Auswertung Aufsätze 09 - 2021

1.Verfahrensrecht

1.1.NWB

Vollverzinsung mit Zinssatz von 6 % verfassungswidrig - Konsequenzen für den Gesetzgeber und die Praxis
Baum, NWB 35/2021, S. 2.580

Anmerkung
Mit Beschluss v. 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 hat das BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Vollverzinsung gem. § 233a AO entschieden. Demnach ist § 233a AO i. V. m. 238 AO (Vollverzinsung in fixer Höhe von 0,5 % pro Monat) umfassend und für alle Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Allerdings darf dieser Zinssatz für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 weiter angewandt werden. Der Gesetzgeber muss nun für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 zeitnah eine verfassungsgemäße Neuregelung treffen.
  • Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt für die Auswahl des Zinsgegenstands und die Bestimmung des Zinssatzes im Steuerrecht ist ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab. Zinsregelungen als steuerliche Nebenleistungen bedürfen zur Wahrung der Belastungsgleichheit eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrunds.
  • Der Gesetzgeber kann bei der Auswahl eines Zinsgegenstands und der Bemessung eines Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und dabei in erheblichem Umfang die Praktikabilität mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung berücksichtigen. Zinsregelungen müssen grundsätzlich in der Lage sein, den mit ihnen verfolgten Belastungsgrund realitätsgerecht abzubilden. Werden Zinsen als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben, muss die Differenzierung nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen werden, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Zins abgegolten werden soll.
  • Die typisierende Festlegung des Zinssatzes ist trotz grundsätzlicher Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht mehr zu rechtfertigen, wenn dieser Zinssatz unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist.
Die Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG erstreckt sich dabei ausdrücklich nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 u. 237 AO.

 

2.Umsatzsteuer

2.1.NWB

Vorsteuerversagung bei Kenntnis oder Kennen-Müssen einer Steuerhinterziehung in einer Lieferkette? - EuGH-Beschluss v. 14.04.2021 - Rs. C-108/20 „HR“
Beyer, NWB 36/2021, S. 2.668

Anmerkung
Mit Beschluss v. 14.04.2021, C-108/20 hat der EuGH zur Vorsteuerversagung bei Kenntnis oder Kennen-Müssen einer Steuerhinterziehung in einer Lieferkette entschieden.
  • Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis nicht entgegensteht, nach der einem Steuerpflichtigen, der Waren erworben hat, die Gegenstand einer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Umsatzsteuerhinterziehung waren, und der davon wusste oder hätte wissen müssen, das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird, obwohl er an dieser Steuerhinterziehung nicht aktiv beteiligt war.
Der EuGH bestätigte seine bisherige Missbrauchsrechtsprechung. Der Verfasser weist darauf hin, dass sich der EuGH nicht erkennbar damit auseinandersetzte, ob eine Lieferkette einen Gesamtplan oder eine Mitwirkung an der fremden Hinterziehung (und damit eine einschränkende Auslegung des Begriffs der Lieferkette) verlangt. Entscheidend sei die Missachtung bestimmter Sorgfaltspflichten, die dazu führen müsse, dass das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird (sog. Wissen-Müssen von fremdem Mehrwertsteuerbetrug). Diese Sorgfaltsanforderungen konkretisiert der EuGH jedoch nicht.


Neues zum umsatzsteuerlichen Leistungsort und zur Steuerbefreiung bei Veranstaltungsleistungen - BMF-Schreiben sorgen für mehr Klarheit
Gambeck, NWB 38/2021, S. 2.806

Anmerkung
Die Finanzverwaltung hat zwei BMF-Schreiben (BMF v. 09.06.2021, BStBl. 2021 I S. 780 u. 778) veröffentlicht. Es ergeben sich wichtige Änderungen bei der Definition des umsatzsteuerlichen Leistungsorts und der Umsatzsteuerbefreiung von Eintrittskartenverkäufen.

Weil die Anwendung des Veranstaltungsortprinzips die physische Anwesenheit des Teilnehmers erfordert, gilt im Umkehrschluss für Online-Formate die allgemeine Ortsregelung (Empfängerortprinzip im B2B-Bereich, Sitzortprinzip im B2C-Bereich).

Das BMF folgt der BFH-Rechtsprechung, wonach die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 20 Bst. a UStG (kulturelle Einrichtungen) im Rahmen der Geschäftsbesorgung vom Kommittenten (z. B. dem Theater) auf den Kommissionär (z. B. ein Hotel, welches die Eintrittskarte im Auftrag eines Gastes beim Theater besorgt) ausstrahlt.

 

3.Einkommensteuer

3.1.NWB

Private Veräußerungsgeschäfte: Keine Besteuerung des auf das häusliche Arbeitszimmer entfallenden Veräußerungsgewinns
Schießl, NWB 37/2021, S. 2.732

Anmerkung
Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. d. § 23 EStG. Dazu gehören gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z. B. Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG). Die Freistellung bewirkt eine Rückausnahme von der ausnahmsweisen, den Grundsatz der im Dualismus der Einkunftsarten verankerten Nichtsteuerbarkeit von Wertveränderungen privater Wirtschaftsgüter durchbrechenden Steuerbarkeit privater Veräußerungsgeschäfte.

Mit Urteil v. 01.03.2021, IX R 27/19 hat der BFH zur Besteuerung des auf das häusliche Arbeitszimmer entfallenden Veräußerungsgewinns entschieden.
  • Wird eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung innerhalb der zehnjährigen Haltefrist veräußert, ist der Veräußerungsgewinn auch insoweit gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen, als er auf ein zur Erzielung von Überschusseinkünften genutztes häusliches Arbeitszimmer entfällt (entgegen BMF-Schreiben vom 05.10.2000, BStBl. 2000 I, 1383, Rz 21).
 

3.2.DStR

Die Existenz der doppelten Mitunternehmerstellung - Bedeutung des Obiter Dictums im BFH-Urteil v. 19.07.2018 – IV R 10/17 für die steuerliche Nachfolgeoptimierung
Bossmann, DStR 38/2021, s. 2.217

Anmerkung
Mit Urteil v. 19.07.2018, IV R 10/17 hat der BFH zur Mitunternehmerinitiative eines atypisch still Beteiligten entschieden.
  • Ist der stille Gesellschafter neben einer Gewinnbeteiligung und einer auf seine Einlage beschränkten Verlustbeteiligung im Falle des Ausscheidens und der Liquidation an den stillen Reserven des Betriebsvermögens einschließlich des Zuwachses an dem Firmenwert beteiligt, steht seiner Mitunternehmerstellung nicht entgegen, dass seine Initiativrechte auf die des § 233 HGB beschränkt sind.
Mit Urteil v. 19.07.2018 führt der IV. Senat des BFH aus, dass an einem Geschäftsanteil jeweils nur eine Mitunternehmerstellung begründet werden könne, und negiert damit die Existenz der doppelten Mitunternehmerstellung. Der Urteilssachverhalt betraf zwar die Mitunternehmerstellung von atypisch still Beteiligten, jedoch stellte der IV. Senat die doppelte Mitunternehmerstellung auch im Kontext von Nießbrauchgestaltungen bereits in früheren Entscheidungen auf den Prüfstand.

Nach Ansicht des Verfassers ist damit zu rechnen, dass sich künftig aufgrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Senate der Große Senat mit der Frage einer möglichen Verdoppelung der Mitunternehmerstellung bei Anteilsübertragungen unter Vorbehaltsnießbrauch befassen muss. Im Hinblick auf eine rechtssichere Gestaltung sei den Konstrukten der Entstehung einer Unterbeteiligung bzw. einer Innen-GbR der Vorzug zu geben.

 

4.Körperschaftsteuer

4.1.NWB

Immobiliengesellschaft als optierende Gesellschaft - Beratungsüberlegungen und Gestaltungshinweise
Demuth, NWB 35/2021, S. 2.586

Anmerkung
Der Verfasser stellt die Folgen einer Option gem. § 1a KStG für Grundstücksunternehmen in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG dar. Bei Antragstellung wird ein Grundstücksunternehmen mit einer Ertragsteuerbelastung von insgesamt 15,83 % besteuert. Gewerbesteuer fällt aufgrund der erweiterten Grundstückskürzung gem. § 9 Nr. 1 S. 2 ff GewStG nicht an. Es werden folgende Fallgruppen unterschieden:
  • Grundstück im Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft
    • Fiktive Einbringung der Mitunternehmeranteile gem. § 20 UmwStG (Antrag auf Buchwertfortführung erforderlich).
    • Option löst eine Nachversteuerung gem. § 34a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 EStG aus.
  • Grundstück im Sonderbetriebsvermögen
    • Übertragung in das Gesamthandsvermögen erforderlich.
    • Problem: Grunderwerbsteuer, da Ausübung Option innerhalb der 10-jährigen Sperrfrist schädlich.
  • Grundstück im Privatvermögen
    • Übertragung in das Gesamthandsvermögen erforderlich (Schaffung AfA-Potential)
    • Problem: Grunderwerbsteuer
 
KöMoG: Auswirkungen aus der Existenz verrechenbarer Verluste und von Überentnahmen - Fallstricke und Nebenwirkungen bei der Option zur Körperschaftsbesteuerung
Korn, NWB 36/2021, S. 2.660

Anmerkung
Verrechenbare Verluste gehen bei Antragstellung gem. § 1a KStG grundsätzlich unter.

Die verrechenbaren Verluste können letztmals für Gewinnanteile aus der optierenden Gesellschaft genutzt werden, die im Wirtschaftsjahr vor dem Jahr der Wirksamkeit der Option entstehen. Verrechnet werden können die Verluste auch mit Veräußerungsgewinnen der Gesellschafter. Veräußerungsgewinne entstehen, wenn der fiktive Formwechsel, den die Option zur Körperschaftsteuer auslöst, nach § 20 Abs. 2 S. 2 UmwStG mit dem gemeinen Wert oder einem Zwischenwert bewertet wird.

Der Verfasser weist darauf hin, dass soweit verrechenbare Verluste bis zum Zeitpunkt der Option nicht genutzt werden können, es diskussionswürdig sei, den Erhalt und die Verrechnungsmöglichkeit der verrechenbaren Verluste dadurch zu ermöglichen, dass der Betrieb oder Teilbetriebe auf eine Tochterpersonengesellschaft ausgegliedert und die Option zur Körperschaftsbesteuerung nur für diese ausgesprochen werde.

Vorteilhaft sei weiterhin, dass durch die Option zur Körperschaftsteuer bei der optierenden Gesellschaft grundsätzlich § 4 Abs. 4a EStG nicht mehr anwendbar sei.

 

5.Bilanzsteuerrecht

5.1.DStR

Kann ein Anteil an einer Personengesellschaft steuerliches Sonderbetriebsvermögen bei einer Mitunternehmerschaft sein?
Hendrik Grosse und Christoph Hübner

Anmerkung
Die Verfasser untersuchen die Frage, ob ein Anteil an einer Personengesellschaft steuerliches Sonderbetriebsvermögen einer Mitunternehmerschaft sein kann. Hintergrund für die Beurteilung ist das Erfordernis der Übertragung aller funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen zur Erreichung von Buchwertprivilegien. Wenn ein Anteil an einer Personengesellschaft als funktional wesentliche Betriebsgrundlage anzusehen wäre, müsste dieser Anteil auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen werden, da ansonsten eine Buchwertfortführung nicht möglich wäre. Eine Zuordnung des Anteils an einer Personengesellschaft zum funktional wesentlichen Sonderbetriebsvermögen bei einer Mitunternehmerschaft desselben Gesellschafters kommt nach Ansicht der Verfasser grds. nicht in Betracht.

Lediglich bei der Überlassung von Wirtschaftsgütern durch eine vermögensverwaltende Personengesellschaft oder Bruchteilsgemeinschaft führe die Anwendung von § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO dazu, dass der (ideelle) Anteil an dem überlassenen Wirtschaftsgut dem funktional wesentlichen Sonderbetriebsvermögen bei der mietenden/nutzenden Personengesellschaft zuzuordnen sei.

 

6.Sonstiges

6.1.NWB

Rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns II aufgrund eines Formwechsels - Anmerkungen zum BFH-Urteil v. 18.11.2020 - I R 25/18
Jordan, NWB 36/2021, S. 2.672

Anmerkung
Soweit im Rahmen eines Anteilstauschs i. S. d. § 21 Abs. 1 UmwStG unter dem gemeinen Wert eingebrachte Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt durch die übernehmende Gesellschaft veräußert werden und der Einbringende keine durch § 8b Abs. 2 KStG begünstigte Person ist, ist der Gewinn aus der Einbringung im Wirtschaftsjahr der Einbringung rückwirkend als Gewinn des Einbringenden aus der Veräußerung von Anteilen gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 UmwStG zu versteuern (Einbringungsgewinn II). Aus der in § 22 Abs. 2. S. 2 UmwStG angeordneten entsprechenden Anwendung des § 22 Abs. 1 S. 2 UmwStG folgt, dass die Veräußerung der erhaltenen Anteile insoweit als rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO gilt.

Mit Urteil v. 18.11.2020, I R 25/18 hat der BFH zur Besteuerung des Einbringungsgewinns II aufgrund eines Formwechsel entschieden.
  • Nach § 22 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 22 Abs. 1 S. 2 UmwStG gilt zwar die Veräußerung der im Rahmen eines qualifizierten Anteilstauschs erhaltenen Anteile als rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO (Rückwirkungsfiktion). Die Korrektur eines bereits bestandskräftig gewordenen Steuerbescheids zur Erfassung eines durch die Veräußerung ausgelösten Einbringungsgewinns II gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO setzt aber des Weiteren voraus, dass der Veräußerungstatbestand nach Erlass des zu ändernden Bescheids verwirklicht worden ist.
  • Wird die übernehmende Kapitalgesellschaft innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist formwechselnd in eine Personengesellschaft umgewandelt, führt dies zu einer Veräußerung des eingebrachten Anteils i. S. d. § 22 Abs. 2 S. 1 UmwStG.
Nach Ansicht des Verfassers erscheint die Rechtsauffassung vor dem Hintergrund des Telos des UmwStG und insbesondere von § 22 UmwStG bedenklich. Indes zeige das Judikat des BFH für die Gestaltungspraxis erneut die erheblichen steuerlichen Risiken von Folgeumstrukturierungen für sperrfristbehaftete Anteile auf.
 

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