Rechtsprechung KW 28 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Zur Berücksichtigung nacherklärter Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 173 Abs. 1 AO im Rahmen einer Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG
In den Vergleich, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder einer niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer führt, ist im Rahmen der Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen (vgl. BFH-Urteil vom 12.05.2015 - VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl. II 2015, 806).

In einen entsprechenden Vergleich sind auch anzurechnende Abzugsbeträge einzubeziehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einbeziehung der nacherklärten Kapitalerträge in die Veranlagung und die damit verbundene erhöhte Steuerfestsetzung nicht das Ziel des Änderungsbegehrens, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Erstattung der inländischen Abzugsbeträge ist. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids kann in diesen Fällen nur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen.

In einen entsprechenden Vergleich sind auch die mit den nacherklärten Kapitalerträgen in Zusammenhang stehenden, anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge und EU-Quellen­steuern einzubeziehen, deren Anrechnung und Erstattung erreicht werden soll. Auch in diesem Fall ist die begehrte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zulässig.

BFH v. 25.03.2021, VIII R 7/18

Hinweis
Steuerbescheide sind nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 AO zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nr. 1 stehen.

Nach Eintritt der Bestandskraft dieser Einkommensteuerbescheide erklärte der Kläger bisher nicht erklärte Kapitalerträge, die nur teilweise dem inländischen Steuerabzug unterlegen hatten, unter Beifügung entsprechend geänderter Anlagen KAP und der Original-Steuer­bescheinigungen nach. Bei der beantragten Besteuerung der nacherklärten Kapitalerträge mit der tariflichen Einkommensteuer würden sich in den Streitjahren zwar höhere Steuerfestsetzungen ergeben, die Einbeziehung dieser Kapitalerträge in die Veranlagung würde jedoch zugleich zu einer Erstattung von Kapitalertragsteuer- und Solidaritätszuschlagsbeträgen sowie ausländischer Steuer bzw. EU-Quellensteuer führen. Das FA lehnte die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre ab. Den nachfolgenden Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung zurück. Eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide komme nicht in Betracht, da es an einer Änderungsnorm fehle. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen nicht vor, da sich infolge der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge insgesamt eine niedrigere Steuer ergebe. Eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide aus, da den Kläger grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der nacherklärten Kapitalerträge treffe.

Der BFH hat entschieden, dass in den Vergleich, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren Steuer oder niedrigeren Steuer führt, im Rahmen der Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht nur die festgesetzte Steuer, sondern auch die durch den Abzug von Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen ist.

In einen entsprechenden Vergleich sind auch anzurechnende Abzugsbeträge einzubeziehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einbeziehung der nacherklärten Kapitalerträge in die Veranlagung und die damit verbundene erhöhte Steuerfestsetzung nicht das Ziel des Änderungsbegehrens, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Erstattung der inländischen Abzugsbeträge ist. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids kann in diesen Fällen nur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen. In einen entsprechenden Vergleich sind auch die mit den nacherklärten Kapitalerträgen in Zusammenhang stehenden, anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge und EU-Quellensteuern einzubeziehen, deren Anrechnung und Erstattung erreicht werden soll. Auch in diesem Fall ist die begehrte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zulässig.
 

1.2.Einkommensteuer

Bewertung von Arbeitslohn anlässlich von Betriebsveranstaltungen
Bei der Bewertung von Arbeitslohn anlässlich einer Betriebsveranstaltung sind alle mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Aufwendungen des Arbeitgebers anzusetzen, ungeachtet dessen, ob sie beim Arbeitnehmer einen Vorteil begründen können.

Die danach zu berücksichtigenden Aufwendungen (Gesamtkosten) des Arbeitgebers sind zu gleichen Teilen auf die bei der Betriebsveranstaltung anwesenden Teilnehmer aufzuteilen.

BFH v. 29.04.2021, VI R 31/18

Hinweis
Nach § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a S. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltungen). Zuwendungen in diesem Sinne sind nach § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a S. 2 EStG alle Aufwendungen des Arbeitgebers einschließlich Umsatzsteuer unabhängig davon, ob sie einzelnen Arbeitnehmern individuell zurechenbar sind oder ob es sich um den rechnerischen Anteil an den Kosten der Betriebsveranstaltung handelt, die der Arbeitgeber gegenüber Dritten für den äußeren Rahmen der Betriebsveranstaltung aufwendet. Soweit solche Zuwendungen den Betrag von 110 € je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, wenn die Teilnahme an der Betriebsveranstaltung allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a S. 3 EStG). Dies gilt gem. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a S. 4 EStG für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich.

Die Klägerin beschäftigte im Streitzeitraum 30 Arbeitnehmer. Ende des Jahres 2016 plante sie die Durchführung eines gemeinsamen Kochkurses als Weihnachtsfeier, zu der sie alle Betriebsangehörigen einlud. Insgesamt 27 Arbeitnehmer sagten ihre Teilnahme zu. Die Klägerin gab dementsprechend bei der Auftragserteilung an den externen Veranstalter eine Teilnehmeranzahl von 27 Personen an, anhand derer die Veranstaltung kalkuliert wurde. Da zwei Arbeitnehmer kurzfristig abgesagt hatten, nahmen tatsächlich nur 25 Arbeitnehmer an dem Kochkurs teil, ohne dass dies zu einer Verminderung der Veranstaltungskosten führte. Vielmehr stellte der Veranstalter der Klägerin die ursprünglich kalkulierten Kosten in Höhe von brutto 3.052,35 € in Rechnung. Die Klägerin war der Ansicht, dass die Kosten, die auf die beiden angemeldeten, aber nicht teilnehmenden Arbeitnehmer entfielen, nicht Teil der Zuwendungen i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a EStG seien. Demgemäß teilte sie die Gesamtkosten der Weihnachtsfeier (3.052,35 €) zunächst durch die Anzahl der angemeldeten (27) Arbeitnehmer und errechnete so eine Zuwendung in Höhe von 113,05 € je (angemeldetem) Arbeitnehmer. Demgegenüber verlangte das FA, dass auf die tatsächlich teilnehmenden 25 Arbeitnehmer abzustellen sei, so dass sich ein höherer zu versteuernder Betrag ergab.

Der BFH hat entschieden, dass bei der Bewertung von Arbeitslohn anlässlich einer Betriebsveranstaltung alle mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Aufwendungen des Arbeitgebers anzusetzen sind, ungeachtet dessen, ob sie beim Arbeitnehmer einen Vorteil begründen können. Die danach zu berücksichtigenden Aufwendungen (Gesamtkosten) des Arbeitgebers sind zu gleichen Teilen auf die bei der Betriebsveranstaltung anwesenden Teilnehmer aufzuteilen. Das FG hat die Höhe des dem einzelnen Arbeitnehmer anlässlich der Betriebsveranstaltung zugewandten Arbeitslohns fehlerhaft bemessen. Denn es hat hierbei zu Unrecht auf die Anzahl der angemeldeten Arbeitnehmer und nicht auf die an der Betriebsveranstaltung Teilnehmenden abgestellt. Die Zuwendungen sind gem. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a S. 5 EStG und somit abweichend von § 8 Abs. 2 EStG mit den anteilig auf den Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen entfallenden Aufwendungen des Arbeitgebers i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a S. 2 EStG anzusetzen.
 

1.3.Sonstiges

Gemischt genutzte Gebäude keine Wohnungsbauten i. S. des § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG
Wohnungsbauten i. S. des § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG sind Gebäude, die ausschließlich Wohnzwecken dienen. Gemischt genutzte Gebäude werden nicht erfasst.

BFH v. 15.04.2021, IV R 32/18

Hinweis
Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG tritt an Stelle der sog. einfachen Kürzung nach Satz 1 der Vorschrift auf Antrag bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen i. S. d. Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) in der jeweils geltenden Fassung errichten und veräußern, die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt. Nach Satz 3 der Vorschrift gilt Satz 2 entsprechend, wenn in Verbindung mit der Errichtung und Veräußerung von Eigentumswohnungen Teileigentum i. S. des WEG errichtet und veräußert wird und das Gebäude zu mehr als 66 2/3 % Wohnzwecken dient.

Im Streitfall geht es um die Rechtsfrage, ob eine „Betreuung von Wohnbauten“ auch dann vorliegt, wenn zu dem - neben eigenem - auch verwalteten fremden Grundbesitz in untergeordnetem Umfang Gebäudeeinheiten gehören, in denen sich nicht nur Wohnungen, sondern auch vereinzelt Gewerbeeinheiten befinden. Für das Streitjahr beantragte die Klägerin die erweiterte Kürzung gem. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG. Das FA veranlagte zunächst erklärungsgemäß. In der sich anschließenden Betriebsprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Kürzung gem. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG nicht vorlägen. Die Klägerin verwalte nicht ausschließlich fremde Wohnungsbauten, da die gemischt genutzten fremden Verwaltungseinheiten keine Wohnungsbauten i. S. d. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG darstellten. Das FA schloss sich der Auffassung der Betriebsprüfung an. Der BFH hat entschieden, dass Wohnungsbauten i. S. d. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG Gebäude sind, die ausschließlich Wohnungszwecken dienen. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG erfasst mit dem Begriff „Wohnungsbauten“ nur Gebäude, die ausschließlich Wohnzwecken dienen. Gemischt genutzte Gebäude werden nicht erfasst. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG. Auch die systematische Auslegung spricht dafür, dass gemischt genutzte Gebäude nicht unter den Begriff „Wohnungsbauten“ fallen. Für die hier vertretene Auslegung des Begriffs „Wohnungsbauten“ spricht ferner die Entstehungsgeschichte des § 9 Nr. 1 S. 2 u. 3 GewStG. Angesichts des eindeutigen Wortlauts und der Entstehungsgeschichte des § 9 Nr. 1 S. 3 EStG kann diese Norm schon deshalb nicht analog auf die Betreuung von gemischt genutzten Gebäuden angewendet werden, weil es an der dafür erforderlichen erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke fehlt. Auch von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, die Betreuung von gemischt genutzten Gebäuden unter den Begriff der Betreuung von Wohnungsbauten i. S. d. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG zu fassen.
 

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