Rechtsprechung KW 36 - 2021

 

1.Rechtsprechung

1.1.Einkommensteuer

Betriebsaufspaltung und minderjährige Kinder
Die personelle Verflechtung verlangt - abgesehen vom Sonderfall der faktischen Beherrschung -, dass der das Besitzunternehmen beherrschende Gesellschafter auch in der Betriebskapitalgesellschaft die Stimmenmehrheit innehat und dort in der Lage ist, seinen Willen durchzusetzen; eine Beteiligung von exakt 50 % der Stimmen reicht nicht aus (Bestätigung des BFH-Urteils vom 30.11.2005 - X R 56/04, BFHE 212, 100, BStBl. II 2006, 415).

Sind sowohl ein Elternteil als auch dessen minderjähriges Kind an der Betriebskapitalgesellschaft beteiligt, sind die Stimmen des Kindes jedenfalls dann nicht dem Elternteil zuzurechnen, wenn in Bezug auf die Gesellschafterstellung des Kindes eine Ergänzungspflegschaft angeordnet ist.

BFH v. 14.04.2021, X R 5/19

Hinweis
Eine Betriebsaufspaltung setzt voraus, dass einer Betriebsgesellschaft wesentliche Grundlagen für ihren Betrieb von einem Besitzunternehmen überlassen werden und die hinter dem Betriebs- und dem Besitzunternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben; dieser ist anzunehmen, wenn die Person bzw. Personengruppe, die das Besitzunternehmen beherrscht, auch in der Betriebsgesellschaft ihren Willen durchsetzen kann.

Im Streitfall waren die Klägerin und ihre beiden Kinder mit dem Tod des Ehemanns und Vaters Gesellschafter der Betriebs-GmbH geworden. Dieser GmbH hatte die Klägerin bereits seit Jahren ein betrieblich genutztes Grundstück verpachtet. Nachdem die Klägerin in einer Gesellschafterversammlung, in der eine Ergänzungspflegerin ihren minderjährigen Sohn vertrat, zur Geschäftsführerin der GmbH bestellt worden war, sah das FA die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung als gegeben an. Es meinte, die Klägerin könne die GmbH, obwohl sie nur 50 % der Stimmen innehabe, aufgrund ihrer elterlichen Vermögenssorge beherrschen, so dass neben der sachlichen auch die für eine Betriebsaufspaltung erforderliche personelle Verflechtung vorliege. Die Klägerin erziele daher aus der Grundstücksverpachtung gewerbliche Einkünfte. Das Finanzgericht sah das anders und gab der Klage statt.

Der BFH hat entschieden, dass eine Betriebsaufspaltung nicht vorliegt, wenn der das Besitzunternehmen beherrschende Gesellschafter in der Betriebskapitalgesellschaft nur über exakt 50 % der Stimmen verfügt. Dabei sind dem Gesellschafter die Stimmen seines ebenfalls beteiligten minderjährigen Kindes jedenfalls dann nicht zuzurechnen, wenn in Bezug auf dessen Gesellschafterstellung eine Ergänzungspflegschaft besteht.

Der BFH verneinte ebenfalls das Vorliegen einer personellen Verflechtung. Die Anteile ihres minderjährigen Kindes seien der Klägerin nicht zuzurechnen, da für dieses eine Ergänzungspflegschaft bestehe, die auch dessen Gesellschafterrechte umfasse. In einem solchen Fall lägen keine gleichgelagerten wirtschaftlichen Interessen vor. Die Beteiligung der Klägerin von exakt 50 % der Stimmen reiche aufgrund der „Patt-Situation“ für eine Beherrschung nicht aus.
 

1.2.Internationales Steuerrecht

Entlastung von Kapitalertragsteuer trotz Zwischenschaltung einer GbR
Eine unmittelbare Beteiligung i. S. des § 43b Abs. 2 S. 1 EStG liegt auch dann vor, wenn diese Beteiligung unter Zwischenschaltung einer vermögensverwaltenden, nicht gewerblich geprägten GbR gehalten wird. Maßgebend ist die steuerrechtliche Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO.

BFH v. 18.05.2021, I R 77/01

Hinweis
Nach § 43b Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 2 EStG wird für Kapitalerträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG auf Antrag keine Kapitalertragsteuer erhoben, wenn diese Kapitalerträge einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Tochtergesellschaft zufließen.

Die Beteiligten streiten darüber, ob Dividenden auch dann gem. § 43b EStG von Kapitalertragsteuer zu entlasten sind, wenn die Beteiligung an der ausschüttenden Kapitalgesellschaft über eine rein vermögensverwaltende GbR gehalten wird.

Der BFH hat entschieden, dass eine unmittelbare Beteiligung i. S. d. § 43b Abs. 2 S. 1 EStG auch dann vorliegt, wenn diese Beteiligung unter Zwischenschaltung einer vermögensverwaltenden, nicht gewerblich geprägten GbR gehalten wird.

Darüber hinaus hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin an der Y-AG „unmittelbar“ i. S. d. § 43b Abs. 2 S. 1 EStG beteiligt war. Die Zwischenschaltung der X-GbR war hierfür unschädlich. Auf Grundlage der bindenden Feststellungen des FG ist davon auszugehen, dass es sich bei der X-GbR um eine vermögensverwaltende, nicht gewerblich geprägte GbR handelt. Wird die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft über eine vermögensverwaltende, nicht gewerblich geprägte GbR gehalten, ist sie wegen § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO als „unmittelbar“ i. S. d. § 43b Abs. 2 S. 1 EStG anzusehen. Nach der Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO sind Wirtschaftsgüter, die mehreren Personen zur gesamten Hand zustehen, den Beteiligten anteilig zuzurechnen, soweit eine getrennte Zurechnung für die Besteuerung erforderlich ist. Die Notwendigkeit einer solchen Zurechnung muss sich aus den Einzelsteuergesetzen ergeben. Sie liegt grundsätzlich vor, wenn der von der Gesellschaft verwirklichte Tatbestand steuerrechtlich nicht von Bedeutung und deshalb beim Gesellschafter selbst zu berücksichtigen ist. Die Besteuerung darf also nicht die Gesamthand, sondern muss die Gesamthänder erfassen. Diese Voraussetzungen sind für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer bei rein vermögensverwaltenden, nicht gewerblich geprägten Personengesellschaften erfüllt.


Sog. Typenvergleich zur Qualifizierung von Ausschüttungen einer ausländischen Gesellschaft
Ob Ausschüttungen einer ausländischen Gesellschaft gemäß § 8b Abs. 1 S. 1 KStG i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG außer Ansatz bleiben, richtet sich nach dem sog. Typenvergleich. Sowohl das ausländische Rechtsgebilde als auch die konkrete Beteiligungsform des Steuerpflichtigen müssen vom Typ her den Gesellschafts- und Beteiligungsformen gleichen, die in diesen Regelungen angeführt werden. Entscheidend ist eine rechtliche und wirtschaftliche Gesamtwürdigung der maßgebenden ausländischen Bestimmungen über die Organisation und Struktur der Gesellschaft sowie deren konkrete Ausformung in ihrer Satzung.

Für den Typenvergleich der konkreten Beteiligungsform mit einer Aktie kommt es grundsätzlich darauf an, ob die Beteiligungsform als mitgliedschaftliche Beteiligung anzusehen ist, die dem Anteilseigner Vermögens- und Mitverwaltungsrechte einräumt. Dies setzt aber nicht voraus, dass sämtliche Einzelheiten der ausländischen Beteiligungsform auch für inländische Aktien umsetzbar wären.

Aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit des § 8b Abs. 5 KStG 2001 richtet sich die Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben beim Bezug steuerfreier Dividenden im Jahr 2001 grundsätzlich nach § 3c Abs. 1 EStG.

BFH v. 18.05.2021, I R 12/18

Hinweis
Gem. § 8b Abs. 1 S. 1 KStG bleiben bei der Ermittlung des körperschaftsteuerpflichtigen Einkommens Bezüge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG außer Ansatz.

Hierzu gehören u.a. „Gewinnanteile (Dividenden), Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien, Genussrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist“, sowie „aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung“.

Die Beteiligten streiten darüber, ob Zahlungen, die die Klägerin im Streitjahr von einer US-amerikanischen Schwestergesellschaft erhalten hat, als steuerfreie Bezüge i. S. d. § 8b Abs. 1 KStG i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder als steuerpflichtige Zinserträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu behandeln sind. Die Klägerin hatte im Streitjahr sog. Vorzugsaktien von ihrer Schwestergesellschaft erworben, die ihr einen Anspruch auf Zahlungen in variabler Höhe (orientiert an dem um das 1,3-fache erhöhten Zinssatz für langfristige US-Bundes­anleihen) gewährten. Die Zahlungen stammten aus einem Trust nach US-amerikanischem Recht (Sondervermögen), den die Schwestergesellschaft gegründet hatte. Nach US-Recht sollten diese Ausschüttungen beim Empfänger wie Zinsen behandelt werden. Sie verminderten als Betriebsausgaben den Gewinn der Schwestergesellschaft. In ihrer deutschen Steuererklärung behandelte die Klägerin diese Ausschüttungen als steuerfreie Beteiligungserträge i. S. des § 8b Abs. 1 KStG i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Der BFH hat entschieden, dass sich die Frage, ob Ausschüttungen einer ausländischen Gesellschaft gem. § 8b Abs. 1 S. 1 KStG i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG außer Ansatz bleiben, nach dem sog. Typenvergleich richtet. Sowohl das ausländische Rechtsgebilde als auch die konkrete Beteiligungsform des Steuerpflichtigen müssen vom Typ her den Gesellschafts- und Beteiligungsformen gleichen, die in diesen Regelungen angeführt werden.

Sowohl das ausländische Rechtsgebilde als auch die konkrete Beteiligungsform des Steuerpflichtigen müssen vom Typ her den Gesellschafts- und Beteiligungsformen gleichen, die in § 8b Abs. 1 S. 1 KStG i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannt werden. Für den Typenvergleich der konkreten Beteiligungsform mit einer Aktie kommt es grundsätzlich darauf an, ob die Beteiligungsform als mitgliedschaftliche Beteiligung anzusehen ist, die dem Anteilseigner Vermögens- und Mitverwaltungsrechte einräumt. Dies setzt aber nicht voraus, dass sämtliche Einzelheiten der ausländischen Beteiligungsform auch für inländische Aktien umsetzbar wären.
 

1.3.Bilanzsteuerrecht

Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten auch in Fällen geringer Bedeutung
Aktive Rechnungsabgrenzungsposten sind auch bei geringfügigen Beträgen zu bilden. Weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich eine Einschränkung der Pflicht zur Bildung auf wesentliche Fälle entnehmen.

BFH v. 16.03.2021, X R 34/19

Hinweis
Als Rechnungsabgrenzungsposten sind u. a. auf der Aktivseite Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, anzusetzen (§ 5 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 EStG).

Die Beteiligten streiten darüber, ob auch für unwesentliche Beträge eine Pflicht zur Bildung eines aktiven RAP besteht. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb und ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Für diverse Aufwendungen bildete er keine aktiven RAP, da seiner Meinung nach unwesentliche Elemente bei der Bilanzierung und Bewertung außer Betracht zu lassen seien.

Der BFH hat entschieden, dass aktive Rechnungsabgrenzungsposten auch bei geringfügigen Beträgen zu bilden sind. Weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich eine Einschränkung der Pflicht zur Bildung auf wesentliche Fälle entnehmen.
 
Die Voraussetzungen für die Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten ergeben sich aus § 5 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 EStG. Erforderlich sind Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten dient dazu, Einnahmen und Ausgaben periodengerecht in dem Jahr auszuweisen, dem sie wirtschaftlich zuzuordnen sind. Weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich eine Einschränkung der Pflicht zum Ansatz von Rechnungsabgrenzungsposten auf wesentliche Fälle entnehmen. Somit fehlt es an einer rechtlichen Grundlage für ein Wahlrecht zur Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten in Fällen von geringer Bedeutung. Dem Grundsatz der Wesentlichkeit kann ein Wahlrecht zur Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten in Fällen von geringer Bedeutung nicht entnommen werden. Die gesetzgeberischen Überlegungen bei der Behandlung geringwertiger Wirtschaftsgüter in § 6 Abs. 2 EStG können nicht auf die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten übertragen werden. Hiergegen spricht, dass diese nicht als Wirtschaftsgüter zu qualifizieren sind. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schränkt die Pflicht zur Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten ebenfalls nicht auf wesentliche Fälle ein.
 

2.Verwaltungsanweisungen

2.1.Umsatzsteuer

Vorsteuerabzug - Angabe des Leistungszeitpunkts bzw. -zeitraums in der Rechnung
Das BMF hat zur Anwendung der BFH-Urteile v. 01.03.2018, V R 18/17 u. v. 15.10.2019, V R 29/19, V R 44/16 Stellung genommen und den UStAE angepasst.

BMF v. 09.09.2021

Mit Urteil v. 01.03.2018, V R 18/17 hat der BFH zu den Rechnungsangaben beim Vorsteuerabzug entschieden.

Die Angabe des Kalendermonats als Leistungszeitpunkt (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 UStG i. V. m. § 31 Abs. 4 UStDV) kann sich unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben aus dem Ausstellungsdatum der Rechnung ergeben, wenn nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls davon auszugehen ist, dass die Leistung in dem Monat bewirkt wurde, in dem die Rechnung ausgestellt wurde.

Das BMF nimmt zu den Urteilen des BFH wie folgt Stellung:
  • Rechnungen, die nicht den Zeitpunkt der Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 14 Abs. 4 Nr. 6 UStG enthalten (ggf. nach § 31 Abs. 4 UStDV in Form des Kalendermonats), sind nicht ordnungsmäßig ausgestellt. Ein Vorsteuerabzug aus solchen Rechnungen ist nur dann ausnahmsweise möglich, wenn die Finanzverwaltung über sämtliche Angaben verfügt, um die materiellen Voraussetzungen zu überprüfen.
  • Den Entscheidungen zum Kalendermonat als Leistungszeitraum, der sich nach Auffassung des BFH aus dem jeweiligen Ausstellungsdatum der Rechnung ergab, lag jeweils eine Würdigung im Einzelfall zugrunde.
  • Umgekehrt kann dies nicht gelten, wenn nicht feststeht, dass die Daten zusammenfallen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine unmittelbar mit der Leistung zusammenfallende Rechnungsstellung nicht branchenüblich ist, vom betroffenen Rechnungsaussteller nicht immer durchgeführt wird oder bei der konkreten Leistung sonstige Zweifel an einem Zusammenfallen der Daten bestehen.
  • Bestehen Zweifel, obliegt deren Ausräumung dem Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht (siehe auch Abschn. 15.2a Abs. 1a und 15.11 Abs. 3 UStAE).

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