Rechtsprechung KW 13 - 2022

 

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch eine BZSt-Online-Anfrage
Die für eine Verjährungsunterbrechung nach § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 AO erforderliche Außenwirkung liegt auch dann vor, wenn die Finanzbehörde durch eine BZSt-Online-Anfrage direkt auf die IdNr.-Datenbank zugreift.

Zuständigkeitsmängel hindern die Unterbrechungswirkung einer Ermittlungsmaßnahme nicht. Ob die Finanzbehörde, welche die Maßnahme durchgeführt hat, örtlich zuständig war, hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Maßnahme in Bezug auf die Verjährungsunterbrechung.

BFH v. 21.12.2021, VII R 21/19

Hinweis
Die fünfjährige Zahlungsverjährung (§ 228 S. 2 AO) wird durch die in § 231 Abs. 1 S. 1 AO abschließend aufgezählten Maßnahmen unterbrochen. Hierzu gehören u. a. Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen (§ 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 AO). Liegen die Voraussetzungen einer Verjährungsunterbrechung vor, beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Unterbrechung geendet hat, eine neue fünfjährige Verjährungsfrist (§ 231 Abs. 3 AO).

Streitig ist u. a., ob es sich bei dem Abruf der beim BZSt gespeicherten Adressdaten des Vollstreckungsschuldners durch die Erhebungsstelle des FA um eine Wohnsitzermittlung i. S. d. § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 AO handelt, die zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung führt.

Der BFH hat entschieden, dass die für eine Verjährungsunterbrechung nach § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 AO erforderliche Außenwirkung auch dann vorliegt, wenn die Finanzbehörde durch eine BZSt-Online-Anfrage direkt auf die IdNr.-Datenbank zugreift.

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die BZSt-Online-Anfrage die Verjährung gem. § 231 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 AO unterbrochen hat. Die Verjährungsunterbrechung setzt eine nach außen wirkende Maßnahme gem. § 231 Abs. 1 S. 1 AO voraus; rein innerdienstliche Maßnahmen reichen nicht aus. Allerdings ist die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Wohnsitzanfrage nicht davon abhängig, dass der Zahlungspflichtige von dieser Maßnahme erfährt. Maßgebend ist allein, dass das FA den Entschluss fasst, seinen Zahlungsanspruch durchzusetzen, und dies über den rein innerdienstlichen Bereich hinaus nach außen sichtbar wird. Bei einer Verjährungsunterbrechung durch Ermittlungen zum Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen muss hinzukommen, dass das FA einen besonderen Anlass hatte, zur Realisierung des Zahlungsanspruchs entsprechende Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten. Ein solcher Anlass besteht nur, wenn dem FA der Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen unbekannt ist. Eine rein schematische Anfrage kann die Verjährung nicht unterbrechen. Ferner muss die Maßnahme auf die Realisierung eines konkreten Anspruchs, dessen Verjährung unterbrochen werden soll, gerichtet sein. Ob die Finanzbehörde, welche die Maßnahme durchgeführt hat, örtlich zuständig war, hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Maßnahme in Bezug auf die Verjährungsunterbrechung.
 

1.2.Einkommensteuer

Übertragung des Kinderfreibetrags bei in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Elternteilen
Bei einer funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann im Hinblick auf die Übertragung des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 S. 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen zwischen den Elternteilen für im Haushalt lebende minderjährige Kinder (in Form von Natural-, Bar- und Betreuungsunterhalt) dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.

Leben nicht miteinander verheiratete Eltern zusammen mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt, kann nicht allein deshalb, weil ein betreuender Elternteil keinen oder nur einen geringen Beitrag zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet, davon ausgegangen werden, dass dieser Elternteil i. S. des § 32 Abs. 6 S. 6 Alternative 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen nachkommt.

Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit i. S. des § 32 Abs. 6 S. 6 Alternative 2 EStG kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass ein Elternteil ein im gemeinsamen Haushalt lebendes minderjähriges Kind überwiegend betreut und keine oder nur geringe Beiträge zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet.

BFH v. 15.12.2021, III R 24/20

Hinweis
Nach § 32 Abs. 6 S. 1 EStG wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 2.256 € (Veranlagungszeitraum 2015), 2.304 € (Veranlagungszeitraum 2016) bzw. 2.358 € (Veranlagungszeitraum 2017) für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein BEA-Freibetrag von 1.320 € vom Einkommen abgezogen. Abweichend hiervon wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 S. 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils, der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 32 Abs. 6 S. 6 EStG).

Streitig ist, ob in den Streitjahren 2015 bis 2017 die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass die auf den Kindsvater entfallenden Kinderfreibeträge auf die Kindsmutter übertragen werden können. Die Klägerin ist die Mutter eines im März 1998 geborenen Sohnes und einer im April 2001 geborenen Tochter. Mit dem Vater der beiden Kinder lebte die Klägerin in den Streitjahren in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt. Der Sohn befand sich nach Erreichen der Volljährigkeit zunächst noch in Schul- und dann in Berufsausbildung. Das FA berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden für 2015, für 2016 und für 2017 nur jeweils die auf die Klägerin entfallenden Kinderfreibeträge und Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag). Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Klägerin begehrte, in allen Streitjahren sowohl den auf den Kindsvater entfallenden Kinderfreibetrag als auch den BEA-Freibetrag für beide Kinder vollständig auf sie zu übertragen, wies das FG als unbegründet ab.

Der BFH hat entschieden, dass bei einer funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Hinblick auf die Übertragung des Kinderfreibetrags grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen zwischen den Elternteilen für im Haushalt lebende minderjährige Kinder (in Form von Natural-, Bar- und Betreuungsunterhalt) dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.

Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine (weitergehende) Übertragung der dem Kindsvater für die Veranlagungszeiträume 2015, 2016 und 2017 zustehenden Kinderfreibeträge auf die Klägerin ausgeschlossen ist. Dem Kindsvater steht für die beiden Kinder gem. § 32 Abs. 6 S. 1 EStG in den Veranlagungszeiträumen 2015 bis 2017 jeweils ein Kinderfreibetrag in der im Revisionsverfahren noch strittigen Höhe zu, da beide Kinder während der betreffenden Zeiträume minderjährig waren und daher nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 i. v. m. Abs. 3 EStG zu berücksichtigen sind. Es liegen jedoch nicht sämtliche Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 S. 6 EStG für eine Übertragung der Kinderfreibeträge vom Kindsvater auf die Klägerin vor. Die Klägerin und der Kindsvater sind zwar ein unbeschränkt einkommensteuerpflichtiges Elternpaar, bei dem mangels Eheschließung die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 S. 1 EStG nicht vorliegen. Die Klägerin hat auch den Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags gestellt. Dass die Klägerin ihre Unterhaltspflicht im Wesentlichen erfüllt hat, war im erstinstanzlichen Verfahren nicht strittig. Der Kindsvater ist jedoch auch seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen, weshalb die Voraussetzung des § 32 Abs. 6 S. 6 Alt. 1 EStG nicht gegeben ist. Leben nicht miteinander verheiratete Eltern zusammen mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt, kann nicht allein deshalb, weil ein betreuender Elternteil keinen oder nur einen geringen Beitrag zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet, davon ausgegangen werden, dass dieser Elternteil i. S. d. § 32 Abs. 6 S. 6 Alt. 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen nachkommt. Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit i. S. d. § 32 Abs. 6 S. 6 Alt. 2 EStG kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass ein Elternteil ein im gemeinsamen Haushalt lebendes minderjähriges Kind überwiegend betreut und keine oder nur geringe Beiträge zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet.
 

2.Verwaltungsanweisungen

2.1.Verfahrensrecht

Verlängerung der Erklärungsfristen für den Besteuerungszeitraum 2020 durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz
Das BMF hat im Vorgriff auf die gesetzliche Regelung zur geplanten Verlängerung der Steuererklärungsfristen in beratenen Fällen (§ 149 Abs. 3 AO) durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz verschiedene Anweisungen getroffen.

BMF v. 01.04.2022

Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz v. 25.06.2021, BGBl. 2021 I, 2035 wurden die Erklärungsfristen für den Besteuerungszeitraum 2020 in beratenen wie auch in nicht beratenen Fällen (§ 149 Abs. 2 u. 3 AO) sowie die zinsfreien Karenzzeiten (§ 233a Abs. 2 S. 1 u. 2 AO) jeweils um drei Monate verlängert (Artikel 97 § 36 Abs. 3 EGAO). Angesichts der weiterhin andauernden, durch die Corona-Pandemie verursachten Ausnahmesituation sollen die Erklärungsfristen in beratenen Fällen (§ 149 Abs. 3 AO) sowie die zinsfreien Karenzzeiten (§ 233a Abs. 2 S. 1 u. 2 AO) für den Besteuerungszeitraum 2020 durch Artikel 6 des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes um weitere drei Monate verlängert werden.
  • Wird eine Steuer- oder Feststellungserklärung im Sinne von § 149 Abs. 2 AO für den Veranlagungszeitraum 2020 nach Ablauf der insoweit geltenden Erklärungsfristen (vgl. Rn. 3) und bis zum Inkrafttreten des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes abgegeben, ist § 152 Abs. 2 AO nicht anzuwenden. § 152 Abs. 1 AO bleibt anwendbar.
  • Die Abgabe einer durch Angehörige der steuerberatenden Berufe erstellten Steuer- oder Feststellungserklärung im Sinne von § 149 Abs. 3 Hs. 1 AO für den Veranlagungszeitraum 2020 nach Ablauf des 31.05.2022 und bis zum Inkrafttreten des Vierten CoronaSteuerhilfegesetzes gilt - vorbehaltlich einer Vorabanforderung nach § 149 Abs. 4 AO - nicht als verspätet im Sinne des § 152 Abs. 1 AO.
 

2.2.Umsatzsteuer

Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern
Das BMF hat zur Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern Stellung genommen.

BMF v. 29.03.2022

Mit BMF-Schreiben v. 08.07.2021, BStBl. 2021 I, 919 haben die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder geregelt, wann die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds als unternehmerisch bzw. nichtunternehmerisch zu beurteilen ist. Aus der Praxis gab es hierzu weitere ungeklärte Fragen, die das BMF zum Anlass nahm, sein Anwendungsschreiben zu präzisieren.

In Abschn. 2.2 Abs. 3a UStaE werden nach Satz 6 die Sätze 7 bis 11 eingefügt.

„Bei der Prüfung, ob die variablen Bestandteile im Geschäftsjahr der Gesellschaft mindestens 10 % der gesamten Vergütung, einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen betragen, sind nur die Vergütungsbestandteile zu berücksichtigen, die für Leistungen gezahlt werden, die in dem betreffenden Geschäftsjahr der Gesellschaft ausgeführt werden. Maßgeblicher Leistungszeitpunkt für die allgemeine Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds ist der Ablauf des Geschäftsjahrs der Gesellschaft. Erhält ein Aufsichtsratsmitglied für die tatsächliche Teilnahme an einer Aufsichtsratssitzung Auslagenersatz und Sitzungsgeld, ist der maßgebliche Leistungszeitpunkt der Tag der Aufsichtsratssitzung. In die Prüfung der 10 %-Grenze sind als variable Vergütungsbestandteile die Sitzungsgelder im Sinne des Satzes 4 aller geplanten Sitzungen eines Geschäftsjahrs der Gesellschaft, unabhängig von der tatsächlichen Teilnahme des Aufsichtsratsmitglieds, mit einzubeziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der 10 %-Grenze ist der Beginn des Geschäftsjahrs der Gesellschaft; nachträgliche Änderungen bleiben unberücksichtigt.“

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