Rechtsprechung KW 14 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Bestimmung des Inhaltsadressaten einer Prüfungsanordnung; Festsetzungsverjährung; Treu und Glauben
Zur Inhaltsbestimmung eines Verwaltungsakts ist zwar der erklärte Wille der Behörde zu erfassen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften; allerdings ist ein in seinem Ausspruch eindeutig an einen bestimmten Adressaten gerichteter Bescheid insofern keiner Auslegung zugänglich.

Eine Außenprüfung, die aufgrund einer gegenüber dem Steuerpflichtigen nicht wirksam gewordenen Prüfungsanordnung durchgeführt wird, kann den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen.

Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, ermöglicht es der Grundsatz von Treu und Glauben nicht, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Steueranspruch wieder auflebt; dies gilt unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung „vorwerfbar“ ist oder nicht.

BFH v. 11.11.2020, XI R 11/18

Hinweis:
Nach § 169 Abs. 1 S. 1 AO ist der Erlass eines Steuerbescheides nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.

Die Klägerin, eine GmbH, betrieb in den Streitjahren eine Klinik, bis sie aufgrund eines Ausgliederungs- und Übernahmevertrags ihr gesamtes Vermögen gegen Gewährung einer Kommanditbeteiligung an der A GmbH & Co. KG auf diese übertrug. Das FA informierte im Vorfeld einer geplanten Umsatzsteuerprüfung bei der KG u. a. darüber, dass es davon ausgehe, dass diese als Rechtsnachfolgerin der Klägerin anzusehen sei. Das FA ordnete unter Verwendung der Steuernummer der Klägerin eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO „bei der Firma A GmbH & Co. KG als RNF der B GmbH“ an. In seinem Prüfungsbericht stellte der Prüfer zur Umsatzsteuer der Streitjahre fest, dass die Klägerin trotz Ausführung auch steuerfreier Umsätze keine Vorsteueraufteilung vorgenommen hatte. Die gebotene Aufteilung führte zu Mehrsteuern. In der Schlussbesprechung wurde hinsichtlich aller Prüfungsfeststellungen Einvernehmen erzielt. Die Prüfungsfeststellungen wertete das FA mit Änderungsbescheiden aus. Streitig ist, ob bei Erlass der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.

Der BFH hat entschieden, dass zur Inhaltsbestimmung eines Verwaltungsakts zwar der erklärte Wille der Behörde zu erfassen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften sei; allerdings ist ein in seinem Ausspruch eindeutig an einen bestimmten Adressaten gerichteter Bescheid insofern keiner Auslegung zugänglich. Eine Außenprüfung, die aufgrund einer gegenüber dem Steuerpflichtigen nicht wirksam gewordenen Prüfungsanordnung durchgeführt wird, kann den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen. Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, ermöglicht es der Grundsatz von Treu und Glauben nicht, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Steueranspruch wieder auflebt; dies gilt unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung „vorwerfbar“ ist oder nicht.

Im Streitfall ist der Ablauf der jeweiligen Festsetzungsfrist nicht gemäß § 171 Abs. 4 AO dadurch gehemmt worden, dass vor Fristablauf mit einer Außenprüfung begonnen wurde. Zwar hat das FA für die Streitjahre Prüfungsanordnungen erlassen, doch sind diese gegenüber der Klägerin nicht wirksam geworden. Eine Außenprüfung, die aufgrund einer unwirksamen Prüfungsanordnung durchgeführt wird, kann den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen. Diese der vormaligen steuerlichen Vertreterin bekannt gegebenen Prüfungsanordnungen sind der Klägerin gegenüber nicht wirksam geworden, weil sie das FA nicht dieser gegenüber als Inhaltsadressatin, sondern gegenüber der KG erlassen hat.

Dies ergibt sich aus der Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO „bei der Firma A GmbH & Co. KG als RNF der B GmbH“. Da aufgrund erfolgter Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG weder die Klägerin als übertragende Rechtsträgerin untergegangen noch eine Gesamtrechtsnachfolge eingetreten war, wären die Prüfungsanordnungen an die Steuerschuldnerin, die Klägerin, und nicht wie geschehen an die KG zu richten gewesen.
 

1.2.Einkommensteuer

Änderung von Einkommensteuerbescheiden nach § 91 Abs. 1 S. 4 EStG aufgrund einer Mitteilung der ZfA
Die Mitteilung der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) führt bei Abweichungen in Bezug auf den Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 S. 1 EStG nicht dazu, dass das Finanzamt ungeprüft den Inhalt dieser Mitteilung umzusetzen hat; die Mitteilung nach § 91 Abs. 1 S. 4 EStG ist im Verhältnis zum Einkommensteuerbescheid weder ein Grundlagenbescheid noch kommt ihr grundlagenbescheidsähnliche Wirkung zu.

§ 91 Abs. 1 S. 4 EStG ermächtigt das Finanzamt lediglich, die Einkommensteuerfestsetzung i. S. des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. d AO zu ändern.

BFH v. 08.09.2020, X R 2/19

Hinweis:
Gem. § 91 Abs. 1 S. 4 EStG ist dem Finanzamt mitzuteilen, wenn die Überprüfung der Altersvorsorgezulage eine Abweichung von dem in der Steuerfestsetzung berücksichtigten Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG oder der gesonderten Feststellung nach § 10a Abs. 4 EStG ergibt; die Steuerfestsetzung oder die gesonderte Feststellung ist insoweit zu ändern.

Die Kläger werden in den Streitjahren 2010 bis 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte gewerbliche Einkünfte und war als landwirtschaftlicher Unternehmer in der landwirtschaftlichen Alterskasse gesetzlich (renten-)versichert. Daneben zahlte der Kläger in einen Altersvorsorgevertrag ein. In dem bereits 2005 unterzeichneten Vertragsformular hatte er angegeben, mittelbar zulageberechtigt zu sein. Die Klägerin unterhielt beim gleichen Anbieter ebenfalls einen Altersvorsorgevertrag. Sie ist unmittelbar zulageberechtigt. Die Kläger machten in ihren Steuererklärungen für die Streitjahre jeweils einen Sonderausgabenabzug gem. § 10a Abs. 1 EStG geltend. Die Klägerin hatte jeweils 720 € in ihren Vertrag eingezahlt und eine Grundzulage in Höhe von 154 € und Kinderzulagen in Höhe von 555 € für drei Kinder erhalten. In den Anlagen AV zu den Einkommensteuererklärungen gaben die Kläger an, dass jeder von ihnen unmittelbar zulageberechtigt sei. Das FA veranlagte die Kläger zunächst erklärungsgemäß. Es berücksichtigte in Bezug auf den Kläger in allen Streitjahren einen Sonderausgabenabzug gem. § 10a Abs. 1 EStG in Höhe von jeweils 2.100 €. Daneben ermittelte das FA einen Sonderausgabenabzug gem. § 10a Abs. 1 EStG für die Klägerin in Höhe von 1.429 €. Die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) teilte dem FA mit, dass der Kläger nur mittelbar zulageberechtigt sei. Daraufhin änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzungen sowie die Feststellungen nach § 10a Abs. 4 EStG für die Streitjahre.

Der BFH hat entschieden, dass die Mitteilung der ZfA bei Abweichungen in Bezug auf den SA-Abzug nach § 10a Abs. 1 S. 1 EStG nicht dazu führt, dass das FA ungeprüft den Inhalt dieser Mitteilung umsetzen darf, da die Mitteilung im Verhältnis zum Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist. § 91 Abs. 1 S. 4 EStG ermächtigt das Finanzamt lediglich, die Einkommensteuerfestsetzung i. S. d. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. d AO zu ändern.

Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig, da den Klägern aufgrund ihrer unmittelbaren Zulageberechtigung (§ 79 S. 1 EStG) der Sonderausgabenabzug gem. § 10a Abs. 1 EStG zu gewähren war. Der Kläger ist, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, in den Streitjahren in der landwirtschaftlichen Alterskasse pflichtversichert gewesen.

Somit ist auch er gem. § 79 S. 1 EStG unmittelbar zulageberechtigt und kann gem. § 10a Abs. 1 S. 1 EStG zusätzlich Sonderausgaben geltend machen.

Das FG war verpflichtet, diesen Umstand bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Es hat eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bei seiner Entscheidung ausnahmsweise nur dann hinzunehmen, wenn der Kläger aufgrund einer Anfechtungsbeschränkung gem. § 42 FGO sachlich nicht befugt ist, im anstehenden Verfahren eine dementsprechende Rechtsverletzung geltend zu machen.

Eine derartige Beschränkung ist im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 42 FGO i. V. m. § 351 Abs. 2 AO nicht vor, wonach Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung jenes Bescheides, nicht aber auch durch eine solche des Folgebescheides, angegriffen werden können. Bei der Mitteilung der ZfA an das FA i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 EStG handelt es sich nicht um einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 S. 1 AO). Der Mitteilung nach § 91 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 EStG kommt auch keine grundlagenbescheidsähnliche Wirkung zu. Unabhängig davon, dass eine solche Wirkung mangels Bekanntgabe an den Zulageberechtigten überhaupt nicht möglich ist, fehlt es bereits an einer entsprechenden Formulierung in § 91 Abs. 1 S. 4 EStG. Auch § 10a EStG enthält keinen Hinweis auf eine solche Bindungswirkung. § 91 Abs. 1 S. 4 EStG ermächtigt das Finanzamt lediglich, die Einkommensteuerfestsetzung i. S. d. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. d AO zu ändern. Der Wortlaut des § 91 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 EStG sieht lediglich vor, dass das FA aufgrund der Mitteilung der ZfA die Steuerfestsetzung oder die gesonderte Feststellung gem. § 10a Abs. 4 EStG zu ändern hat. Diese Änderungsnorm ist aber nicht mit einer inhaltlichen Bindungswirkung ausgestaltet worden. Vielmehr bleibt das FA auch weiterhin verpflichtet, die Steuerfestsetzung auf ihre materielle Richtigkeit hin zu überprüfen.
 

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