Rechtsprechung KW 19 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Bekanntgabe der Prüfungsanordnung - vermögensverwaltende Personengesellschaft - Hemmung der Feststellungsfrist
Führt das FA bei einer KG eine Außenprüfung durch, um u. a. zu prüfen, ob es sich bei den bisher festgestellten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung um solche aus Gewerbebetrieb handelt, und ist das nicht der Fall, entfaltet die Prüfungsanordnung (für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betreffende Feststellungen) gegenüber den Kommanditisten keine den Ablauf der Feststellungsfrist hemmende Wirkung, wenn sie nur der KG (bzw. deren rechtlich identischer Rechtsnachfolgerin) bekannt gegeben und auf § 193 Abs. 1 AO gestützt worden ist.

BFH v. 27.10.2020, IX R 16/19

Hinweis:
Nach § 169 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 181 Abs. 1 S. 1 AO ist eine gesonderte (und einheitliche) Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Feststellungsfrist abgelaufen ist. Nach § 164 Abs. 4 S. 1 AO entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung, wenn die Festsetzungsfrist (Feststellungsfrist) abgelaufen ist. Die Feststellungsfrist beträgt vier Jahre (§ 181 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO).

Die Kläger waren im Streitjahr als Kommanditisten an einer KG beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag war Gegenstand der KG die Verwaltung eigenen Vermögens, insbesondere der Erwerb, die Vermietung und Veräußerung von Grundbesitz. Die KG wurde in der Folgezeit formwechselnd in eine GmbH umgewandelt. Das FA stellte für die KG erklärungsgemäß Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung fest. Das FA ordnete eine Außenprüfung an. Die Prüfungsanordnung war an die GmbH als Gesamtrechtsnachfolgerin der KG gerichtet und war auf § 193 Abs. 1 AO gestützt. Im Zuge der Außenprüfung nahm der Prüfer Änderungen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften vor. Gewerbliche Einkünfte wurden nicht festgestellt. Das FA änderte den Gewinnfeststellungsbescheid für das Streitjahr, setzte die Prüfungsergebnisse um und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Der BFH hat entschieden, dass die Prüfungsanordnung keine Ablaufhemmung entfaltet, wenn Sie nur der KG bekannt gegeben und auf § 193 Abs. 1 AO gestützt worden ist.

Vorliegend war die Feststellungsverjährung aufgrund der an die KG adressierten und nur dieser bekannt gegebenen Prüfungsanordnung gegenüber den Klägern nicht gehemmt.

In persönlicher Hinsicht war die Hemmungswirkung auf die KG bzw. deren rechtlich identische Nachfolgerin beschränkt. Den Klägern gegenüber trat dagegen die Hemmungswirkung gemäß § 171 Abs. 4 S. 1 AO nicht ein, da ihnen die Prüfungsanordnung nicht als Inhaltsadressaten bekannt gegeben worden ist. Ihnen gegenüber entfaltet die Prüfungsanordnung somit von vornherein keine Wirkung. Sie konnte deshalb für die Kläger auch nicht den Lauf der Verjährungsfrist hemmen.


Änderung der (Teil-)Einspruchsentscheidung durch Antrag nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. a AO; Aufteilung der Finanzierungskosten bei einer Sicherheits-Kompakt-Rente
Ein nach Ergehen der (Teil-)Einspruchsentscheidung und innerhalb der Klagefrist gestellter Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. a, S. 2 und S. 3 Hs. 1 AO ist auch dann zulässig, wenn mit ihm lediglich die erneute Überprüfung einer Rechtsfrage begehrt wird, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist (Abkehr vom BFH-Beschluss vom 05.02.2010 - VIII B 139/08, BFH/NV 2010, 831).

Die Finanzierungskosten für den Erwerb einer Sicherheits-Kompakt-Rente, die den Abschluss einer Rentenversicherung als Versorgungskomponente und einer Lebensversicherung als Tilgungskomponente zum Gegenstand hat, sind auch nach der Einführung des Werbungskostenabzugsverbots nach § 20 Abs. 9 EStG zum 01.01.2009 aufzuteilen in Werbungskosten, die anteilig den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 EStG und den sonstigen Einkünften i. S. des § 22 EStG zuzuordnen sind (Anschluss an BFH-Urteil vom 11.12.2018 - VIII R 7/15, BFHE 263, 216, BStBl. II 2019, 231).

BFH v. 27.10.2020, VIII R 30/17

Hinweis:
Gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. a AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn er andere Steuern als Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nrn. 20 und 21 des Zollkodex der Union oder Verbrauchsteuern betrifft, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft. Nach § 172 Abs. 1 S. 2 AO ist die Korrekturvorschrift auch dann anwendbar, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist. In diesen Fällen muss der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist zustimmen oder den Antrag stellen (§ 172 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 AO).

Die Kläger schlossen Verträge über sog. Sicherheits-Kompakt-Renten (SKR) ab. Hierbei handelte es sich um Sofortrentenversicherungen, die gegen Leistung von Einmalzahlungen abgeschlossen wurden. Gleichzeitig wurden vier Tilgungsversicherungen gegen Einmalzahlung abgeschlossen, deren Ablaufleistungen bei Fälligkeit zur Rückzahlung der Darlehen verwendet werden sollten. Bei den Tilgungsversicherungen handelte es sich um Lebensversicherungen, die als Versicherungsfall den Tod der Kläger bestimmten. Die Einmalzahlungen wurden zum Teil über Darlehen und zu einem geringeren Teil über Eigenkapital der Kläger finanziert. Die Tilgung der Darlehen wurde bei Vertragsschluss ausgesetzt und sollte durch die Schlusszahlungen aus den Lebensversicherungen erfolgen. Die Darlehenszinsen sollten aus den Renten bezahlt werden. Bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008 wurden bei der Einkommensteuerveranlagung antragsgemäß die Zinsaufwendungen für die Darlehen aufgeteilt und jeweils anteilig als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i. S. des § 22 EStG und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 EStG berücksichtigt. Die Aufteilung richtete sich danach, inwieweit die Darlehen zur Finanzierung der jeweiligen Einmalzahlung verwendet worden waren. In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2009 und 2010 erklärten die Kläger die gesamten Zinsaufwendungen für die Finanzierung der SKR als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i. S. d. § 22 EStG. Dem folgte das FA nicht.

Der BFH hat entschieden, dass ein Antrag auf schlichte Änderung auch dann zulässig ist, wenn mit ihm lediglich die erneute Überprüfung einer Rechtsfrage begehrt wird, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist. Die Finanzierungskosten für den Erwerb einer Sicherheits-Kompakt Rente sind auch nach Einführung des Werbungskostenabzugsverbots aufzuteilen (Einkünfte aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte).

Finanzierungskosten für eine Sicherheits-Kompakt-Rente stellen nur insoweit Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i. S. d. § 22 Nr. 1 EStG dar, wie sie anteilig auf die Finanzierung der Rentenversicherungen entfallen. Soweit die Schuldzinsen auf die Finanzierung der Lebensversicherungen entfallen, handelt es sich um vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG, sodass ab dem 01.01.2009 das Werbungskostenabzugsverbot nach § 20 Abs. 9 EStG greift.
 

1.2.Umsatzsteuer

Herstellerrabatt als Entgeltbestandteil des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Arzneimitteln
Das Entgelt für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Arzneimitteln durch eine gesetzliche Krankenkasse bemisst sich nach dem von dieser an die jeweilige Versandapotheke gezahlten – rabattierten - Betrag zuzüglich des von dem pharmazeutischen Unternehmer der Apotheke gezahlten Herstellerrabatts.

Die Berücksichtigung des Herstellerrabatts als Entgeltbestandteil verstößt bei Lieferungen von Arzneimitteln in einer - mit Ausnahme der Versandapotheke - inländischen Lieferkette von einem pharmazeutischen Unternehmer über einen Großhändler und eine Versandapotheke an eine gesetzliche Krankenkasse nicht gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.

BFH v. 10.12.2020, V R 34/18

Hinweis:
Nach § 10 Abs. 1 S. 1 UStG wird der Umsatz u. a. bei dem innergemeinschaftlichen Erwerb nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist nach Satz 2 dieser Vorschrift alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Zum Entgelt gehört gemäß Satz 3 auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, deren Versicherte Rezepte regelmäßig bei niederländischen Versandapotheken einlösen. Da die Klägerin als Leistungsempfängerin der Medikamentenlieferungen anzusehen ist und die Versandapotheken von ihrem Wahlrecht, die Lieferungen im Inland der Umsatzsteuer zu unterwerfen, keinen Gebrauch machten, führte dies in den Streitjahren zu steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerben, mit denen die Klägerin die Erwerbsschwelle überschritt. Das FA bezog in die Bemessungsgrundlage für die innergemeinschaftlichen Erwerbe neben den an die Apotheken gezahlten Kaufpreisen zusätzlich die von den Medikamentenherstellern gegenüber den Apotheken nach § 130a SGB V gewährten Herstellerrabatte als Entgelt von Dritter Seite ein. Gegen diese Erhöhung der Bemessungsgrundlage wandte sich die Klägerin mit der Begründung, dass sich die Rabatte nicht auf die Leistungsbeziehung zwischen ihr und den Apotheken auswirkten.

Der BFH hat entschieden, dass sich das Entgelt für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Arzneimitteln durch eine gesetzliche Krankenkasse nach dem von dieser an die jeweilige Versandapotheke gezahlten – rabattierten – Betrag zuzüglich des von dem pharmazeutischen Unternehmen gezahlten Herstellerrabatts bestimmt.

Bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage der Steuer auf den jeweiligen innergemeinschaftlichen Erwerb hat das FG den Herstellerrabatt des pharmazeutischen Unternehmers nicht neben den rabattierten Zahlungen der Klägerin berücksichtigt. Die Berücksichtigung des Herstellerrabatts als Entgeltbestandteil verstößt bei Lieferungen von Arzneimitteln in einer - mit Ausnahme der Versandapotheke - inländischen Lieferkette von einem pharmazeutischen Unternehmer über einen Großhändler und eine Versandapotheke an eine gesetzliche Krankenkasse nicht gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer. Die Einordnung des Herstellerrabatts als Entgelt von dritter Seite entspricht der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Preisnachlässen in Lieferketten. Es mindert sich einerseits das Entgelt für die Lieferung des Herstellers, wobei der Vorsteuerabzug des Großhändlers unberührt bleibt, und es ist andererseits die Erstattung des Preisnachlasses durch den Hersteller Entgelt von dritter Seite für die Lieferung des Einzelhändlers an den Endverbraucher. Danach bemisst sich hier das Entgelt für die innergemeinschaftlichen Erwerbe der Arzneimittel nach dem von der Klägerin an die jeweilige Versandapotheke gezahlten - rabattierten - Betrag zuzüglich des von dem pharmazeutischen Unternehmer der Apotheke gezahlten Herstellerrabatts.
 

1.3.Einkommensteuer

Abgeltungswirkung einbehaltener Kapitalertragsteuer bei der Besteuerung von Scheinrenditen aus Schneeballsystemen
Die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 S. 1 Hs. 1 EStG tritt auch dann ein, wenn die bei der Auszahlung der Kapitalerträge einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht beim Finanzamt angemeldet und abgeführt wird und kein die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ausschließender Fall nach § 43 Abs. 5 S. 1 Hs. 2, S. 2 oder S. 3 EStG vorliegt.

Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige Kapitaleinkünfte in Form von Scheinrenditen aus einem betrügerischen Schneeballsystem erzielt hat, für die aus seiner Sicht Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 5 S. 1 EStG einbehalten worden ist.

Die Bemessungsgrundlage der von dem Steuerpflichtigen aus den Scheinrenditen erzielten Kapitaleinkünfte mindert sich nicht um die einbehaltene Abgeltungsteuer (Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag), wenn der Einbehalt nach § 44 Abs. 1 S. 3 EStG mit abgeltender Wirkung für Rechnung des Steuerpflichtigen als Gläubiger der Kapitalerträge erfolgt ist (anderer Ansicht Urteil des FG München vom 27.10.2017 - 2 K 956/16, BB 2018, 468).

Das Fehlen der aufsichtsrechtlichen Genehmigung nach § 32 KWG steht der Qualifikation eines Unternehmens als inländisches Finanzdienstleistungsinstitut i. S. des § 44 i. V. m. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Bst. b EStG nicht entgegen, wenn es die Merkmale des § 1 Abs. 1a KWG erfüllt (Anschluss an BFH-Urteil vom 16.10.2002 - I R 23/02, BFH/NV 2003, 653).

BFH v. 29.09.2020, VIII R 17/17

Hinweis:
Für Kapitalerträge im Sinne des § 20, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, ist die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug abgegolten (§ 43 Abs. 5 S. 1 Hs. 1 EStG).

Beim FA ging eine Kontrollmitteilung der Fahndungsstelle ein, laut der der Kläger bei der von B geführten Firma Scheinrenditen aus Aktienverkäufen erzielte, die tatsächlich nie stattgefunden hätten. B habe ein Schneeballsystem unterhalten. Im Rahmen des „Verkaufs“ habe B den Verkaufsbetrag und - nach Abzug verschiedener Kosten (darunter Abgeltungssteuer) - das Ergebnis ausgewiesen. Die ausgewiesene Kapitalertragsteuer sei weder angemeldet noch abgeführt worden. Nach Meinung der Fahndungsprüfung haben die Kapitalerträge damit keinem Steuerabzug unterlegen. Das FA änderte daraufhin nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO die Steuerbescheide für die Streitjahre. Hiergegen wandte sich der Kläger. Er führte im Wesentlichen aus, dass die auf die Scheinrenditen entfallende Kapitalertragsteuer mit dem ordnungsgemäßen Einbehalt durch den Schuldner der Kapitalerträge (B) auch dann i. S. v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG erhoben wurde, wenn sie tatsächlich nicht an das FA abgeführt wurde.

Der BFH hat entschieden, dass die Abgeltungswirkung des § 43 Abs. 5 S. 1 Hs. 1 EStG auch dann eintritt, wenn die Kapitalertragsteuer vom Schuldner der Kapitaleinkünfte zwar einbehalten, nicht aber beim FA angemeldet und an dieses abgeführt wurde. Dies hat zur Folge, dass Kapitaleinkünfte aus einem betrügerischen Schneeballsystem in diesem Fall grundsätzlich nicht mehr der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde zu legen sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH unterliegen auch Kapitaleinkünfte aus vorgetäuschten Gewinnen im Rahmen eines Schneeballsystems der Besteuerung, wenn der Anleger über diese, z. B. durch eine Wiederanlage (Novation), verfügen kann und der Schuldner der Kapitalerträge zu diesem Zeitpunkt leistungsbereit und leistungsfähig ist. Dies gilt auch dann, wenn das Schneeballsystem zu einem späteren Zeitpunkt zusammenbricht und der Anleger sein Geld verliert.

Nach Auffassung des BFH ist jedoch nicht nur bei der Besteuerung der Scheinrenditen auf die subjektive Sicht des Anlegers abzustellen, sondern auch bei der Frage, ob die Abgeltungswirkung für die von dem Betreiber des Schneeballsystems einbehaltene Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 5 S. 1 EStG) eintritt. Konnte der Anleger davon ausgehen, dass die Scheinrenditen dem Steuerabzug unterlegen haben, ist die Einkommensteuer abgegolten.

Dies gilt auch dann, wenn die Kapitalertragsteuer von dem Betrüger nicht beim FA angemeldet und abgeführt wurde und dieser keine Genehmigung nach § 32 des Kreditwesengesetzes hatte. Die Scheinrenditen sind dem Anleger in diesem Fall allerdings in voller Höhe, also auch unter Berücksichtigung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer zugeflossen, da der Einbehalt für Rechnung des Steuerpflichtigen als Gläubiger der Kapitalerträge erfolgte.

Erste Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers
Eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers i. S. des § 9 Abs. 4 S. 1 EStG liegt insbesondere vor, wenn dieser die tatsächliche Sachherrschaft darüber aufgrund seiner Eigentümerstellung, eines obligatorischen oder dinglichen Nutzungsrechts ausüben kann.

Eine Einrichtung des Arbeitnehmers, die dieser aufgrund seiner Eigentümerstellung, seines obligatorischen, dinglichen oder auch faktischen Nutzungsrechts für die berufliche Tätigkeit nutzt, kann eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, wenn dieser aufgrund seines Direktionsrechts oder kraft hoheitlicher Anordnung auf die Nutzung der Einrichtung durch den Arbeitnehmer bestimmenden Einfluss nehmen kann.
Erste Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers ist sein Amtssitz, bestehend aus den Dienstgebäuden des Amtsgerichts, dem er zugeordnet ist, und dem Geschäftszimmer, welches er am Sitz des Amtsgerichts auf eigene Kosten vorzuhalten hat.

BFH v. 16.12.2020, VI R 35/18

Hinweis:
Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 EStG ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 u. 2 EStG).

Der Kläger ist als Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht (AG) Y beschäftigt und erzielt hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit u. a. Fahrtkosten zum AG Y für 205 Tage in Höhe von 9.594 € (205 Tage x 78 km x 0,30 € x 2) nach Reisekostengrundsätzen geltend. Streitig ist, ob Fahrtkosten eines Gerichtsvollziehers von seinem Wohnort zum AG als Reisekosten oder nur in Höhe der Entfernungspauschale abziehbar sind.

Der BFH hat entschieden, dass erste Tätigkeitstätte eines Gerichtsvollziehers sein Amtssitz ist.

Eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers i. S. d. § 9 Abs. 4 S. 1 EStG liegt insbesondere vor, wenn dieser die tatsächliche Sachherrschaft darüber aufgrund seiner Eigentümerstellung, eines obligatorischen oder dinglichen Nutzungsrechts ausüben kann. Eine Einrichtung des Arbeitnehmers, die dieser aufgrund seiner Eigentümerstellung, seines obligatorischen, dinglichen oder auch faktischen Nutzungsrechts für die berufliche Tätigkeit nutzt, kann eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, wenn dieser aufgrund seines Direktionsrechts oder kraft hoheitlicher Anordnung auf die Nutzung der Einrichtung durch den Arbeitnehmer bestimmenden Einfluss nehmen kann. Nach Auffassung der Finanzbehörden (BMF, Schreiben v. 25.11.2020, BStBl. 2020 I S. 1228, Rz. 4) ist das häusliche Arbeitszimmer des Arbeitnehmers keine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers oder eines Dritten und kann daher keine erste Tätigkeitsstätte sein. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer einen oder mehrere Arbeitsräume anmietet, die der Wohnung des Arbeitnehmers zuzurechnen sind. Auch in diesem Fall handelt es sich bei einem häuslichen Arbeitszimmer um einen Teil der Wohnung des Arbeitnehmers. Nach den Urteilsgrundsätzen kann ein Homeoffice die erste Tätigkeitsstätte sein, wenn der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts auf die Nutzung des „Homeoffice“ bestimmenden Einfluss nehmen kann.


Anspruch auf deutsches Kindergeld in den Wohnsitz-Wohnsitz-Fällen, wenn nur in Deutschland ein Kindergeldanspruch besteht
Der Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat ist nicht nach Art. 68 Abs. 2 S. 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, wenn nur ein Anspruch im nachrangigen Staat besteht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch im vorrangigen Staat aber nicht erfüllt werden.

Die Koordinierungsregel des Art. 68 Abs. 2 S. 3 der VO Nr. 883/2004 ist nur anwendbar, wenn konkurrierende Ansprüche im Sinne dieser Vorschrift vorliegen.

Wird daher in dem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat für einzelne Kinder keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erbracht, weil die nationalen Rechtsvorschriften keinen Anspruch für das Kind vorsehen, müssen die allein durch den Wohnort einer berechtigten Person ausgelösten Ansprüche auf Familienleistungen für in einem anderen Mitgliedstaat lebende Kinder erfüllt sein.

BFH v. 18.02.2021, III R 27/19

Hinweis:
Gemäß Art. 68 Abs. 2 S. 1 der VO Nr. 883/2004 werden beim Zusammentreffen von Ansprüchen die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 Vorrang haben.

Der Kläger ist polnischer Staatsbürger und seit Juni 2010 verheiratet. Er hat einen Wohnsitz im Inland und war im Streitzeitraum nicht erwerbstätig. Das Kind lebt im Haushalt seiner Eltern in Polen. Die Ehefrau des Klägers hat sich damit einverstanden erklärt, dass das Kindergeld an den Kläger gezahlt wird. Die Ehefrau des Klägers war nach ihren Angaben im Kindergeldantrag weder unselbständig noch selbständig erwerbstätig. Das polnische Gemeindezentrum für Sozialhilfe bestätigte, dass die Ehefrau des Klägers keine Familienleistungen erhält, da das Familieneinkommen die im Bewilligungszeitraum gültige Einkommensgrenze von 574 Zloty überstieg. Die Familienkasse setzte zunächst Kindergeld in gesetzlicher Höhe fest. Später hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte einen Betrag von 3.544 € zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger es versäumt habe, Nachweise über ausgestellte Rechnungen im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit und Nachweise über den Zufluss seiner Einkünfte einzureichen.

Der BFH hat entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat nicht nach Art. 68 Abs. 2 S. 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen ist, wenn nur ein Anspruch im nachrangigen Staat besteht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch im vorrangigen Staat aber nicht erfüllt werden.

Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Anspruch auf deutsches Kindergeld nicht durch Art. 68 Abs. 2 S. 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen ist und die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sowie die Rückforderung rechtswidrig sind. Der im Inland wohnende Kläger erfüllt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld gem. § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 62 ff. i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 u. Abs. 3 EStG für seinen in Polen lebenden minderjährigen Sohn. Das Kind lebt in einem gemeinsamen Haushalt des Klägers und der Kindsmutter in Polen. Für den Kläger liegt eine entsprechende Berechtigtenbestimmung gem. § 64 Abs. 2 S. 2 EStG vor. Dieser Anspruch des Klägers auf Gewährung von Kindergeld ist nicht nach Art. 68 Abs. 2 S. 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen. Ist der persönliche und sachliche Geltungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet und liegen konkurrierende Ansprüche im Sinne der Verordnung vor, dann sind die Ansprüche ausschließlich nach Art. 68 der VO Nr. 883/2004 zu koordinieren. Diese Prioritätsregelung ist gegenüber § 65 EStG grundsätzlich vorrangig. Der Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat ist nicht nach Art. 68 Abs. 2 S. 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, wenn nur ein Anspruch im nachrangigen Staat besteht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch im vorrangigen Staat aber nicht erfüllt sind.

Die Koordinierungsregel des Art. 68 Abs. 2 S. 3 der VO Nr. 883/2004 ist nur anwendbar, wenn konkurrierende Ansprüche im Sinne dieser Vorschrift vorliegen. Im Streitfall haben der Kläger bzw. die Kindsmutter nach den bindenden Feststellungen des FG jedoch keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen. Wird daher in dem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat für einzelne Kinder keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erbracht, weil die nationalen Rechtsvorschriften keinen Anspruch für das Kind vorsehen, müssen die allein durch den Wohnort einer berechtigten Person ausgelösten Ansprüche auf Familienleistungen für in einem anderen Mitgliedstaat lebende Kinder erfüllt sein.
 

1.4.Internationales Steuerrecht

Grenzüberschreitende Betriebsaufspaltung
Die Grundsätze der Betriebsaufspaltung kommen auch dann zur Anwendung, wenn ein inländisches Besitzunternehmen ein im Ausland belegenes Grundstück an eine ausländische Betriebskapitalgesellschaft verpachtet.

BFH v. 17.11.2020, I R 72/16

Hinweis:
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 S. 1 KStG sind Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO), von der Körperschaft­steuer befreit. Die Steuerbefreiung ist gemäß Satz 2 der Vorschrift ausgeschlossen, soweit ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten wird. Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist eine selbständige, nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht (§ 14 S. 1 AO).

Die Klägerin ist eine gemeinnützige rechtsfähige Stiftung mit Sitz im Inland. Die Klägerin bildet zugleich die Konzernspitze der B-Gruppe und ist Alleingesellschafterin verschiedener Kapitalgesellschaften. Daneben war sie im Rahmen eines Einzelunternehmens, der „B NL“, in den Niederlanden im Bereich des Einzelhandels tätig. Im Betriebsvermögen befanden sich u. a. zwei bebaute Geschäftsgrundstücke in X und Z (Niederlande). Im weiteren Verlauf gründete die Klägerin als Alleingesellschafterin die „B B.V.“ (B B.V.), eine niederländische Kapitalgesellschaft mit Sitz in Z, und brachte das bestehende niederländische Einzelunternehmen mitsamt den sich im Betriebsvermögen befindlichen Grundstücken in die B B.V. ein. Schließlich veräußerte die B B.V. beide Grundstücke an die Klägerin. Das in Z belegene Grundstück wird seitdem von der Klägerin an die B B.V. verpachtet und von dieser zur Ausübung ihrer operativen Geschäftstätigkeit als Betriebsgrundstück genutzt. Das Grundstück in X wird - wie bereits zuvor - an einen fremden Dritten verpachtet. Im Streitjahr beschloss die Gesellschafterversammlung der B B.V. die Ausschüttung einer Dividende. Das FA nahm aufgrund der Verpachtung des Grundstücks an die B B.V. eine Betriebsaufspaltung zwischen dieser und der Klägerin an. Die hieraus erzielten Verpachtungseinkünfte seien daher als gewerbliche Einkünfte zu qualifizieren, die jedoch nach dem DBA Deutschland-Niederlande in Deutschland von der Besteuerung freigestellt seien. Von der Gewinnausschüttung seien allerdings 5 % als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

Der BFH hat entschieden, dass die Grundsätze der Betriebsaufspaltung auch dann zur Anwendung kommen, wenn ein inländisches Besitzunternehmen ein im Ausland belegenes Grundstück an eine ausländische Betriebskapitalgesellschaft verpachtet.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass diese Dividendenzahlung im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs i. S. d. § 14 AO erfolgt und die Klägerin insoweit nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG steuerbefreit ist. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um entscheiden zu können, ob die Beteiligung der Klägerin an der B B.V. als solche einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründet.

Durch die Verpachtung des Grundstücks von der Klägerin an die B B.V. sind jedoch die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung erfüllt, die zu einer originär gewerblichen Tätigkeit der Klägerin i. S. d. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG führt und gleichfalls einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb darstellt. Eine Betriebsaufspaltung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine sachliche und personelle Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen voraus. Die personelle und sachliche Verflechtung liegt nach den bindenden Feststellungen des FG aufgrund der 100 %igen Beteiligung der Klägerin an der B B.V. sowie der Verpachtung des der B B.V. als Geschäftslokal dienenden Grundstücks in Z durch die Klägerin vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht für die vorliegende Konstellation eines „inländischen Besitzunternehmens“ und einer „ausländischen Betriebsgesellschaft“. Das FG ist ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass das Besteuerungsrecht gem. Art. 13 Abs. 1 DBA-Niederlande Deutschland zugewiesen und nicht gem. Art. 13 Abs. 5 DBA-Niederlande ausgeschlossen ist.
 
 

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