Rechtsprechung KW 13 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Erbschaft-/Schenkungsteuer

Zuwendungsgegenstand bei mehrmonatiger Reise mit zugebuchten Leistungen
Mehrere Steuerfälle erfordern grundsätzlich entweder eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden oder - bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück - die genaue Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände) dem Steuerbescheid zugrunde liegen, sowie eine gesonderte Steuerfestsetzung für jeden einzelnen Lebenssachverhalt (Steuerfall).

BFH v. 16.09.2020, II R 24/18

Hinweis:
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Schenkungsteuer jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. In objektiver Hinsicht bedarf es einer Vermögensverschiebung, d. h. einer Vermögensminderung auf der Seite des Zuwendenden und einer Vermögensmehrung auf der Seite des Bedachten.

Der Kläger buchte im August 2014 bei einem Reiseveranstalter für sich und seine Lebensgefährtin eine fünfmonatige Kreuzfahrt von A nach B. Der Reiseveranstalter erteilte dem Kläger am 10.02.2015 und am 29.09.2015 zwei Rechnungen für die Kosten der Kreuzfahrt in der höchsten Kategorie über insgesamt 500.000 €. In diesem Betrag sind die Kosten für die Anreise beider Personen enthalten. Der Preis der Luxuskabine, in der bis zu vier Personen Platz fanden, war nach der Angebotsgestaltung des Reiseveranstalters unabhängig von der tatsächlich angemeldeten Personenzahl. Während der Reise entstanden weitere Kosten in Höhe von insgesamt 45.000 € für beide Personen (Ausflüge, Restaurantbesuche, Inanspruchnahme von Spa-, Fitness- und Frisördienstleistungen an Bord). Diese zusätzlichen Leistungen wurden gesondert gebucht und über das „Bordkonto“ taggenau abgerechnet. Die Aufwendungen für die Reise wurden vollumfänglich vom Kläger getragen. Seine Lebensgefährtin wäre aus eigenen Mitteln zur Unternehmung einer solchen Reise finanziell nicht in der Lage gewesen. Der Kläger gab eine Schenkungsteuererklärung ab, in der er eine Zuwendung an seine Lebensgefährtin in Höhe von rund 25.000 € erklärte (anteilige Kosten für die Anreise, einen Flug nach E, Ausflüge und Verpflegung). Der Kläger erklärte, er werde die Schenkungsteuer übernehmen. Das FA setzte für eine freigebige Zuwendung gegenüber dem Kläger eine Steuer in Höhe von rund 100.000 € fest. Dabei legte es einen steuerpflichtigen Erwerb der Lebensgefährtin in Höhe von rund 300.000 € zugrunde, in den u. a. die halben Gesamtreisekosten eingegangen waren. Den Erwerb bezeichnete das FA im Bescheid als „sonstige Forderung“ mit der Erläuterung: „Schenkung Weltreise ...“ und erläuterte, der Gegenstand der Zuwendung sei die gemeinsame Weltreise.

Der BFH hat entschieden, dass mehrere Steuerfälle grundsätzlich entweder eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden oder - bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück - die genaue Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände) dem Steuerbescheid zugrunde liegen, sowie eine gesonderte Steuerfestsetzung für jeden einzelnen Lebenssachverhalt (Steuerfall) erfordern.

Die Schenkungsteuer entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG bei Schenkungen unter Lebenden mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung. Eine Schenkung oder freigebige Zuwendung ist ausgeführt, wenn der Bedachte das erhalten hat, was ihm nach der Schenkungsabrede, im Fall der freigebigen Zuwendung nach dem Willen des Zuwendenden, verschafft werden soll. Es kommt dabei grundsätzlich auf den Eintritt des Leistungserfolgs an.

Das FG hat die angefochtenen Bescheide im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Dabei kann dahinstehen, ob es sich wie vom FG verneint bei den vom Kläger erbrachten Leistungen um steuerbare Zuwendungen an seine Lebensgefährtin handelt. Die Bescheide entsprechen den Bestimmtheitsanforderungen des § 119 Abs. 1 AO nicht. Es liegt keine einheitliche Zuwendung vor.

Vielmehr handelt es sich bei der Übernahme der Kosten für die Kabine und die auf dem Bordkonto gebuchten Ausflüge, Restaurant, Frisör, Spa und Fitnessleistungen jeweils um einzelne und voneinander zu unterscheidende selbständige Leistungen. Selbst wenn alle Aufwendungen auf einem bisher nicht festgestellten einheitlichen Schenkungsversprechen beruhen sollten, fehlte es jedenfalls an einem einheitlichen Steuerentstehungszeitpunkt. Diese Versprechen wären zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfüllt worden. Mehrere Steuerfälle erfordern grundsätzlich entweder eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden oder bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück die genaue Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände) dem Steuerbescheid zugrunde liegen, sowie eine gesonderte Steuerfestsetzung für jeden einzelnen Lebenssachverhalt.
 

1.2.Einkommensteuer

Facharztausbildung – „Thüringen-Stipendium“ - Wiedereinsetzung
Einen Prozessbevollmächtigten trifft an dem verspäteten Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes kein Verschulden, wenn er mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Sendenummer alles zur Fristwahrung Erforderliche getan und so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit deren Abschluss bis 24:00 Uhr gerechnet werden konnte (Anschluss an BGH-Beschluss vom 12.04.2016 - VI ZB 7/15, NJW-RR 2016, 816).

Leistungen aufgrund eines Fördervertrags mit der „Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Thüringen“ sind unter bestimmten Umständen nicht steuerbar.

BFH v. 11.12.2020, IX R 33/18

Hinweis:
Nach § 22 Nr. 3 S. 1 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i. S. der Nummern 1, 1a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören. Eine (sonstige) Leistung i. S. d. § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und eine Gegenleistung auslöst.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) studierte bis zum Frühjahr 2012 Medizin. Im Anschluss war sie bei der Z-Klinik im Rahmen ihrer fachärztlichen Ausbildung angestellt. Im Herbst 2012 schlossen die Klägerin und die „Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Thüringen“ (Stiftung) einen Vertrag über den Erhalt von Fördermaßnahmen für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, die den Facharzt für Allgemeinmedizin und den Facharzt für Innere Medizin absolvieren (Fördervertrag). Entsprechend der vertraglichen Regelung in § 4 Abs. 2 erhielt die Klägerin im Jahr 2012 (Streitjahr) eine Einmalzahlung in Höhe von 15.000 €. Die Beteiligten streiten um die einkommensteuerliche Behandlung einer als sog. „Thüringen-Stipendium“ bezeichneten Geldzahlung in Höhe von 15.000 €.

Der BFH hat entschieden, dass Leistungen aufgrund eines Fördervertrags mit der „Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Thüringen“ unter bestimmten Umständen nicht steuerbar sind.

Die Einmalzahlung der Stiftung ist nicht den sonstigen Einkünften i. S. d. § 22 Nr. 3 EStG zuzuordnen. Die Einmalzahlung der Stiftung wird durch die im Zeitpunkt des Abschlusses des Fördervertrags erklärte Bereitschaft, künftig für eine gewisse Zeit im Freistaat Thüringen tätig werden zu wollen, ausgelöst. Die Zahlung ist kein leistungsbezogenes Entgelt. Die Höhe der Zahlung ist nicht durch die Verpflichtungserklärung der Klägerin „wirtschaftlich“ veranlasst; insbesondere sind die erklärte Bereitschaft der Klägerin und die Zahlung nicht nach wirtschaftlichen Kriterien abgewogen. So ist die Förderung im Fall der Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit vor Ablauf von vier Jahren in voller Höhe - und nicht nur anteilig – zurückzuzahlen.

Die Förderung ist keine Bezahlung für die erklärte Leistungsbereitschaft, sondern sie soll bei der Zielgruppe als finanzieller Anreiz zu allererst die innere Bereitschaft auslösen bzw. stärken, sich im Freistaat Thüringen vertragsärztlich niederzulassen. Ihrer Zweckrichtung nach wirkt die Zahlung in diesem Sinne auf die Willensbildung ein. Damit nimmt der Stipendiat aber noch nicht am wirtschaftlichen Geschäftsverkehr teil. Trotz Abgabe einer „Verpflichtungserklärung“ im Fördervertrag wird eine verbindliche und damit für den Empfänger werthaltige Verpflichtung gerade nicht begründet.


Nachweis der fast ausschließlichen betrieblichen Nutzung eines PKW bei der Inanspruchnahme von Investitionsabzugsbetrag und Sonderabschreibung zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe nach § 7g EStG
Ein Steuerpflichtiger kann die Anteile der betrieblichen und der außerbetrieblichen Nutzung eines PKW, für den er den Investitionsabzugsbetrag und die Sonderabschreibung nach § 7g EStG in Anspruch genommen hat, nicht nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch, sondern auch durch andere Beweismittel nachweisen.

BFH v. 15.07.2020, III R 62/19

Hinweis:
Gem. § 7g Abs. 2 S. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung können die Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung des begünstigten Wirtschaftsguts um bis zu 40 %, höchstens um den nach § 7g Abs. 2 S. 1 EStG hinzugerechneten Betrag, gewinnmindernd herabgesetzt werden, so dass sich dadurch die Bemessungsgrundlagen u. a. für die AfA und für Sonderabschreibungen entsprechend verringern. Außerdem können nach § 7g Abs. 5 EStG bei abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens im Jahr der Anschaffung und Herstellung und in den vier folgenden Jahren neben den Absetzungen für Abnutzung nach § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 EStG Sonderabschreibungen von bis zu insgesamt 20 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten in Anspruch genommen werden, sofern das Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung oder Herstellung und im darauf folgenden Wirtschaftsjahr in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs des Steuerpflichtigen ausschließlich oder fast ausschließlich betrieblich genutzt wird und die betriebsbezogenen Voraussetzungen erfüllt sind (§ 7g Abs. 6 EStG).

Der Kläger erzielte als Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er hatte im Jahr 2011 einen Investitionsabzugsbetrag für die Anschaffung eines PKW gebildet und am 02.09.2014 einen PKW angeschafft. In der Einkommensteuererklärung für 2014 (Streitjahr) gaben die Kläger nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelte Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb in Höhe von 34.902 € an. Dabei hatte der Kläger die Entnahmen durch die private Kfz-Nutzung mit Hilfe der sog. Fahrtenbuchmethode bewertet und den für die Anschaffung eines PKW gebildeten Investitionsabzugsbetrag auf den PKW übertragen. Das FA setzte die Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erklärungsgemäß fest. Nach einer Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, dass die vom Kläger vorgelegten Fahrtenbücher nicht ordnungsgemäß geführt und daher nicht anzuerkennen seien. Sie setzte für die private Nutzung des PKW einen Betrag nach der 1 %-Methode an und versagte die Inanspruchnahme von Investitionsabzugsbetrag sowie Sonderabschreibung. Sie berücksichtigte lediglich eine AfA. Streitig ist, wie bei der Inanspruchnahme des Investitionsabzugsbetrags nach § 7g Abs. 2 EStG und der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 5 EStG der Nachweis für die ausschließliche oder fast ausschließliche betriebliche Nutzung eines PKW zu führen ist.

Der BFH hat entschieden, dass der Nachweis der fast ausschließlich betrieblichen Nutzung eines PKW bei der Inanspruchnahme von Investitionsabzugsbetrag und Sonderabschreibung nicht nur durch ein Fahrtenbuch, sondern auch durch andere Beweismittel nachgewiesen werden kann.

Die Frage, wie die Anteile der betrieblichen und der außerbetrieblichen Nutzung des Wirtschaftsguts nachzuweisen sind, ist in § 7g EStG nicht ausdrücklich geregelt. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Nachweis der fast ausschließlichen betrieblichen Nutzung eines PKW nicht auf ordnungsgemäße Fahrtenbücher beschränkt. Er kann - entsprechend der für die Aufklärung des Sachverhalts geltenden allgemeinen Grundsätze - auch durch andere Beweismittel geführt werden. Der Sinn und Zweck des 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG und des § 7g EStG verlangt nicht, den in § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 EStG vorgegebenen Weg zum Nachweis der privaten Nutzung von Kfz auf die in § 7g EStG geregelten Sachverhalte zu übertragen. Die Regelungsgegenstände unterscheiden sich grundlegend voneinander. Auch wenn Praktikabilitätserwägungen für die Auffassung der Finanzverwaltung sprechen mögen, so stellt die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 EStG geregelte Fahrtenbuchmethode, welche an die 1 %-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG anknüpft, keine zu verallgemeinernde Vorschrift zum Nachweis der Anteile der privaten und der betrieblichen Nutzung von Kfz dar. Ohne ausdrückliche gesetzliche Verweisung kommt eine Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 EStG im Rahmen des § 7g EStG nicht in Betracht.
 

1.3.Internationales Steuerrecht

Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/2010 auch ohne Eintragung der Funktion in das Handelsregister
Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/2010 setzt keine Eintragung der Funktion des Steuerpflichtigen in das Handelsregister voraus. Die anders lautende Regelung des § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV vom 20.12.2010 verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

BFH v. 30.09.2020, I R 60/17

Hinweis:
Vorbehaltlich des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 die Einkünfte einer in Deutschland ansässigen Person aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft in der Schweiz besteuert werden, sofern die Tätigkeit nicht so abgegrenzt ist, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst. Besteuert die Schweiz diese Einkünfte nicht, können sie in Deutschland besteuert werden (Art. 15 Abs. 4 S. 2 DBA-Schweiz 1971/2010).

Der Kläger wohnte im Streitjahr im Inland. Dort war er auch abkommensrechtlich ansässig.

Der Kläger war Arbeitnehmer der X AG mit Sitz in Z/Schweiz (X AG). Im Rahmen seiner Funktion als „Chief Financial Officer“ (CFO) einer niederländischen Konzerngesellschaft erteilte der Verwaltungsrat der X AG dem Kläger die „Kollektivunterschrift zu zweien (einschließlich der Prokura)“, die ohne Funktionsbezeichnung in das Handelsregister des Kantons Z eingetragen wurde. Der Kläger selbst war nicht Mitglied des Executive Committee, dem der Verwaltungsrat der X AG die aktive Geschäftsleitung übertragen hatte. Im Streitjahr kehrte der Kläger an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnort im Inland zurück. Er übte seine Tätigkeit an 63 von 240 Arbeitstagen in Drittstaaten und im Inland aus. Mit dem Einkommensteuerbescheid vom 06.03.2014 unterwarf der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den im Streitjahr erzielten Arbeitslohn des Klägers der inländischen Besteuerung, soweit er auf eine Tätigkeit für die X AG in Drittstaaten oder im Inland entfiel (63/240 = ... €), und setzte die Einkommensteuer auf ... € fest. Die Eintragung des Klägers in das Handelsregister mit einer „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne Funktionsbezeichnung reiche nicht, um die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/2010 zu erfüllen. Die Berechnung des Steuersatzes erfolgte unter Einbeziehung der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) für den gesamten Arbeitslohn festgesetzte und vom Kläger gezahlte Quellensteuer wurde nicht angerechnet.

Der BFH hat entschieden, dass Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/2010 auch ohne Eintragung in das Handelsregister anzuwenden ist. Die anders lautende Regelung des § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV vom 20.12.2010 verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

Das Besteuerungsrecht der Schweiz für die von der Schweizerischen AG an den Kläger gezahlten Vergütungen i. S. d. Art. 15 DBA Schweiz 1971/2010 hat das FG rechtsfehlerfrei aus Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1971/2010 abgeleitet. Danach können vorbehaltlich des Art. 15a DBA Schweiz 1971/2010 die Einkünfte einer in Deutschland ansässigen Person aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft in der Schweiz besteuert werden, sofern die Tätigkeit nicht so abgegrenzt ist, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst. Besteuert die Schweiz diese Einkünfte nicht, können sie in Deutschland besteuert werden (Art. 15 Abs. 4 S. 2 DBA Schweiz 1971/2010). Das FG hat unter Berücksichtigung der Statuten der Schweizerischen AG und des im Streitjahr gültigen Unterschriftenreglements der AG rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der Kläger im Außenverhältnis die organschaftliche Vertretungsmacht eines Direktors, mindestens aber die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht eines Prokuristen erlangt hat. Dies folgt insbesondere aus der in das Handelsregister eingetragenen „Kollektivunterschrift zu zweien“, da eine Handlungsvollmacht i. S. des Art. 462 OR, die nicht zur Anwendung des Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1971/2010 ausgereicht hätte, keine eintragungsfähige Tatsache gewesen wäre. Die fehlende Eintragung der Funktion des Klägers in das Handelsregister führt zu keinem anderen Ergebnis. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV, nach dessen Wortlaut Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1971/2010 nur für diejenigen Personen anwendbar sein soll, „deren vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasste Funktion oder Prokura im Handelsregister eingetragen ist“. Zwar kann § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV - entgegen der Auffassung des FG - nicht dahin ausgelegt werden, dass jede Eintragung in das Handelsregister genügt, die auf eine entsprechende Leitungs- und Vertretungsmacht schließen lässt; dies widerspricht dem klaren Wortlaut der Vorschrift, der ausdrücklich eine Eintragung der „Funktion oder Prokura“ fordert. § 19 Abs. 2 S. 2 KonsVerCHEV verstößt aber gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist daher als unwirksam zu verwerfen.

Nichtrückkehrtage i. S. der Grenzgängerregelung des Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz 1971/2002
Tage, an denen der Steuerpflichtige von einer Geschäftsreise aus dem Drittland tatsächlich an seinen Wohnsitz zurückkehrt, gehören nicht zu den Nichtrückkehrtagen i. S. des Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz 1971/2002. Entsprechendes gilt für Geschäftsreisen an Wochenend- und Feiertagen, sofern die Arbeit an diesen Tagen nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart ist und der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder einen anderweitigen Freizeitausgleich noch ein zusätzliches Entgelt gewährt, sondern lediglich die Reisekosten übernimmt. Die anders lautenden Regelungen des § 8 Abs. 1 S. 3 und Abs. 5 S. 2 KonsVerCHEV vom 20.12.2010 verstoßen gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

BFH v. 30.09.2020, I R 37/17

Hinweis:
Nach Art. 15a Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2002 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Grenzgänger ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2002). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz 1971/2002).

Ergänzend regelt Nr. II.2. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991, dass Arbeitstage im Sinne dieser Regelung die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage sind.

Der Kläger wohnte im Streitjahr (2010) im Inland. Dort war er auch ansässig. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ging der Kläger von 65 Nichtrückkehrtagen i. S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2002 aus, so dass er nicht als Grenzgänger mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der inländischen Besteuerung unterliege. Zu den Nichtrückkehrtagen zählte er sowohl Wochenendtage als auch Tage, an denen er von einer Drittland-Geschäftsreise an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt war. Stattdessen folge aus Art. 15 Abs. 4 i. V. m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Bst. d DBA-Schweiz 1971/2002 die Freistellung der streitigen Einkünfte von der deutschen Besteuerung. Das FA verneinte ebenfalls die Grenzgängereigenschaft des Klägers gemäß Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2002 und ging hierfür sogar von 67 Nichtrückkehrtagen aus. Im Einkommensteuerbescheid unterwarf es deshalb denjenigen Teil des Arbeitslohns, der auf die Ausübung der Tätigkeit in Drittstaaten oder im Inland entfiel, der inländischen Besteuerung (63/240 des Bruttoarbeitslohns). Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung nach Art. 15a Abs. 1 S. 2 u. 3 DBA-Schweiz 1971/2002 einbehaltene Quellensteuer in Höhe von 4,5 % wurde in dem Bescheid nicht berücksichtigt.

Der BFH hat entschieden, dass Tage, an denen der Steuerpflichtige von einer Geschäftsreise tatsächlich an seinen Wohnsitz zurückkehrt, nicht zu den Nichtrückkehrtagen i. S. d. Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz gehören. Entsprechendes gilt für Geschäftsreisen an Wochenend- und Feiertagen, sofern die Arbeit an diesen Tagen nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart ist und der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder einen anderweitigen Freizeitausgleich noch ein zusätzliches Entgelt gewährt, sondern lediglich die Reisekosten übernimmt. Die anders lautenden Regelungen der KonsVerCHEV vom 20.12.2010 verstoßen gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG).

Der Wortsinn des Begriffs Rückkehr schließt es aus, eine tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz als Nichtrückkehrtag anzusehen. Dies wird durch den Zweck der Grenzgängerregelung bestätigt, der engeren Bindung zum Ansässigkeitsstaat Rechnung zu tragen. Eine tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz kann nicht zu einer Lockerung dieser Bindung führen. Vielmehr hat jede tatsächliche Rückkehr an den Wohnsitz unabhängig von ihrem Ausgangspunkt eine Stärkung der Bindung zum Ansässigkeitsstaat zur Folge. Entsprechendes gilt für Geschäftsreisen an Wochenend- und Feiertagen, sofern die Arbeit an diesen Tagen nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart ist und der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder einen anderweitigen Freizeitausgleich noch ein zusätzliches Entgelt gewährt, sondern lediglich die Reisekosten übernimmt.
 

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