit Bescheid vom 18.12.2015 und stellte den geänderten Einkommensteuerbescheid mit Zustellungsurkunde am 21.12.2015 den Prozessbevollmächtigten zu. Diese leiteten den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr im Januar 2016 an die Kläger weiter. Die Kläger, nach deren Auffassung die Prozessbevollmächtigten nur für die Jahre 2008 bis 2011 bevollmächtigt gewesen seien und der Einkommensteuerbescheid für 2004 daher nicht wirksam bekannt gegeben worden sei, legten hiergegen Einspruch ein und beantragten parallel die Feststellung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids. Der Einspruch wurde zurückgewiesen und der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids für 2004 abgelehnt. Das FG wies die hiergegen erhobene Klage ab.

Der BFH hat entschieden, dass die ordnungsgemäße Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vermutet wird, wenn Angehörige der steuerberatenden Berufe für einen Steuerpflichtigen gegenüber den Finanzbehörden auftreten.

Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage unbegründet ist. Es hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass das FA den Einkommensteuerbescheid für 2004 durch Zustellung an die Prozessbevollmächtigten gem. § 122 Abs. 1, Abs. 5 AO i. V. m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes i. V. m. §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung am 21.12.2015 auch mit Wirkung gegenüber den Klägern und damit auch rechtzeitig - vor Ablauf der Festsetzungsfrist zum 31.12.2015 um 24:00 Uhr - bekannt gegeben hat. Das FA hat sein Ermessen, den Steuerbescheid für 2004 nach § 122 Abs. 1 S. 3 AO auch ohne das Vorliegen einer schriftlichen Empfangsvollmacht nach § 80 Abs. 1 S. 3 AO in der Fassung des Streitjahres dem Prozessbevollmächtigten anstatt den Klägern zuzustellen, fehlerfrei ausgeübt. Dass eine Bevollmächtigung i. S. d. § 122 Abs. 1 S. 3 AO nicht schriftlich vorliegen muss, sondern sich aus den Umständen ergeben kann, folgt aus § 80 Abs. 1 S. 3 AO in der Fassung des Streitjahres. Danach hat der Bevollmächtigte seine Vollmacht nur auf Verlangen schriftlich nachzuweisen. Bei Personen und Vereinigungen i. S. d. §§ 3 und 4 Nr. 11 des Steuerberatungsgesetzes, die für den Steuerpflichtigen handeln, wird gem. § 80 Abs. 2 S. 1 AO i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BGBl 2016 I S. 1679) eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet. Diese Vermutung gilt trotz Vorliegens einer auf bestimmte Zeiträume beschränkten schriftlichen Vollmacht auch für außerhalb der schriftlichen Vollmacht liegende Zeiträume, wenn der Angehörige der steuerberatenden Berufe für diese Zeiträume gegenüber dem FA wie ein Bevollmächtigter auftritt. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände durfte das FA daher vermuten, dass die zunächst auf die Jahre 2008 bis 2012 beschränkte Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten durch die Kläger nachträglich auf die Jahre 2004 bis 2007 erweitert wurde. Da die ursprüngliche Bevollmächtigung ausdrücklich zum Empfang der Steuerbescheide ermächtigte, durfte das FA davon ausgehen, dass dies auch für die Jahre 2004 bis 2007 galt.
 

1.2.Einkommensteuer

Knock-out-Zertifikate keine Termingeschäfte i. S. v. § 15 Abs. 4 S. 3 EStG / Abziehbarkeit von Gebühren für eine verbindliche Auskunft nach § 10 Nr. 2 Hs. 2 KStG
Der Begriff des „Termingeschäfts“ i. S. v. § 15 Abs. 4 S. 3 EStG ist im Grundsatz nach wertpapier- und bankenrechtlichen Maßgaben zu bestimmen und vom Kassageschäft abzugrenzen. Das Ausmaß der spezifischen Gefährlichkeit eines konkreten Geschäfts spielt weder für die Qualifizierung als Termingeschäft noch als Kassageschäft eine Rolle (Fortentwicklung des Senatsurteils vom 21.02.2018 - I R 60/16, BFHE 261, 35, BStBl. II 2018, 637). Knock-out-Produkte in Form von Zertifikaten (hier: Unlimited TurboBull Zertifikate) unterfallen als Kassageschäfte nicht dem Ausgleichs- und Abzugsverbot des § 15 Abs. 4 S. 3 EStG.

Die Gebühren für eine verbindliche Auskunft unterfallen als „Kosten“ dem Abzugsverbot nach § 10 Nr. 2 Hs. 2 KStG, wenn diese - abstrakt betrachtet - auf eine der in § 10 Nr. 2 Hs. 1 KStG genannten Steuern entfallen. Einer darüber hinausgehenden Akzessorietät, wonach die verbindliche Auskunft auf eine bestimmte, festgesetzte und nicht abziehbare Steuer entfällt, bedarf es nicht.

BFH v. 08.12.2021, I R 24/19

Hinweis
Nach § 15 Abs. 4 S. 1 EStG dürfen die dort benannten Verluste (aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung) weder mit anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Gewinne, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen und in den folgenden Wirtschaftsjahren aus den genannten Einkunftsquellen erzielt hat oder erzielt (§ 15 Abs. 4 S. 2 EStG). § 15 Abs. 4 S. 3 EStG bestimmt, dass die Sätze 1 und 2 entsprechend für Verluste aus Termingeschäften gelten, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt.

Nicht unter diese Beschränkungen fallen - vorbehaltlich der Rückausnahme des § 15 Abs. 4 S. 5 EStG - zwar gem. § 15 Abs. 4 S. 4 EStG Geschäfte bestimmter Finanzunternehmen (sog. sektorale Ausnahme) und Risikokompensationsgeschäfte anderer Unternehmen, wenn damit Risiken des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs abgesichert werden (sog. funktionale Ausnahme).

Im Streitfall hatte die Klägerin, eine GmbH, von einer Bank ausgegebene Unlimited Turbo Bull-Zertifikate erworben. Als sog. Knock-out-Zertifikate zeichneten sie sich durch die Möglichkeit aus, mit relativ geringem Kapitaleinsatz überproportional an der Wertentwicklung des zugrunde liegenden Basiswerts zu partizipieren. Erreichte oder durchbrach der Basiswert jedoch eine bestimmte Kursschwelle, dann verfielen die Zertifikate nahezu wertlos. Bedingt durch ein Absinken des jeweiligen Indexstandes fiel der Wert der von der Klägerin erworbenen Zertifikate, wodurch diese einen erheblichen Verlust realisierte. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Zertifikatsverluste dem Ausgleichs- und Abzugsverbot unterliegen.

Der BFH hat entschieden, dass der Verlust aus dem fallenden Kurs von Knock-out-Produkten in Form von Unlimited Turbo Bull-Zertifikaten steuerlich voll abziehbar ist und nicht dem Ausgleichs- und Abzugsverbot für Termingeschäfte unterfällt.

Die Anwendung des § 15 Abs. 4 S. 3 EStG hänge entscheidend davon ab, ob ein Termingeschäft vorliege. Dieses sei vom sog. Kassageschäft abzugrenzen, bei dem der Leistungsaustausch sofort oder innerhalb einer kurzen Frist zu vollziehen sei. Bei Knock-out-Produkten in Form von Zertifikaten handelt es sich aber, so der BFH weiter, um gewöhnliche Schuldverschreibungen, die im Streitfall Zug um Zug gegen Bezahlung übertragen worden seien; an dem für ein Termingeschäft typischen Hinausschieben des Erfüllungszeitpunkts habe es gefehlt.


Kein Betriebsausgabenabzug für ausschließlich bei der Berufsausübung getragene bürgerliche Kleidung
Aufwendungen für bürgerliche Kleidung sind als unverzichtbare Aufwendungen der Lebensführung nach § 12 Nr. 1 S. 2 EStG grundsätzlich nicht abziehbar. Sie sind nur dann als Betriebsausgaben i.S. des § 4 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen, wenn es sich um „typische Berufskleidung“ nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG handelt, die nicht auch zu privaten Anlässen getragen werden kann.

BFH v. 16.03.2022, VIII R 33/18

Hinweis
Bei der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit i. S. d. § 18 EStG sind Aufwendungen als Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 EStG abzuziehen, wenn sie durch die Einkünfteerzielung veranlasst sind. Eine solche Veranlassung ist gegeben, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind, d. h. wenn sie mit dieser in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG sind Aufwendungen für typische Berufskleidung als Werbungskosten abziehbar.

Die Kläger waren als selbständige Trauerredner tätig. Bei der Gewinnermittlung machten sie Aufwendungen u. a. für schwarze Anzüge, Blusen und Pullover als Betriebsausgaben geltend. Das Finanzamt und das FG lehnten die steuerliche Berücksichtigung dieser Aufwendungen ab.

Der BFH hat entschieden, dass ein Betriebsausgabenabzug für bürgerliche Kleidung auch dann ausscheidet, wenn diese bei der Berufsausübung getragen wird.

Der BFH bestätigte, dass Aufwendungen für Kleidung als unverzichtbare Aufwendungen der Lebensführung nach § 12 Nr. 1 S. 2 EStG grundsätzlich nicht abziehbar sind. Sie sind nur dann als Betriebsausgaben zu berücksichtigen, wenn es sich um Aufwendungen für typische Berufskleidung i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG handelt.

Schwarze Anzüge, Blusen und Pullover fallen nicht hierunter, da es sich um bürgerliche Kleidung handelt, die auch privat getragen werden kann. Für diese ist kein Betriebsausgabenabzug zu gewähren, selbst wenn die Kleidung ausschließlich bei der Berufsausübung benutzt oder das Tragen von schwarzer Kleidung von den Trauernden erwartet wird.
 

1.3.Körperschaftsteuer

§ 14 Abs. 3 S. 1 KStG umfasst keine außerorganschaftlichen Mehrabführungen
Das Tatbestandsmerkmal „vororganschaftlich“ in § 14 Abs. 3 S. 1 KStG ist nur in zeitlicher, nicht auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen; außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen in organschaftlicher Zeit sind nicht erfasst (entgegen Rz Org.33 des sog. Umwandlungssteuererlasses 2011, BMF-Schreiben vom 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314).

BFH v. 21.02.2022, I R 51/19

Hinweis
Verpflichtet sich eine GmbH mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, ist nach § 14 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 17 S. 1 KStG bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 1 KStG das Einkommen der Organgesellschaft dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen. Das Einkommen der Organgesellschaft unterliegt damit ausschließlich auf der Ebene des Organträgers der Besteuerung; die Abführung des Gewinns der Organgesellschaft an den Organträger bleibt hingegen ohne steuerliche Folgen. Nach § 14 Abs. 3 S. 1 u. 3 KStG gelten allerdings Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben (sog. vororganschaftliche Mehrabführungen), als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger zum Ende des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft. Vororganschaftliche Mehrabführungen i. S. v. § 14 Abs. 3 S. 1 KStG unterliegen demzufolge der Dividendenbesteuerung. Für Mehrabführungen, die ihre Ursache in organschaftlicher Zeit haben (sog. organschaftliche Mehrabführungen), ist in der Steuerbilanz des Organträgers hingegen lediglich ein besonderer passiver Ausgleichsposten in Höhe des Betrags zu bilden, der dem Verhältnis der Beteiligung des Organträgers am Nennkapital der Organgesellschaft entspricht (§ 14 Abs. 4 S. 1 KStG) und der im Zeitpunkt der Veräußerung der Organbeteiligung gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 14 Abs. 4 S. 2 KStG).

Die Klägerin ist eine börsennotierte Societas Europaea (SE) mit Sitz im Inland. Sie hält sämtliche Geschäftsanteile an der GmbH 1. Zwischen der Klägerin als herrschender Gesellschaft und der GmbH 1 wurde mit Wirkung zum Wirtschaftsjahr 2007 ein Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Im Jahr 2008 wurde die GmbH 2 auf die GmbH 1 verschmolzen. Außerdem wurde die AG mit notariellem Vertrag vom 23.12.2008 zum 01.10.2008 auf die GmbH 1 verschmolzen. Sowohl die GmbH 2 als auch die AG beantragten den Buchwertansatz. Die GmbH 1 als übernehmende Körperschaft aktivierte die von der GmbH 2 und der AG auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter in ihrer Handelsbilanz zum 31.12.2008 unter Aufdeckung der stillen Reserven. Die sich aus der Differenz zwischen dem handelsbilanziellen und dem steuerbilanziellen Ansatz ergebende Mehrabführung behandelte die Klägerin als organschaftlich i. S. v. § 14 Abs. 4 KStG und bildete in ihrer Steuerbilanz einen besonderen passiven Ausgleichsposten in gleicher Höhe (§ 14 Abs. 4 S. 1 KStG). Bei der GmbH 1 wurde das Einlagekonto entsprechend gemindert (§ 27 Abs. 6 KStG). Im Rahmen einer Außenprüfung wurde die Auffassung vertreten, dass es sich bei den durch die Verschmelzungen der GmbH 2 und der AG auf die GmbH 1 und die damit verbundene Aufdeckung der stillen Reserven in der Handelsbilanz entstandenen Mehrabführungen nach Rz Org.33 des BMF-Schreibens v. 11.11.2011 (UmwStE 2011, BStBl. 2011 I, 1314) um außer- bzw. vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen handele, die als Gewinnausschüttungen an den Organträger zu behandeln seien.

Der BFH hat entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal „vororganschaftlich“ in § 14 Abs. 3 S. 1 KStG nur in zeitlicher, nicht auch in sachlicher Hinsicht zu verstehen ist; außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen in organschaftlicher Zeit sind nicht erfasst.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der vorgenannten Mehrabführung nicht um eine vororganschaftliche Mehrabführung i. S. d. § 14 Abs. 3 S. 1 KStG, sondern um eine organschaftliche Mehrabführung i. S. d. § 14 Abs. 4 S. 1 KStG handelt. Eine vororganschaftliche Mehrabführung i. S. v. § 14 Abs. 3 S. 1 KStG liegt vor, wenn die Mehrabführung „ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit“ hat. Der Gesetzeswortlaut spricht insoweit eindeutig für ein rein zeitliches Verständnis, denn der Passus „Ursache in vororganschaftlicher Zeit“ kann sprachlich und in seinem Kontext nur so verstanden werden, dass die Ursache der Mehrabführung zeitlich vor dem Wirksamwerden der Organschaft liegen muss. Der Gesetzeswortlaut lässt eine Auslegung, wonach „vororganschaftlich verursacht“ i. S. v. „außerhalb des konkreten Organschaftsverhältnisses verursacht“ auszulegen ist, nicht zu. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Ursache der Mehrabführung ist dabei mit dem FG auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das Ereignis eintritt, auf dem der Unterschied zwischen der handelsrechtlichen Gewinnabführung und der Vermögensmehrung in der Steuerbilanz beruht. Der Geschäftsvorfall, auf den die Differenz zwischen handelsbilanziellem Jahresüberschuss und Steuerbilanzgewinn zurückgeht, muss demnach erstmalig in einer Handels- bzw. Steuerbilanz vor Wirksamwerden des Ergebnisabführungsvertrags zu bilanzieren gewesen sein.
 

1.4.Internationales Steuerrecht

Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bei gewinnmindernder Ausbuchung einer unbesichert im Konzern begebenen Darlehensforderung
Die Abgrenzung zwischen betrieblich veranlassten Darlehen und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Einlagen ist anhand der Gesamtheit der objektiven Verhältnisse vorzunehmen. Einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs ist dabei nicht die Qualität unverzichtbarer Tatbestandsvoraussetzungen beizumessen (Bestätigung des Senatsurteils vom 29.10.1997 - I R 24/97, BFHE 184, 482, BStBl. II 1998, 573, unter II.2.).

Die fehlende Darlehensbesicherung gehört zu den „Bedingungen“ i.S. des § 1 Abs. 1 AStG, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Fremdunüblichkeit der Geschäftsbeziehung führen kann; Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 DBA-Belgien 1967) - Bestätigung der Senatsrechtsprechung.

Ob ein unbesichertes Konzerndarlehen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls fremdvergleichskonform ist, hängt davon ab, ob auch ein fremder Dritter - ggf. unter Berücksichtigung möglicher Risikokompensationen - das Darlehen unter gleichen Bedingungen ausgereicht hätte (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

Wäre ein unbesichertes Konzerndarlehen nur mit einem höheren als dem tatsächlich vereinbarten Zinssatz fremdüblich, hat eine Einkünftekorrektur vorrangig in Höhe dieser Differenz zu erfolgen (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

Im Rahmen von Feststellungen zum Fremdvergleich ist die Ausreichung unbesicherter Darlehen durch fremde Dritte an die Konzernobergesellschaft nicht geeignet, die Würdigung des einer (Tochter-)Gesellschaft eingeräumten Darlehens am Maßstab einer fremdüblichen Kreditgewährung zu ersetzen (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

BFH v. 13.01.2022, I R 15/21

Hinweis
Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen mit einer ihm nahestehenden Person dadurch gemindert, dass er im Rahmen solcher Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften gem. § 1 Abs. 1 AStG so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Geschäftsbeziehung in diesem Sinne ist gem. § 1 Abs. 4 AStG jede den Einkünften zugrundeliegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Fall eines ausländischen Nahestehenden anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Einkünftekorrektur nach § 1 AStG im Hinblick auf die Teilwertabschreibung eines unbesicherten Darlehens (Schuld aus einem Verrechnungskonto). Die Klägerin, eine GmbH mit Sitz im Inland, ist Alleingesellschafterin und zugleich Organträgerin der A GmbH mit ebenfalls inländischem Sitz. Letztere war zu 99,98 % an der B N.V., einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Belgien, beteiligt. Die restlichen Anteile an der B N.V. hielt die Klägerin selbst. Die A GmbH führte für die B N.V. ein Verrechnungskonto (Zinsstaffelmethode), das ab dem 01.01.2004 mit 6 % p.a. verzinst wurde. Eine Besicherung wurde nicht vereinbart. Im Streitjahr (2005) belief sich die Verzinsung eines der Klägerin von einer Bank gewährten Betriebsmittelkredits auf 3,14 %. Am 30.9.2005 schlossen die A GmbH und die B N.V. einen Vertrag über einen Forderungsverzicht gegen Besserungsschein. Der Betrag entsprach dem nach Ansicht der Vertragsbeteiligten wertlosen Teil der gegen die B N.V. gerichteten Forderungen aus dem Verrechnungskonto. Er wurde zwar in der Bilanz der A GmbH gewinnmindernd ausgebucht, das FA hat jedoch die Gewinnminderung mit Rücksicht auf die fehlende Forderungsbesicherung nach § 1 Abs. 1 AStG durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung neutralisiert. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Der BFH hat aufgrund mündlicher Verhandlung am 27.02.2019 die Revision des FA als begründet angesehen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (BFH, Urteil v. 27.02.2019, I R 73/16). Mit Beschluss vom 04.03.2021, 2 BvR 1161/19 hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil stattgegeben, das Senatsurteil aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen. Der Rechtsstreit hat das neue Az. I R 15/21 erhalten.

Der BFH hat entschieden, dass die fehlende Darlehensbesicherung zu den „Bedingungen“ i. S. d. § 1 Abs. 1 AStG gehört, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Fremdunüblichkeit der Geschäftsbeziehung führen kann.

Die bisherigen Feststellungen des FG zur Anwendbarkeit der Regelung des § 1 AStG auf den Streitfall im Hinblick auf die Teilwertabschreibung des unbesicherten Darlehens (Schuld aus einem Verrechnungskonto) reichen für eine abschließende Entscheidung durch den BFH nicht aus. Die Abgrenzung zwischen betrieblich veranlassten Darlehen und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Einlagen ist anhand der Gesamtheit der objektiven Verhältnisse vorzunehmen. Einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs ist dabei nicht die Qualität unverzichtbarer Tatbestandsvoraussetzungen beizumessen. Die fehlende Darlehensbesicherung gehört zu den „Bedingungen“ i. S. d. § 1 Abs. 1 AStG, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Fremdunüblichkeit der Geschäftsbeziehung führen kann. Ob ein unbesichertes Konzerndarlehen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls fremdvergleichskonform ist, hängt davon ab, ob auch ein fremder Dritter - ggf. unter Berücksichtigung möglicher Risikokompensationen - das Darlehen unter gleichen Bedingungen ausgereicht hätte (Bestätigung der Rechtsprechung). Wäre ein unbesichertes Konzerndarlehen nur mit einem höheren als dem tatsächlich vereinbarten Zinssatz fremdüblich, hat eine Einkünftekorrektur vorrangig in Höhe dieser Differenz zu erfolgen (Bestätigung der Rechtsprechung).

Im Rahmen von Feststellungen zum Fremdvergleich ist die Ausreichung unbesicherter Darlehen durch fremde Dritte an die Konzernobergesellschaft nicht geeignet, die Würdigung des einer (Tochter-)Gesellschaft eingeräumten Darlehens am Maßstab einer fremdüblichen Kreditgewährung zu ersetzen (Bestätigung der Rechtsprechung).
 

1.5.Sonstiges

Keine gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung von Aufwendungen für eine Messestandfläche
Die Kosten für die Anmietung einer Messestandfläche können bei einem ausstellenden Unternehmen nur dann zu einer Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Bst. e GewStG führen, wenn die Messestandfläche bei unterstelltem Eigentum des ausstellenden Unternehmens zu dessen Anlagevermögen gehören würde.

Zur Zugehörigkeit zum Anlagevermögen kommt es darauf an, ob der Geschäftszweck des betreffenden Unternehmens und auch die speziellen betrieblichen Verhältnisse (z. B. Bedeutung der Messepräsenz innerhalb des von dem Unternehmen praktizierten Vertriebssystems) das dauerhafte Vorhandensein einer entsprechenden Messestandfläche erfordert.

BFH v. 23.03.2022, III R 14/21

Hinweis
Nach § 8 Nr. 1 Bst. e GewStG wird dem Gewinn aus Gewerbebetrieb ein Viertel aus der Hälfte der Miet- und Pachtzinsen - einschließlich Leasingraten - für die Benutzung der unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen, hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind und soweit die Summe der Beträge i.S. von § 8 Nr. 1 Bst. a bis f GewStG 100.000 € übersteigt.

Die Klägerin ist eine GmbH, deren Gegenstand die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Maschinen ist. Sie selbst hat keinen Direktvertrieb, sondern verkauft ihre Produkte durch ein stehendes Händlernetz. In den Streitjahren mietete die Klägerin wiederholt auf bestimmten turnusmäßig stattfindenden Messen Ausstellungsflächen und Räumlichkeiten an, um ihre Produkte dort zu präsentieren. Sie zog die Kosten hierfür von ihrem Gewinn ab, nahm jedoch keine Hinzurechnung eines Anteils dieser Ausgaben nach § 8 Nr. 1 Bst. e GewStG vor. Das Finanzamt war nach Durchführung einer Betriebsprüfung der Auffassung, dass der gewerbliche Gewinn um den gesetzlich vorgesehenen Teil der Mietzinsen erhöht werden müsse. Das FG entschied hingegen, dass eine Hinzurechnung nicht in Betracht komme.

Der BFH hat entschieden, dass Entgelte für Messestandflächen, die ein Unternehmen zu Ausstellungszwecken anmietet, nur dann der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung unterliegen, wenn die Messestandfläche bei unterstelltem Eigentum des ausstellenden Unternehmens zu dessen Anlagevermögen gehören würde.

Der BFH bestätigte das Urteil des FG. Die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung setze voraus, dass die gemieteten oder gepachteten Wirtschaftsgüter bei fiktiver Betrachtung Anlagevermögen des Steuerpflichtigen wären, wenn sie in seinem Eigentum stehen würden. Für die Zugehörigkeit zum Anlagevermögen kommt es darauf an, ob der Geschäftszweck des betreffenden Unternehmens und auch die speziellen betrieblichen Verhältnisse (z. B. Bedeutung der Messepräsenz innerhalb des von dem Unternehmen praktizierten Vertriebssystems) das dauerhafte Vorhandensein einer entsprechenden Messestandfläche erfordert. Auf dieser Grundlage ist das FG nach Ansicht des III. Senats des BFH ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Messestandflächen durch die vereinzelt kurzzeitige Anmietung unter Berücksichtigung des Geschäftsgegenstands und der speziellen betrieblichen Verhältnisse nicht dem (fiktiven) Anlagevermögen zuzuordnen sind.
 

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