Rechtsprechung KW 10 - 2022

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO
Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO ist zulässig, wenn ein Unternehmen der gesetzlichen Krankenversicherung - entgegen der gesetzlichen Anordnung - die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers nicht übermittelt, der Datensatz der Steuernummer einer Person zugeordnet wird, die nicht Versicherungsnehmer ist und der Veranlagungs-Sachbearbeiter - materiell-rechtlich zu Unrecht - entscheidet, dieser Person den Sonderausgabenabzug zu gewähren.

Soweit § 175b Abs. 1 AO an „Daten im Sinne des § 93c“ AO anknüpft, beschränkt sich dies nicht lediglich auf die Inhalte des in § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO definierten Datensatzes, sondern umfasst nach dem - den Regelungsbereich der Norm umschreibenden - Eingangssatz des § 93c Abs. 1 AO alle steuerlichen Daten eines Steuerpflichtigen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einer mitteilungspflichtigen Stelle an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind.

Vorsorgeaufwendungen aus privatrechtlichen Versicherungsverträgen kann - vorbehaltlich gesetzlicher Sonderregelungen - nur derjenige Steuerpflichtige als Sonderausgaben abziehen, der sie als Versicherungsnehmer selbst zivilrechtlich schuldet und auch tatsächlich zahlt (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

BFH v. 08.09.2021, X R 5/21

Hinweis
Ein Steuerbescheid ist aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden (§ 175b Abs. 1 AO).

Die Beteiligten streiten sich darüber, ob § 175b AO als Änderungsvorschrift für eine nachträgliche Anpassung von Krankenkassenbeiträgen Anwendung findet.

Der BFH hat entschieden, dass die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO zulässig ist, wenn ein Unternehmen der gesetzlichen Krankenversicherung die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers übermittelt, der Datensatz der Steuernummer einer Person zugeordnet wird, die nicht Versicherungsnehmer ist und der Veranlagungs-Sachbearbeiter - materiell-rechtlich zu Unrecht - entscheidet, dieser Person den Sonderausgabenabzug zu gewähren.

Der in § 175b Abs. 1 AO verwendete Begriff der „Daten“ ist nicht auf den „Datensatz“ beschränkt, dessen (Mindest-)Inhalt in § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO definiert wird. Vielmehr erfasst der Regelungsbereich des § 93c nach dem Wortlaut des Eingangssatzes seines Abs. 1 alle steuerlichen Daten eines Steuerpflichtigen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einer mitteilungspflichtigen Stelle an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind. Hierzu gehören auch diejenigen Daten, deren Übermittlung an die Finanzbehörde erst in einem Einzelsteuergesetz („auf Grund gesetzlicher Vorschriften“) angeordnet wird. Auch die weiteren Absätze des § 93c AO erfassen erkennbar nicht lediglich die Mindestinhalte des „Datensatzes“ nach § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO, sondern sämtliche übermittlungspflichtige „Daten“ i. S. des Eingangssatzes des § 93c Abs. 1 AO i. V. m. den Einzelsteuergesetzen. Dies entspricht auch der in den Gesetzesmaterialien vertretenen Auffassung, wonach § 175b AO für alle Fälle gelten soll, in denen sich die Datenübermittlung nach § 93c Abs. 1 AO richtet.
 

1.2.Umsatzsteuer

Umsatzsteuerpflicht für Schwimmunterricht
Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ i. S. von Art. 132 Abs. 1 Bst. i und j MwStSystRL umfasst nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht (Änderung der BFH-Rechtsprechung, Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Dubrovin & Tröger - Aquatics vom 21.10.2021 - C-373/19).

BFH v. 16.12.2021, V R 31/21 (V R 32/18)

Hinweis
§ 4 Nr. 21 Bst. a Dbst. bb UStG sieht eine Steuerfreiheit für die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen vor, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Nach Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten insbesondere folgende Umsätze von der Steuer:

„i) Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;
j) von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht;“.

Die Klägerin betreibt eine Schwimmschule in der Rechtsform einer GbR. Im Rahmen ihrer Tätigkeit führt sie im Wesentlichen Schwimmkurse für Kinder auf verschiedenem Niveau durch, in denen die Grundlagen und Techniken des Schwimmens vermittelt werden. Die Klägerin ist der Ansicht, dass diese Leistungen von der Mehrwertsteuer zu befreien sind. Das FG der ersten Instanz gab der Klage statt. Eine Steuerbefreiung nach nationalem Recht sei nicht gegeben. Jedoch könne sich die Klägerin auf Art. 132 Abs. 1 Bst. j MwStSystRL berufen. Auf die Revision des FA legte der BFH dem EuGH u. a. die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Bst. i u. j MwStSystRL auch die Erteilung von Schwimmunterricht umfasst. Der EuGH führte aus, dass mit dem Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ der Unionsgesetzgeber auf einen bestimmten Typus von Unterrichtssystem abstellen wollte, der allen Mitgliedstaaten unabhängig von den jeweiligen Besonderheiten der nationalen Systeme gemeinsam ist (EuGH, Urteil v. 14.03.2019, C 449/17 „A & G Fahrschul-Akademie“, Rz. 25). Unzweifelhaft wird mit dem hier in Rede stehenden Schwimmunterricht ein wichtiges und im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt. Jedoch bleibt er ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt. Der BFH hat entschieden, dass der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Bst. i u. j MwStSystRL nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst.

Mit dem EuGH-Urteil „Dubrovin & Tröger Aquatics“ steht für den Streitfall fest, dass Schwimmunterricht nicht unter die unionsrechtlich zu gewährende Steuerfreiheit fällt. Entgegen dem Vorlagebeschluss ist die Tatsache, dass der Schwimmunterricht zur Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit dient, über die jeder Mensch – insbesondere zur Bewältigung von Notsituationen beim Kontakt mit Gewässern – verfügen sollte, aus Sicht des EuGH unbeachtlich. Aufgrund der sich aus dem EuGH-Urteil ergebenden Bindungswirkung hatte der Senat nicht zu entscheiden, ob diese Auslegung zu einer der „Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ als sachlich zutreffend zu erachten ist. Der Senat hält daher an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Eine Steuerfreiheit lässt sich auch nicht anderweitig begründen.
 

1.3.Einkommensteuer

Steuerpflicht des Arbeitslohns aus einer Tätigkeit für die ISAF
Der für eine Tätigkeit als International Civilian Consultant bei der ISAF in Afghanistan gezahlte Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer. Aus völkerrechtlichen Vereinbarungen ergibt sich kein Anspruch auf eine Steuerbefreiung.

BFH v. 13.10.2021, I R 43/19

Hinweis
Der in Deutschland wohnhafte Kläger stand zunächst als Soldat im Dienst der Bundeswehr. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst war er in den Jahren 2012 und 2013 als International Civilian Consultant bei der ISAF (International Security Assistance Force/Internationale Sicherungsunterstützungstruppe) in Afghanistan tätig. Sein Gehalt für diese Tätigkeit zahlte die NATO. Der Kläger war der Auffassung, dass der Arbeitslohn in Deutschland nicht der Besteuerung unterliege. Dies folge aus internationalen Abkommen, die die NATO beziehungsweise die ISAF beträfen.

Nach Art. 19 S. 1 des Ottawa-Abkommens sind die Bediensteten der Organisation i. S. d. Art. 17 von Steuern auf die ihnen von der Organisation in ihrer Eigenschaft als deren Bedienstete gezahlten Gehälter und sonstigen Dienstbezüge befreit. Art. 17 des Ottawa-Abkommens wiederum sieht vor, dass die Gruppen von Bediensteten, auf die (u. a.) Art. 19 des Ottawa-Abkommens Anwendung findet, Gegenstand einer Vereinbarung zwischen dem Vorsitzenden der Stellvertreter im Rat und jedem beteiligten Mitgliedstaat ist. Über die Durchführung von Teil IV - u. a. Art. 17 - des Ottawa-Abkommens haben die NATO und Deutschland am 30.11.1961 eine Vereinbarung geschlossen, die nach § 1 Abs. 1 S. 1 der erlassenen Verordnung über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an internationale Bedienstete der Nordatlantikvertrags-Organisation vom 29.03.1962. BGBl. 1962 II, 113 für die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an Bedienstete der NATO maßgebend ist und deren Art. 1 zufolge die Gruppen von Bediensteten der NATO und der nachgeordneten Stellen der NATO, auf welche u. a. Art. 19 des Ottawa-Abkommens in Deutschland Anwendung findet, die Besoldungsgruppen A, B und C der NATO-Personalbestimmungen umfassen, wenn die entsprechenden Bediensteten ihren Dienstort auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland haben.

Der BFH hat entschieden, dass der für eine Tätigkeit der ISAF in Afghanistan gezahlte Arbeitslohn der Einkommensteuer unterliegt.

Da ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Afghanistan nicht existiert, konnte sich eine Steuerbefreiung nur aus internationalen Abkommen ergeben, die die Rechtsstellung der Mitglieder internationaler Organisationen betreffen. Allerdings erfassen die steuerrechtlichen Vorschriften dieser Abkommen die Tätigkeit des Klägers für die ISAF aus unterschiedlichen Gründen nicht. So sind die entsprechenden Regelungen des NATO-Truppenstatuts von vornherein beschränkt auf solche Tätigkeiten, die im Bündnisgebiet erbracht werden. Das sogenannte Ottawa-Abkommen gilt für bestimmte Gruppen von Beschäftigten der NATO-Organisationen. Es greift aber nur dann ein, wenn der Beschäftigte seinen Dienstort auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik hat. Auch die Abkommen, die steuerrechtliche Regelungen für die Vereinten Nationen und deren Sonderorganisationen, wie z. B. die UNESCO oder die WHO, enthalten, sind nicht einschlägig. Denn die ISAF ist zwar durch die Resolution 1386 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 20.12.2001 gemäß den Regelungen in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen („Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“) eingerichtet worden, sie selbst stellt aber keine derartige Sonderorganisation dar.
 

1.4.Körperschaftsteuer

Veräußerung von Anteilen aus einer Wandelanleihe
Hat ein Finanzunternehmen eine Wandelanleihe in der Absicht erworben, einen kurzfristigen Eigenhandelserfolg zu erzielen, und veräußert es die im Zuge der Wandlung erhaltenen Aktien, erfüllt dies den Tatbestand des § 8b Abs. 7 S. 2 KStG.

BFH v. 13.10.2021, I R 37/18

Hinweis
Finanzunternehmen i. S. v. § 8b Abs. 7 S. 2 KStG i. V. m. § 1 Abs. 3 S. 1 KWG a. F. sind u. a. solche Unternehmen, die weder Kreditinstitute noch Finanzdienstleistungsinstitute sind und deren Haupttätigkeit u. a. darin besteht, Beteiligungen zu erwerben und zu halten (s. insoweit § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 KWG a.F.) oder mit Finanzinstrumenten für eigene Rechnung zu handeln (s. insoweit § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 KWG a.F.).

Im Streitjahr wickelte die Klägerin (eine GbR, zu Beginn des Streitjahres waren B, C und D mit jeweils 2 % und E mit 94 % an der Klägerin beteiligt) hauptsächlich wie bereits in den Vorjahren über depotführende Banken diverse Wertpapiergeschäfte sowie Devisengeschäfte ab und erwarb Goldbarren. Aus einer Beteiligung an der A KG erzielte sie des Weiteren Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Rahmen einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass eine Übertragung eines Anteils an der Klägerin durch E auf die Stiftung einen Gesellschafterwechsel bewirkt habe, weshalb der vortragsfähige Verlust zu reduzieren sei. Die Ausübung eines Wandlungsrechts sei als tauschähnlicher Vorgang und die erhaltenen Aktienpakete seien als Betriebseinnahme zu werten. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns i. S. des § 8b Abs. 2 KStG sei, soweit die Stiftung an der Klägerin beteiligt sei, dem erzielten Veräußerungspreis der Wert der Aktienpakete als Anschaffungskosten gegenüberzustellen.

Der BFH hat entschieden, dass der Tatbestand des § 8b Abs. 7 S. 2 KStG erfüllt wird, wenn ein Finanzunternehmen eine Wandelanleihe in der Absicht erworben hat, einen kurzfristigen Eigenhandelserfolg zu erzielen und die im Zuge der Wandlung erhaltenen Aktien veräußert.

Weiterhin ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass § 8b Abs. 1 - 6 KStG gem. § 8b Abs. 7 S. 2 KStG nicht auf Anteile anzuwenden sind, die von Finanzunternehmen unter den dort genannten Voraussetzungen erworben werden. § 3 Nr. 40 S. 3 Hs. 2 EStG enthält eine identische Regelung für die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens. Die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8b Abs. 7 S. 2 KStG und der Parallelregelung im EStG erfüllt wurden, hat das FG rechtsfehlerfrei bejaht.
 
 

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