Auswertung Aufsätze 06 - 2021

1.Verfahrensrecht

1.1.NWB

Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 3 AO bei Pflichtveranlagung - Möglichkeiten zur Vermeidung der Festsetzungsverjährung nach der aktuellen BFH-Rechtsprechung
Tiede, NWB 24/2021, S. 1.724

Anmerkung
Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 gestellt, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist (§ 171 Abs. 3 AO).

Mit Urteil v. 23.09.2020, XI R 1/19, BStBl. 2021 II S. 341 hat der BFH zu den Anforderungen an einen Antrag i. S. d. § 171 Abs. 3 AO bei Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung entschieden.
  • Stellt ein Steuerpflichtiger, der zur Einreichung einer Steuererklärung gesetzlich verpflichtet ist, vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei dem für ihn zuständigen FA einen Antrag, kommt diesem die Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO nur dann zu, wenn sich das von ihm verfolgte Begehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem Antrag selbst ergibt; Angaben zur betragsmäßigen Auswirkung sind für die Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht ausreichend.
  • Soweit dem Steuerpflichtigen wegen fehlender Unterlagen genaue Angaben (noch) nicht möglich sind, muss er zur Konkretisierung seines Antrags auf Schätzung eines Gesamtbetrags der Einkünfte in einer bestimmten Höhe gegenüber dem FA eine substantiierte eigene Schätzung anhand der ihm zugänglichen Erkenntnisquellen vornehmen.
Aus dem Antrag muss sich zweifelsfrei ergeben, inwieweit eine Steuerfestsetzung begehrt wird. Angaben zu rein betragsmäßigen Auswirkungen auf die Steuerfestsetzung genügen nicht. Für einen wirksamen Antrag i. S. v. § 171 Abs. 3 AO ist, wenn keine Steuererklärung abgegeben wird, zumindest erforderlich, dass das vom Steuerpflichtigen verfolgte Begehren sich seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen aus dem Antrag selbst ergibt. Der BFH überträgt die zum sog. schlichten Änderungsantrag gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. a AO entwickelten Anforderungen auf den Antrag gem. § 171 Abs. 3 AO.

Nach Ansicht des Verfassers sollte ein ausdrücklich auf § 171 Abs. 3 AO bezogener schriftlicher Antrag auf Festsetzung der erklärten Steuern gestellt werden, der dem Finanzamt vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist zugehen muss. Bloße Begleitschreiben zur Steuererklärung sind problematisch, wenn ein eigenständiger Erklärungswert nicht erkennbar ist. Zur Risikominimierung könne vor Ablauf der Festsetzungsfrist zusätzlich ein Untätigkeitseinspruch gem. § 347 Abs. 1 S. 2 AO eingelegt werden.


Rechtsfolgen fehlerhafter Schätzung von Besteuerungsgrundlagen - Zugleich eine Stellungnahme zur Verfügung des LfSt Bayern v. 26.02.2020
Steck, NWB 24/2021, S. 1.731

Anmerkung
Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen (§ 162 Abs. 1 S. 1 AO). Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 S. 2 AO).

Mit Verfügung v. 26.02.2020 hat das Bayerische Landesamt für Steuern zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen Stellung genommen.
  • Schätzungsergebnisse innerhalb des Schätzungsrahmens führen in der Regel zur Rechtmäßigkeit und zwar selbst dann, wenn gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze verstoßen bzw. nicht alle bedeutsamen Umstände berücksichtigt oder Schätzungsmethoden falsch angewendet wurden.
  • Ein Schätzungsbescheid ist rechtswidrig, wenn entweder der Schätzungsrahmen verlassen wird oder aber die Schätzungsvoraussetzungen nicht vorlagen.
  • Der BFH bejaht bei Schätzungsfehlern Nichtigkeit lediglich dann, wenn Verlassen des Schätzungsrahmens und Willkür zusammentreffen.
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Anwendbarkeit des § 160 AO bei Cyber-Erpressungen? - Können Lösegeldzahlungen als Betriebsausgaben berücksichtigt werden?
Wackerbeck, NWB 25/2021, S. 1.790

Anmerkung
Schulden und andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und andere Ausgaben sind steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder die Empfänger genau zu benennen (§ 160 Abs. 1 S. 1 AO).

In der jüngeren Vergangenheit treten vermehrt Fälle der sog. Cyberkriminalität durch Erpressungssoftware (sog. Ransomware) auf. Durch den Einsatz dieser Verschlüsselungssoftware verhindert ein Erpresser den Zugriff des Computer- bzw. Dateninhabers und verlangt für die Entschlüsselung/Freigabe ein Lösegeld.

Fraglich ist, ob die Lösegeldzahlungen gem. § 160 AO nicht berücksichtigt werden können, da der Unternehmer die Erpresser als Empfänger der Zahlungen nicht benennen kann.

Nach Ansicht des Verfassers müssen Unternehmen bei Lösegeldzahlungen in Fällen von Cyber-Erpressungen die steuerliche Nichtabzugsfähigkeit der Zahlungen gem. § 160 Abs. 1 S. 1 AO einpreisen. Keine der folgenden vier Kategorien der Unzumutbarkeit greifen nach Ansicht des Verfassers ein.
  • Undurchschaubare Täuschung über die Person des Zahlungsempfängers.
  • Unverhältnismäßige Kosten für die Identitätsermittlung des Zahlungsempfängers.
  • Ausnutzung einer persönlichen Notlage des Zahlenden.
  • Drohende wirtschaftliche Schäden bzw. Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Zahlenden.
 

2.Internationales Steuerrecht

2.1.NWB

Die Überlassung von Produkten an ausländische Influencer und Blogger bei der Umsatzsteuer, § 50a EStG und Tax Compliance
Scheerer, Wionzeck, DStR 25/2021, S. 1.449

Anmerkung
Influencer und Blogger werden eingesetzt, um Produkte und Markenmerkmale im Unterbewusstsein zu verankern. Fraglich ist, ob in Fallkonstellationen, in denen einem ausländischen Influencer oder Blogger ein Produkt mit Rückgabeverpflichtung leihweise überlassen wird, § 50a EStG zur Anwendung gelangt und eine Umsatzsteuerpflicht besteht.

Nach Ansicht der Verfasser lassen sich die verschiedenen Fallkonstelllationen wie folgt zusammenfassen:
Fallkonstellationen § 50a USt
Monetäre Vergütung und zusätzliches Produkt, das behalten werden darf Steuerabzug monetäre Vergütung und Produkt Umsatzsteuerpflicht monetäre Vergütung und Produkt
Monetäre Vergütung und zusätzliches Produkt, das nicht behalten werden darf Steuerabzug monetäre Vergütung, aber nicht Produkt Umsatzsteuerpflicht monetäre Vergütung, aber nicht Produkt (nur Beistellung)
Keine monetäre Vergütung, aber Produkt, das behalten werden darf Steuerabzug Produkt Umsatzsteuerpflicht Produkt
Keine monetäre Vergütung, aber Produkt, das nicht behalten werden darf Kein Steuerabzug Keine Umsatzpflicht (nur Beistellung)

3.Sonstiges

3.1.NWB
Brennpunkt Folgeumwandlung: Die Aufwärtsverschmelzung als Steuerfalle für die Einbringung - Urteil des FG Münster v. 19.05.2020 - 13 K 571/16 G,F zur rückwirkenden Besteuerung eines Einbringungsgewinns I
Jordan, NWB 25/2021, S. 1.804

Anmerkung
Soweit in den Fällen einer Sacheinlage unter dem gemeinen Wert (§ 20 Abs. 2 S. 2 UmwStG) der Einbringende die erhaltenen Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt veräußert, ist der Gewinn aus der Einbringung rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als Gewinn des Einbringenden im Sinne von § 16 EStG zu versteuern (Einbringungsgewinn I). Gem. § 22 Abs. 1 S. 3 UmwStG ist Einbringungsgewinn I der Betrag, um den der gemeine Wert des eingebrachten Betriebsvermögens im Einbringungszeitpunkt nach Abzug der Kosten für den Vermögensübergang den Wert, mit dem die übernehmende Gesellschaft dieses eingebrachte Betriebsvermögen angesetzt hat, übersteigt, vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit dem Einbringungszeitpunkt abgelaufene Zeitjahr.

Mit Urteil v. 19.05.2020, 13 K 571/16 G, F hat das FG Münster zu den Rechtsfolgen der Veräußerung i. S. d. § 22 Abs. 1 UmwStG durch Aufwärtsverschmelzung entschieden.
  • Die Verschmelzung einer KG auf eine GmbH stellt eine schädliche Veräußerung i. S. des § 22 Abs. 1 UmwStG dar mit der Folge, dass ein Einbringungsgewinn nachträglich steuerpflichtig wird.
Die Rechtsauffassung des FG Münster erscheint nach Ansicht des Verfassers fraglich. Denn im vorliegenden Streitfall erfolge die Umwandlung weder gegen Gewährung neuer Anteile noch führe sie zu einer steuerlichen Statusverbesserung. Mithin liege sowohl tatbestandsmäßig als auch vor dem Hintergrund des Normzwecks von § 22 UmwStG keine schädliche Veräußerung vor.

 

3.2.DStR

Sperrfristverhaftung i. S. d. § 22 Abs. 2 UmwStG: Keine „Sippenhaft“ bei Einbringung von Organträger-Personengesellschaften
Schneider, Bleifeld, DStR 24/2021, S. 1.385

Anmerkung
Soweit im Rahmen einer Sacheinlage (§ 20 Abs. 1) oder eines Anteilstausches (§ 21 Abs. 1) unter dem gemeinen Wert eingebrachte Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt durch die übernehmende Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar veräußert werden und soweit beim Einbringenden der Gewinn aus der Veräußerung dieser Anteile im Einbringungszeitpunkt nicht nach § 8b Abs. 2 des KStG steuerfrei gewesen wäre, ist der Gewinn aus der Einbringung im Wirtschaftsjahr der Einbringung rückwirkend als Gewinn des Einbringenden aus der Veräußerung von Anteilen zu versteuern (Einbringungsgewinn II), § 22 Abs. 2 UmwStG.

Fraglich ist, ob bei einer Einbringung gem. § 20 UmwStG bei einem bestehenden Organschaftsverhältnis nur die Anteile an der obersten Kapitalorgangesellschaft oder auch die Anteile an nachgeschalteten Organgesellschaften sperrfristverhaftet sind.

Bei der Einbringung von Anteilen an einer Organträger-Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft kann es zu einer Statusverbesserung für zukünftige Veräußerungsgewinne kommen, die auch die Anteile an nachgeschalteten Organgesellschaften betrifft. Nach Ansicht der Verfasser berechtigt diese Statusverbesserung nicht dazu, eine Sperrfristverhaftung nach § 22 Abs. 1 S. 5 i. V. m. Abs. 2 UmwStG auch auf die Anteile an den nachgeschalteten Organgesellschaften auszudehnen. Dagegen spreche schon und insbesondere der unmissverständliche Wortlaut des § 22 Abs. 2 S. 1 UmwStG.
 

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