Rechtsprechung KW 50 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Keine Ablaufhemmung beim Bauleistenden in sog. Bauträgerfällen
Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO setzt voraus, dass der Erstattungsanspruch vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist (Anschluss an BFH-Urteile vom 04.08.2020 – VIII R 39/18, BFHE 270, 81, sowie vom 25.11.2020 - II R 3/18, BFHE 272, 1).

In den sog. Bauträgerfällen führt ein Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers (Bauträger) nicht zu einer Ablaufhemmung für die Steuerfestsetzung beim Bauleistenden, wenn im Zeitpunkt der Festsetzung des Erstattungsanspruchs bereits Festsetzungsverjährung beim Bauleistenden eingetreten ist.

BFH v. 27.07.2021, V R 3/20
Hinweis

Die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch endet nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228 AO) (§ 171 Abs. 14 AO).

Die Klägerin ist eine Tischlerei. Diese erbrachte im Streitjahr Bauleistungen (Errichtung einer Treppenanlage) an einen Bauträger (Firma X). Die Vertragspartner gingen - entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung - davon aus, dass die Firma X als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer schulde (§ 13b UStG). Die Klägerin wies daher in ihrer Rechnung keine Umsatzsteuer aus und erfasste diesen Umsatz auch nicht in ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr. Im Anschluss an das BFH-Urteil v. 22.08.2013, V R 37/10 BStBl. 2014 II, 128) beantragte die Firma X als Leistungsempfängerin mit Schreiben vom 30.12.2014 die Erstattung der von ihr als Steuerschuldnerin nach § 13b UStG an das FA gezahlten Umsatzsteuer. Das FA forderte die Klägerin auf, eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr unter Berücksichtigung des Umsatzes an die Firma X einzureichen und wies auf die Möglichkeit hin, den zivilrechtlichen Zahlungsanspruch gegen den Leistungsempfänger an das Bundesland B abzutreten. Dem kam die Klägerin nicht nach, weil sie davon ausging, dass bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei und die Umsatzsteuerfestsetzung 2009 daher vom FA nicht mehr geändert werden könne. Mit dem gem. § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 26.03.2018 erhöhte das FA unter Hinweis auf eine Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 14 AO die Umsätze zum Regelsteuersatz um das Nettoentgelt der Bauleistung der Klägerin an die Firma X. Streitig ist, ob der Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für 2009 (Streitjahr) v. 26.03.2018 erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen wurde.

Der BFH hat entschieden, dass die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 14 AO voraussetzt, dass der Erstattungsanspruch vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist.

Zutreffend hatte das FG entschieden, dass bei Erlass des streitgegenständlichen Umsatzsteuer-Änderungsbescheids die reguläre Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war. Die Voraussetzungen für die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 14 AO, wonach die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht endet, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228 AO), liegen nicht vor.


Kein strukturelles Vollzugsdefizit bei bargeldintensiven Betrieben im Jahr 2015
Im Jahr 2015 bestand hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch bei sog. bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit.

BFH v. 16.09.2021, IV R 34/18

Hinweis
Gem. Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich.

Streitig ist, ob bezüglich der Erfassung von Bareinnahmen aus bargeldintensiven Geschäftsbetrieben (insbesondere im Bereich der Gastronomie) im Veranlagungszeitraum 2015 (Streitjahr) ein strukturelles Vollzugsdefizit vorlag und deshalb die erzielten Bareinnahmen nur teilweise der Besteuerung unterliegen. Die Klägerin, eine im Jahr 2008 gegründete, zwischenzeitlich in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG tätige Personengesellschaft, betreibt mehrere Gaststätten und Hotelbetriebe. Insbesondere die Gaststätten gehören zum Bereich der sog. bargeldintensiven Geschäftsbetriebe. Mit ihrer Sprungklage machte die Klägerin geltend, hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen bei bargeldintensiven Betrieben liege ein strukturelles Vollzugsdefizit vor, das eine gleichmäßige Besteuerung aller Marktteilnehmer verhindere. Der Gesetzgeber habe dies zu verantworten. Die Besteuerung der von der Klägerin erzielten Bareinnahmen in vollem Umfang verstoße daher gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Der BFH hat entschieden, dass im Jahr 2015 hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch bei sog. bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse kein dem Gesetzgeber zuzurechnenden strukturelles Vollzugsdefizit bestand.

Die ausführliche Begründung des FG ist zutreffend. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es der Klägerin im Revisionsverfahren allein (noch) um die Feststellung eines ihrer Ansicht nach gegebenen strukturellen Erhebungsdefizits bei Marktteilnehmern mit offener Ladenkasse im Vergleich zu solchen mit einer Registrierkasse geht. Trotz bestehender Probleme bei der Erhebung und Verifikation von Besteuerungsgrundlagen im Bereich der bargeldintensiven Geschäftsbetriebe, insbesondere in der Gastronomie, besteht im Streitjahr kein struktureller, dem Gesetzgeber zuzurechnender Erhebungsmangel. Die Möglichkeiten zur Manipulation von Kassenaufzeichnungen stellen ein ernstzunehmendes Problem für den gleichmäßigen Steuervollzug dar; dies galt auch bereits im Streitjahr. Die Gleichheit im Belastungserfolg wurde aber durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens - auch im Streitjahr - nicht prinzipiell verfehlt. Vielmehr lag auch im Streitjahr selbst für bargeldintensive Betriebe im Bereich der Gastronomie eine normative Gestaltung vor, die gerade auf die Durchsetzung der pflichtbegründenden Steuernorm abzielt. Es bestand - anders als die Klägerin meint - auch im Streitjahr selbst für Betreiber einer offenen Ladenkasse ein angemessenes Entdeckungsrisiko bei Manipulationen. Ein etwa gleichwohl bestehendes Vollzugsdefizit im Bereich der bargeldintensiven Betriebe mit offener Ladenkasse lag im Streitjahr jedenfalls allein im Tatsächlichen und ist dem Gesetzgeber nicht zuzurechnen. Auch wenn danach im Streitjahr kein strukturelles Vollzugsdefizit im Bereich der bargeldintensiven Betriebe mit offener Ladenkasse vorlag, entbindet dies den Gesetzgeber nicht von seiner Pflicht, die offensichtlich bestehenden tatsächlichen Vollzugsprobleme bei der Besteuerung von Betrieben mit offenen Ladenkassen insbesondere im Bereich der Gastronomie sorgsam zu beobachten und alsbald zu prüfen, ob die seit 2016 ergriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen zu einer Verbesserung des Vollzugs auch in diesem Bereich geführt haben. Bei der danach erforderlichen Evaluierung kann ggf. auch die fortschreitende Digitalisierung zu berücksichtigen sein.
 

2.Verwaltungsanweisungen

2.1.Einkommensteuer

Rücklage für Ersatzbeschaffung – vorübergehende Verlängerung der Reinvestitionsfristen
Das BMF hat die Reinvestitionsfristen für Ersatzbeschaffung erneut verlängert.

BMF v. 15.12.2021

Die in R 6.6 Abs. 4 S. 3 - 6, Abs. 5 S. 5 u. 6 sowie Abs. 7 S. 3 u. 4 EStR geregelten Fristen für die Ersatzbeschaffung oder Reparatur bei Beschädigung nach Bildung einer Rücklage nach R 6.6 Abs. 4 EStR verlängern sich jeweils um zwei Jahre, wenn die Rücklage ansonsten am Schluss des nach dem 29.02.2020 und vor dem 01.01.2021 endenden Wirtschaftsjahres aufzulösen wäre.
Die genannten Fristen verlängern sich um ein Jahr, wenn die Rücklage am Schluss des nach dem 31.12.2020 und vor dem 01.01.2022 endenden Wirtschaftsjahres aufzulösen wäre.
 

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