Rechtsprechung KW 12 - 2022

 

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Steuerfreie Leistungen der Verfahrenspfleger
Die nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL berufen.

BFH v. 25.11.2021, V R 34/19

Hinweis
Nach Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen (...), einschließlich derjenigen, die durch (...) Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.

Der Kläger war in den Streitjahren u.a. als Umgangspfleger, Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie als Verfahrenspfleger in Betreuungssachen und in Unterbringungssachen tätig. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging das FA von einer Steuerpflicht der Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger aus. Hierauf gab der Kläger in seiner Umsatzsteuererklärung 2014 sowie in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen 2015 zwar steuerpflichtige Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger an, legte dagegen jedoch Einspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, diese Umsätze seien nach § 4 Nr. 25 UStG a.F. sowie nach Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL steuerfrei. Das FA half den Einsprüchen nur hinsichtlich der Umsätze als Umgangspfleger ab und wies sie im Übrigen als unbegründet zurück. Der BFH hat entschieden, dass sich Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL berufen können.
Die Leistungen des Klägers als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind - wovon auch die Beteiligten zu Recht ausgehen - weder nach § 4 Nr. 16 Bst. k UStG noch nach § 4 Nr. 25 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Die Umsätze des Klägers sind aber - entgegen der Auffassung des FG - nach Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit. Der Kläger erbringt begünstigte Leistungen sozialen Charakters und er ist auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt. Das Urteil des FG widerspricht diesen Grundsätzen und ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, sondern wegen fehlender Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.

Leistungsempfänger bei der Übertragung von hälftigem Miteigentum
Bei der Übertragung von hälftigem Miteigentum ist der jeweilige Miteigentümer Leistungsempfänger, sodass für den Fall eines Verzichts gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 3 UStG auf die nach § 4 Nr. 9 Bst. a UStG bestehende Steuerfreiheit keine Steuerschuld einer GbR nach § 13b Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5 S. 1 UStG besteht.

BFH v. 25.11.2021, V R 44/20

Hinweis
Nach § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG entsteht die Steuer für steuerpflichtige Umsätze, die unter das GrEStG fallen, mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats. Steuerschuldner ist nach § 13b Abs. 5 S. 1 UStG der Leistungsempfänger unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen.

Die Eheleute G erwarben von der I-GmbH & Co. A KG (KG) mit notariellen Kaufverträgen vom 20.08.2012 zwei noch zu errichtende Wohnungen in einem Seniorenpflege- und Seniorenwohnzentrum jeweils zu hälftigem Miteigentum als Anlageobjekte, wobei eine Vermietungsgarantie über 25 Jahre vereinbart wurde.

Im Notarvertrag verzichtete der Verkäufer auf die Steuerbefreiung gem. § 9 Abs. 2 UStG. Das FA erließ im Schätzungswege einen Umsatzsteuerbescheid für 2012. Den Bescheid adressierte das FA an die Wohnadresse der Eheleute G unter der Bezeichnung G-GbR. Streitig ist, ob das FA die GbR als Steuerschuldner nach § 13b UStG in Anspruch nehmen konnte.

Der BFH hat entschieden, dass bei der Übertragung von hälftigem Miteigentum der jeweilige Miteigentümer Leistungsempfänger ist, sodass für den Fall eines Verzichts gem. § 9 Abs. 1 u. 3 UStG auf die Steuerfreiheit gem. § 4 Nr. 9 Bst. a USTG keine Steuerschuldnerschaft einer GbR gem. § 13b Abs. 2 Nr. 3 u. Abs. 5 S. 1 UStG besteht.

Die Klägerin ist nicht Steuerschuldner nach § 13b Abs. 2 Nr. 3 u. Abs. 5 S. 1 UStG. Steuerschuldner ist nach § 13b Abs. 5 S. 1 UStG der Leistungsempfänger unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen. Die Person des Leistungsempfängers bestimmt sich entsprechend allgemeinen Grundsätzen, die auch bei Anwendung von § 13b UStG zu beachten sind, nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Dies gilt auch für § 13b Abs. 2 Nr. 3 u. Abs. 5 S. 1 UStG. Die dort als unter das GrEStG fallend bezeichneten Umsätze sind im selben Umfang gem. § 4 Nr. 9 Bst. a UStG steuerfrei. Dabei verweisen beide Vorschriften insbesondere auf § 1 Abs. 1 GrEStG, der einen Rechtsvorgang voraussetzt, der sich auf ein inländisches Grundstück bezieht, wobei sich dieser Rechtsvorgang im Streitfall nach dessen Nr. 1 aus einem Kaufvertrag ergibt, der einen Anspruch auf Übereignung begründet. Die Steuerpflicht und damit auch die Steuerschuld des Leistungsempfängers beruhen bei diesem einen Kaufvertrag voraussetzenden Umsatz auf dem Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 9 Abs. 1 u. Abs. 3 UStG. Auch hier kommt es auf einen die Steuerbarkeit begründenden Kaufvertrag an, da der Verzicht gem. § 9 Abs. 3 S. 2 UStG in dem gem. § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag zu erklären ist. Im Regelungszusammenhang von § 4 Nr. 9 Bst. a i. V. m. § 9 Abs. 1 u. Abs. 3 S. 2, § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG ist es entgegen dem Urteil des FG nicht möglich, die Person des Steuerschuldners abweichend von dem nach diesen Vorschriften maßgeblichen Kaufvertrag zu bestimmen. Daher liegen im Streitfall mehrere Leistungen vor, die an den jeweiligen Ehegatten als Leistungsempfänger im Umfang des auf ihn übertragenen Miteigentumsanteils erbracht wurden, sodass in Bezug auf den einzelnen Miteigentumsanteil der jeweilige Ehegatte, nicht aber eine (von den Ehegatten gebildete) GbR als Leistungsempfänger anzusehen ist. Die Steuerfestsetzung ist auch nicht in eine gegenüber den Ehegatten G als Gesamtschuldner ergangene Steuerfestsetzung umzudeuten.
 

1.2.Einkommensteuer

§ 34 EStG bei Überstundenvergütungen
Werden Überstundenvergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet, ist die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 2 EStG zu gewähren.

BFH v. 02.12.2021, VI R 23/19

Hinweis
Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 1 EStG). Mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 2 EStG).

Im Streitfall hatte der Kläger über einen Zeitraum von drei Jahren in erheblichem Umfang Überstunden geleistet. Erst im vierten Jahr wurden dem Kläger die Überstunden in einer Summe vergütet. Das Finanzamt unterwarf die Überstundenvergütung dem normalen Einkommensteuertarif.

Der BFH hat entschieden, dass nachgezahlte Überstundenvergütungen, die für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden, mit einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern sind.

Mit steigendem Einkommen erhöht sich die Einkommensteuer progressiv. Werden Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit nicht laufend, sondern in einer Summe ausgezahlt, führt der Progressionseffekt zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Steuer(mehr)belastung. Um die progressive Wirkung des Einkommensteuertarifs bei dem zusammengeballten Zufluss von Lohnnachzahlungen zu mildern, sieht das Gesetz die Besteuerung dieser Nachzahlungen mit einem ermäßigten Steuersatz vor. Voraussetzung ist allerdings, dass die Nachzahlung sich auf die Vergütung für eine Tätigkeit bezieht, die sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Der BFH hat klargestellt, dass die Tarifermäßigung nicht nur auf die Nachzahlung von Festlohnbestandteilen, sondern auch auf Nachzahlungen von variablen Lohnbestandteilen - hier in Form der Überstundenvergütungen - Anwendung findet. Hier wie dort ist allein entscheidend, ob die nachgezahlte Vergütung für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet worden ist.


Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer einer Flugbegleiterin - Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 25.07.2019 als NV-Entscheidung abrufbar
Der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers setzt voraus, dass der jeweilige Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt wird. Unerheblich ist, ob ein häusliches Arbeitszimmer für die Tätigkeit erforderlich ist. Für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen genügt die Veranlassung durch die Einkünfteerzielung.

BFH v. 03.04.2019, VI R 46/17

Hinweis
Nach § 9 Abs. 5 i. V. m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt (S. 3 Hs. 1). Die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (S. 3 Hs. 2).

Im Streitfall machte eine Flugbegleiterin Aufwendungen in Höhe von 1.250 € für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Für die dort verrichteten Arbeiten stand ihr unstreitig kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung. Das Finanzgericht war aber der Ansicht, angesichts des sehr geringen Anteils dieser Arbeiten im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit der Klägerin sei das Vorhalten des Arbeitszimmers nicht erforderlich, da diese Arbeiten auch andernorts (bspw. am Küchentisch) hätten ausgeführt werden können.

Der BFH hat entschieden, dass ein Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht voraussetzt, dass das Arbeitszimmer für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen erforderlich ist. Wird der Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt, genügt das für den Abzug. Das Gesetz regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer abziehbar sind. Insoweit typisiert das Gesetz die Erforderlichkeit der beruflichen oder betrieblichen Nutzung des Arbeitszimmers für die Fälle, dass kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten Betätigung bildet, ohne den Begriff der Erforderlichkeit zu einer zu überprüfenden Voraussetzung für den Abzug zu machen. Ob der Steuerpflichtige die Arbeiten, für die ihm kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, leicht an einem anderen Ort in der Wohnung - am Küchentisch, im Esszimmer oder in einem anderen Raum - hätte erledigen können, ist deshalb unerheblich.


Zur Zurechnung eines aus einer Sperrfristverletzung gemäß § 16 Abs. 3 S. 3 EStG resultierenden Gewinns
Ein Gewinn i. S. des § 16 Abs. 3 S. 3 EStG, den ein Realteiler erzielt, weil er seinen Betrieb, in den er die im Rahmen der Realteilung übernommenen wesentlichen Betriebsgrundlagen zum Buchwert übertragen hat, innerhalb der Sperrfrist veräußert, ist gemäß § 16 Abs. 3 S. 8 EStG allein diesem Realteiler zuzurechnen.

BFH v. 23.11.2021, VIII R 14/19

Hinweis
Werden im Zuge der Realteilung einer Mitunternehmerschaft Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile oder einzelne Wirtschaftsgüter in das jeweilige Betriebsvermögen der einzelnen Mitunternehmer übertragen, so sind bei der Ermittlung des Gewinns der Mitunternehmerschaft die Wirtschaftsgüter mit den Werten anzusetzen, die sich nach den Vorschriften über die Gewinnermittlung ergeben, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist; der übernehmende Mitunternehmer ist an diese Werte gebunden (§ 16 Abs. 3 S. 2 EStG). Werden im Zuge der Realteilung Grundstücke, Gebäude oder andere wesentliche Betriebsgrundlagen als Einzelwirtschaftsgüter zum Buchwert übernommen und werden diese innerhalb einer Sperrfrist von drei Jahren nach der Übertragung veräußert oder entnommen, so ist gemäß § 16 Abs. 3 S. 3 EStG für den jeweiligen Übertragungsstichtag rückwirkend für das veräußerte bzw. entnommene Wirtschaftsgut der gemeine Wert anzusetzen. § 16 Abs. 3 S. 3 EStG enthält eine Sonderregelung für Fälle, in denen bei der Realteilung einzelne Wirtschaftsgüter - nicht aber Teilbetriebe oder Mitunternehmeranteile - zum Buchwert übertragen und diese dann innerhalb der Sperrfrist veräußert (oder entnommen) werden.

Die Klägerin und die Beigeladene waren zu gleichen Teilen an einer in der GbR geführten ärztlichen Gemeinschaftspraxis beteiligt, die sie im Wege einer (echten) Realteilung zum 30.06.2012 beendet haben. Sie übernahmen die im Rahmen der Realteilung zugeteilten Wirtschaftsgüter jeweils zu Buchwerten in freiberufliche Einzelpraxen, in denen sie ihre ärztliche Tätigkeit nach Auflösung der GbR fortsetzten. Die Auseinandersetzungsvereinbarung vom 24.04.2012 enthielt keine Regelungen zu einer Veräußerung oder Entnahme des Gesamthandsvermögens innerhalb der Sperrfrist des § 16 Abs. 3 S. 3 EStG. Die GbR erklärte für das Jahr 2012 (Streitjahr) - neben Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben - einen laufenden Gewinn. Das FA stellte die Besteuerungsgrundlagen mit Bescheid vom 25.04.2014 insoweit erklärungsgemäß fest und rechnete den Gesellschafterinnen den laufenden Gewinn entsprechend der Gewinnverteilungsquote hälftig zu. Mit Schreiben vom 18.02.2015 zeigte die Beigeladene dem FA an, dass sie ihre im Wege der Realteilung entstandene Arztpraxis zum 30.09.2013 veräußert habe. Ihres Erachtens sei für die innerhalb der Sperrfrist veräußerten wesentlichen Betriebsgrundlagen rückwirkend auf den Zeitpunkt der Realteilung statt des Buchwertes der gemeine Wert anzusetzen (§ 16 Abs. 3 S. 3 EStG). Der daraus resultierende Gewinn sei nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zu verteilen. Das FA folgte der Beigeladenen. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht. Der streitgegenständliche Gewinn des § 16 Abs. 3 S. 3 EStG sei entgegen der Auffassung des FG allein der Beigeladenen zuzurechnen.

Der BFH hat entschieden, dass ein Gewinn i. S. d. § 16 Abs. 3 S. 3 EStG, den ein Realteiler erzielt, weil er seinen Betrieb, in den er die im Rahmen der Realteilung übernommenen wesentlichen Betriebsgrundlagen zum Buchwert übertragen hat, innerhalb der Sperrfrist veräußert, gem. § 16 Abs. 3 S. 8 EStG allein diesem Realteiler zuzurechnen ist.

§ 16 Abs. 3 S. 3 EStG sieht nach seinem Wortlaut allein den rückwirkenden Ansatz des gemeinen Wertes der betroffenen Wirtschaftsgüter vor, enthält jedoch keine Aussage zur Zurechnung des so entstehenden Gewinns. Der rückwirkend durch eine Betriebsveräußerung entstehende Gewinn ist gemäß § 16 Abs. 3 S. 8 EStG allein dem die Sperrfrist verletzenden Realteiler zuzurechnen. Nach § 16 Abs. 3 S. 8 EStG ist bei Aufgabe eines Gewerbebetriebs, an dem mehrere Personen beteiligt waren, für jeden einzelnen Beteiligten der gemeine Wert der Wirtschaftsgüter anzusetzen, die er bei der Auseinandersetzung erhalten hat.

§ 16 Abs. 3 S. 8 EStG stellt eine Sonderregelung für die Ermittlung des Aufgabegewinns bei Mitunternehmerschaften dar. Sie schreibt nicht allein den Ansatz des gemeinen Wertes vor, sondern regelt auch die Gewinnzurechnung. Die Norm rechnet dem einzelnen Beteiligten im Fall der aufgabebedingten Übernahme von Wirtschaftsgütern unmittelbar das zu, was er tatsächlich erhält. Nur wenn im Rahmen der Betriebsaufgabe überhaupt kein Wirtschaftsgut von einem Beteiligten übernommen wird, sondern alle Wirtschaftsgüter veräußert werden, ist dem einzelnen Beteiligten ein Anteil am Aufgabegewinn nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel zuzurechnen. Dementsprechend ist § 16 Abs. 3 S. 8 EStG als spezielle Gewinnzuweisungsnorm zu verstehen, die die Gewinnverteilung vom allgemeinen Gewinnverteilungsmaßstab loslöst. Ohne die von § 16 Abs. 3 S. 8 EStG vorgesehene Gewinnzurechnung käme es in den Fällen der Betriebsveräußerung innerhalb der Sperrfrist nicht nur zu einer rechtlich bedenklichen Besteuerung aus Drittverhalten, sondern auch zu einer nicht mehr vom Normzweck des § 16 Abs. 3 S. 3 EStG gedeckten typisierenden Gewinnzurechnung. § 16 Abs. 3 S. 3 EStG soll Gestaltungen verhindern, die einer gezielten Verlagerung von Wirtschaftsgütern und stillen Reserven im Wege der Realteilung mit dem Ziel der Veräußerung oder Entnahme des Wirtschaftsguts dienen. An einer solchen Gestaltung fehlt es, wenn der Realteiler innerhalb der Sperrfrist durch einen Praxisverkauf sämtliche stillen Reserven aus den übernommenen Wirtschaftsgütern aufdeckt und - wie im Streitfall - keine Anhaltspunkte für eine gezielte Verlagerung wesentlicher Betriebsgrundlagen auf den Realteiler mit dem Ziel einer Statusverbesserung für den Fall der zeitnahen Veräußerung/Entnahme des Wirtschaftsguts ersichtlich sind.
 

1.3.Internationales Steuerrecht

Nichtanrechenbarkeit ausländischer Quellensteuerbeträge bei vollständiger Verrechnung der zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge mit inländischen Verlusten
Nicht ausgeglichene Verluste eines Ehegatten aus Kapitalvermögen können im Rahmen einer Veranlagung der Kapitalerträge zum gesonderten Tarif i. S. des § 32d Abs. 1 EStG nicht ehegattenübergreifend mit positiven Kapitalerträgen des anderen Ehegatten verrechnet werden.

Es ist mit der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar, dass ausländische Quellensteuerbeträge gemäß § 32d Abs. 5 S. 1 u. 2 EStG nicht gemäß § 32d Abs. 1 S. 2 EStG auf die Einkommensteuer zum gesonderten Tarif i. S. des § 32d Abs. 1 EStG anrechenbar sind und verfallen, wenn die zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 6 S. 3 EStG mit inländischen Verlusten aus Kapitalvermögen zu verrechnen sind.

BFH v. 23.11.2021, VIII R 22/18

Hinweis
§ 32d Abs. 5 S. 1 u. 2 EStG geben vor, dass die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer für den jeweiligen ausländischen Kapitalertrag auf die Höhe der Einkommensteuer begrenzt ist, die auf diesen entfällt (sog. per-item-limitation) und dass der Anrechnungsbetrag an ausländischer Steuer je Kapitalertrag 25 % der Einnahme (des jeweiligen Kapitalertrags) nicht übersteigen darf. Zudem ist die Summe der nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge gem. § 32d Abs. 5 S. 3 EStG begrenzt, d. h. die Einkommensteuer auf die gesamten in- und ausländischen Kapitalerträge, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 S. 1 EStG unterliegen, kann durch die Anrechnung der ausländischen Steuerbeträge (§ 32d Abs. 1 S. 2 EStG) maximal auf 0 € gemindert werden; ein Anrechnungsüberhang wird weder erstattet noch vorgetragen.

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 2010 über die Verrechnung ausländischer quellensteuerbelasteter Kapitalerträge mit inländischen Verlusten des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) aus Kapitalvermögen und über die Anrechenbarkeit der ausländischen Quellensteuerbeträge der Kläger.

Der BFH hat entschieden, dass es mit der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist, dass ausländische Quellensteuerbeträge gem. § 32d Abs. 5 S. 1 u. 2 EStG nicht gem. § 32d Abs. 1 S. 2 EStG auf die Einkommensteuer zum gesonderten Tarif i. S. des § 32d Abs. 1 EStG anrechenbar sind und verfallen, wenn die zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge gem. § 20 Abs. 6 S. 3 EStG mit inländischen Verlusten aus Kapitalvermögen zu verrechnen sind.

Das FG hat das Klagebegehren inhaltlich zutreffend erfasst und die Klage des Klägers zu Recht als zulässig angesehen. Zwar sind die Kapitaleinkünfte des Klägers im angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 20.06.2012 in Höhe von 0 € angesetzt worden und nicht mit Einkommensteuer belastet. Dies steht der Beschwer des Klägers aber nicht entgegen. Die ausländischen Quellensteuerbeträge des Klägers sind, wie vom FG im Ergebnis zu Recht erkannt, nicht gem. § 32d Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 32d Abs. 5 EStG auf die Einkommensteuer anzurechnen, da es aufgrund der Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 S. 3 EStG an einer inländischen Einkommensteuerbelastung der zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge des Klägers i. S. d. § 32d Abs. 5 S. 1 u. 2 EStG fehlt. Der Kläger kann die ausländischen quellensteuerbelasteten Kapitalerträge nicht auf der Grundlage einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 20 Abs. 6 S. 3 EStG von der Verlustverrechnung ausnehmen, um im Streitjahr die Anrechnung der ausländischen Quellensteuerbeträge gem. § 32d Abs. 5 EStG und einen höheren Verlustabzug in den Folgejahren zu erreichen. § 20 Abs. 6 S. 3 EStG und § 32d Abs. 5 EStG beschränken die Niederlassungs- und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 49, Art. 63 AEUV) nicht.

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