Rechtsprechung KW 23 - 2022

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Steuerbefreiung für Umsätze eines Gästeführers in einem Museum
Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 20 Bst. a UStG für die Leistungen eines Museums oder einer gleichartigen Einrichtung umfasst sachlich nicht nur die Einräumung von Eintrittsberechtigungen in das Museum, sondern z. B. auch andere typische Museumsleistungen mit Kulturbezug.

Das Museum, mit dem die gleichartige Einrichtung ihre Museumsleistung erbringt, kann auch das Museum einer dritten Person sein.

Jedenfalls bei einem Museum, das nur in Begleitung eines Gästeführers besucht werden darf, ist die Führung der Museumsgäste eine typische Museumsleistung.

Ein spezialisierter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt, ist kein Schul- oder Hochschulunterricht i.S. des Art. 132 Abs. 1 Bst. i MwStSystRL in seiner neueren Auslegung durch den EuGH.

Art. 132 Abs. 1 Bst. n MwStSystRL ist grundsätzlich nicht berufbar.

BFH v. 15.02.2022, XI R 30/21, XI R 37/18

Hinweis
Nach § 4 Nr. 20 Bst. a S. 1 UStG sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UstG fallenden Umsätzen steuerfrei die Umsätze folgender Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände: Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre, Museen, botanische Gärten, zoologische Gärten, Tierparks, Archive, Büchereien sowie Denkmäler der Bau- und Gartenbaukunst. Das Gleiche gilt gem. § 4 Nr. 20 Bst. a S. 2 UStG für die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.

Der Kläger ist als Gästeführer in einem Museum tätig, das ausschließlich über Gruppenführungen begehbar ist. Auftraggeber des Klägers ist eine gemeinnützige Stiftung, die das Museum betreibt und steuerfreie Umsätze an die Museumsbesucher erbringt. Die zuständige Bezirksregierung hat dem Kläger bescheinigt, dass er als Museumsführer die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie vergleichbare Einrichtungen in öffentlichrechtlicher Trägerschaft. Während das Finanzamt davon ausging, dass die Umsätze des Klägers trotz dieser Bescheinigung umsatzsteuerpflichtig seien, entschied das FG, dass die Umsätze des Klägers steuerfrei sind.

Der BFH hat entschieden, dass Leistungen eines staatlich anerkannten Gästeführers in einem staatlich anerkannten Museum unter bestimmten Voraussetzungen umsatzsteuerfrei sind.

Der BFH bestätigte das Urteil des FG. Dieses habe zu Recht angenommen, dass die Umsätze nach § 4 Nr. 20 Bst. a S. 1 u. 2 UStG steuerfrei seien. Nach dieser Vorschrift seien die Umsätze der staatlichen Museen sowie „gleichartiger Einrichtungen“ anderer Unternehmer steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde – wie im Streitfall – sowohl dem Museum als auch dem Museumsführer bescheinigt habe, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die staatlichen Museen erfüllen. Steuerfrei seien die typischen Museumsleistungen, zu denen (zumindest beim Museum der Stiftung) auch die Führung der Gäste gehöre. Das Museum, mit dem der Leistende seine Museumsleistung erbringt, dürfe auch das Museum einer dritten Person (hier: der Stiftung) sein. Dass der Kläger mit Gewinnerzielungsabsicht handele, sei für die Steuerbefreiung unschädlich.

Klargestellt hat der BFH dabei allerdings auch, dass die Leistungen anderer selbständiger Subunternehmer des Museums, die über keine entsprechende Bescheinigung verfügen, weil sie nicht selbst kulturelle Leistungen erbringen (z. B. Sicherheits-, Reinigungs- oder Hausmeisterdienst des Museums), nicht umsatzsteuerfrei sind.


Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung eines bei Überlassung von elektronischen Zahlungskarten erhobenen Kartenpfandes
Bei dem im Rahmen eines bargeldlosen Zahlungssystems für die Überlassung elektronischer Zahlungskarten in Stadien erhobenen Kartenpfand handelt es sich nicht um pauschalierten (durch die Kartenrückgabe auflösend bedingten) Schadensersatz, sondern um eine steuerbare sonstige Leistung, die nach § 4 Nr. 8 Bst. d UStG als Umsatz im Zahlungs- und Überweisungsverkehr steuerfrei ist, wenn der leistende Unternehmer selbst die Übertragung von Geldern vornimmt.

BFH v. 26.01.2022, XI R 19/19, XI R 12/17

Hinweis
Der Umsatzsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG die Umsätze aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.

Die Beteiligten streiten um die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Bereitstellung von elektronischen Zahlungskarten im Rahmen eines bargeldlosen Zahlungssystems: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. A war in den Streitjahren 2008 bis 2013 umsatzsteuerrechtliche Organträgerin der B. B überließ den Besuchern von Stadien elektronische Zahlungskarten zur bargeldlosen Zahlung von Speisen und Getränken in den Stadien. Das Kartenpfand betrug 2 €, das bei der erstmaligen Ausgabe der bis zu 150 € aufladbaren E-Karte vom Ausgabewert abgezogen wurde. Die Stadionbetreiber und Caterer zahlten Provisionen an B, die nach den mit den E-Karten geleisteten Zahlungen oder festen Größen, wie z. B. Zuschauerzahlen, bemessen wurden. B bot einen umfassenden Service für den Kartenzahlungsverkehr an, indem sie Kartenlesegeräte zur Verfügung stellte und im Stadion mit eigenem Personal den Vertrieb, die Aufladung und Rückgabe der E-Karten organisierte. Die aus dem Kartenpfand in den Streitjahren erzielten Erlöse sah A in ihren Umsatzsteuererklärungen als umsatzsteuerfrei an. Das FA vertrat dagegen die Auffassung, dass es sich bei den Erlösen aus dem Kartenpfand um steuerpflichtige Umsätze aus der Lieferung von Gegenständen handele, die dem Regelsteuersatz unterlägen. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg.

Der BFH hat entschieden, dass es sich bei dem im Rahmen eines bargeldlosen Zahlungssystems für die Überlassung elektronischer Zahlungskarten in Stadien erhobenen Kartenpfand nicht um pauschalierten (durch die Kartenrückgabe auflösend bedingten) Schadensersatz handelt, sondern um eine steuerbare sonstige Leistung, die nach § 4 Nr. 8 Bst. d UStG als Umsatz im Zahlungs- und Überweisungsverkehr steuerfrei ist, wenn der leistende Unternehmer selbst die Übertragung von Geldern vornimmt.

Bei dem in Höhe von 2 € erhobenen Kartenpfand handelt es sich nicht um „echten“ Schadensersatz, sondern um einen steuerbaren Umsatz i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG. Die Überlassung der E-Karte gegen Pfand durch B ist keine selbständig zu betrachtende Lieferung von Gegenständen i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG. Sie ist vielmehr mit der damit eröffneten Möglichkeit, in den Stadien bargeldlos zu zahlen, so eng verbunden, dass objektiv ein einziger untrennbarer wirtschaftlicher Vorgang mit dieser sonstigen Leistung i. S. d. § 3 Abs. 9 S. 1 UStG besteht. Diese sonstigen Leistungen der B i. S. d. § 3 Abs. 9 S. 1 UStG sind im Lichte der Art. 131, 135 Abs. 1 Bst. d MwStSystRL als Umsätze im Zahlungsverkehr nach § 4 Nr. 8 Bst. d UStG steuerfrei.
 

1.2.Einkommensteuer

Zur Steuerpflicht einer Vergütung für die Tätigkeit eines tageweise beim Europarat beschäftigten Dolmetschers
Eine Vergütung, die ein in Deutschland ansässiger Dolmetscher für seine tageweise Beschäftigung beim Europarat erhält, ist nicht nach dem Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates vom 02.09.1949 (BGBl. II 1954, 494) steuerbefreit (Anschluss an BFH-Urteil vom 06.08.1998 - IV R 75/97, BFHE 186, 410, BStBl. II 1998, 732).

Einer Verfügung des Generalsekretärs des Europarates, die hinsichtlich einer solchen Vergütung Steuerfreiheit gewährt, kommt keine Bindungswirkung zu Lasten des nationalen Besteuerungsrechts zu.

BFH v. 16.03.2022, VIII R 33/19

Hinweis
Gemäß der amtlichen Übersetzung von Art. 18 Bst. b des Allgemeinen Abkommens über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates erhalten die „Beamten des Europarates“ Steuerfreiheit hinsichtlich ihrer vom Europarat gezahlten Gehälter und sonstigen Bezüge.

Der Kläger ist selbständiger Dolmetscher. Er war im Streitjahr 2012 an einzelnen Tagen als Konferenzdolmetscher für den Europarat in Straßburg tätig. Die ihm hierfür gezahlte Vergütung legte das FA bei der inländischen Besteuerung des Klägers als Einnahmen aus selbständiger Arbeit zugrunde. Mit dem erhobenen Einspruch machte der Kläger geltend, die aus seiner Tätigkeit beim Europarat erzielten Einnahmen seien nach Art. 18 Bst. b des Allgemeinen Abkommens über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates v. 02.09.1949 (BGBl. II 1954 S. 494) steuerfrei.

Der BFH hat entschieden, dass eine Vergütung, die ein in Deutschland ansässiger Dolmetscher für seine tageweise Beschäftigung beim Europarat erhält, nicht steuerbefreit ist.

Das FG hat zutreffend entschieden, dass das Entgelt für die Tätigkeit des Klägers als tageweise beschäftigter Konferenzdolmetscher nicht nach Art. 18 Bst. b des Allgemeinen Abkommens steuerbefreit ist. Art. 18 Bst. b des Allgemeinen Abkommens enthält keine Ausnahme von der unbeschränkten (persönlichen) Steuerpflicht, sondern eine den Regelungen des § 3 EStG vergleichbare Steuerbefreiung der im Zusammenhang mit der Tätigkeit erzielten Einnahmen. Wegen der unmittelbaren Geltung des Allgemeinen Abkommens als nationales Recht bedurfte es keiner Aufnahme in die letztgenannte Vorschrift. Die in Art. 17 und Art. 18 Buchst. b des Allgemeinen Abkommens als Subjekte der Steuerbefreiung genannten „officials“ und „agents“ umfassen nach der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, nicht die tageweise beschäftigten Dolmetscher. Der Sinn der durch das Allgemeine Abkommen gewährten Steuerbefreiung der Vergütungen für „officials“ und „agents“ besteht zum einen darin, zu vermeiden, dass dem steuerberechtigten Staat durch die Besteuerung ein Druckmittel gegen die betroffenen Personen und damit auch gegen die Organisation in die Hand gegeben werden könnte. Zum anderen hat die Steuerbefreiung das Ziel, eine unterschiedliche Besteuerung der Gehälter je nach steuerberechtigtem Staat zu vermeiden. Beide für die Steuerbefreiung angeführten Gründe sind bei tageweise beschäftigten Dolmetschern internationaler Organisationen nicht von so großer Bedeutung wie bei dauerhaft beschäftigten Dolmetschern.
 

1.3.Sonstiges

Keine Entlastung nach § 9b, § 10 StromStG für Unternehmen in Schwierigkeiten
Die Steuerentlastungen nach § 9b und § 10 StromStG sind Beihilfen i. S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV.

Der Anwendung von § 9b, § 10 StromStG steht im Jahr 2016 für Unternehmen in Schwierigkeiten das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV entgegen.

Für die Einordnung eines Unternehmens als Unternehmen in Schwierigkeiten kommt es nach Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO nur auf das einzelne Unternehmen, nicht jedoch auf die wirtschaftliche Einheit (Konzernverbund) an, in den das einzelne Unternehmen eingebunden ist.

Für ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der AGVO kommt es bei Erfüllung der Voraussetzung des Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO nicht darauf an, ob im Einzelfall eine positive Fortführungsprognose besteht.

BFH v. 19.01.2022, VII R 28/19

Hinweis
Nach § 9b Abs. 1 StromStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag gewährt für nachweislich nach § 3 StromStG versteuerten Strom, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft für betriebliche Zwecke entnommen hat und der nicht nach § 9 Abs. 1 StromStG von der Steuer befreit ist. Die Steuerentlastung wird jedoch für die Entnahme von Strom zur Erzeugung von Licht, Wärme, Kälte, Druckluft und mechanischer Energie nur gewährt, soweit die vorgenannten Erzeugnisse nachweislich durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft genutzt worden sind. Abweichend von § 9b Abs. 1 S. 2 StromStG wird die Steuerentlastung auch für Strom zur Erzeugung von Druckluft gewährt, soweit diese in Druckflaschen oder anderen Behältern abgegeben wird.

Im Streitfall wies die Klägerin in ihrer Bilanz einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aus. Ihre Anträge auf Stromsteuerentlastung nach § 9b und § 10 StromStG lehnte das HZA mit der Begründung ab, dass die Klägerin ein sogenanntes Unternehmen in Schwierigkeiten sei und daher nach Maßgabe des unionsrechtlichen Beihilferechts die beantragten Entlastungen nicht gewährt werden dürften. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Der BFH hat entschieden, dass Unternehmen in Schwierigkeiten keine stromsteuerliche Entlastung gewährt werden kann.

Der BFH entschied, dass die Steuerentlastungen nach § 9b und § 10 StromStG aufgrund ihrer selektiven Wirkung staatliche Beihilfen sind und als solche dem Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV unterliegen. Die Einstufung als grundsätzlich unzulässige Beihilfen ergibt sich auch daraus, dass das in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehene Prüfungsverfahren nicht beachtet wurde und keine Ausnahmen nach Art. 107 Abs. 3 Bst. c oder Art. 108 Abs. 4 AEUV vorliegen. Im Kern ging es im Streitfall um die Frage, ob ein Unternehmen auch dann in Schwierigkeiten im Sinne des Art. 2 Nr. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) ist, wenn zwar mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen ist, jedoch wegen der Einbindung des Unternehmens in einen Konzern eine positive Fortführungsprognose gestellt werden kann. Hierzu traf der BFH zwei wesentliche Aussagen: Erstens stellt die AGVO bei der Definition eines Unternehmens in Schwierigkeiten in Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO konkret auf die einzelne GmbH ab, welche die Beihilfe beansprucht. Dieser auf bestimmte Gesellschaftsformen bezogene Unternehmensbegriff umfasst deshalb nicht einen Zusammenschluss mehrerer Unternehmen in einem Konzernverbund. Zweitens kommt es auf eine positive Fortführungsprognose nicht an, weil eine solche Einschränkung nach dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 18 Bst. a AGVO nicht vorgesehen ist. Dem Unionsgesetzgeber kam es gerade darauf an, dass keine detaillierte Untersuchung der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers notwendig ist.

Neueste Einträge