Rechtsprechung KW 01 - 2021

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Auskunftsersuchen an Dritte ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Steuerpflichtigen
Um ein Auskunftsersuchen an andere Personen als die Beteiligten richten zu dürfen, muss entweder die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führen (Alternative 1) oder diese keinen Erfolg versprechen (Alternative 2).

Um eine Prognose zu den fehlenden Erfolgsaussichten einer Auskunft durch die Beteiligten machen zu können, bedarf es eines klar umrissenen und für die Besteuerung des Steuerpflichtigen erheblichen Sachverhalts; Ermittlungszweck und potentielles Ermittlungsergebnis müssen erkennbar sein.

BFH v. 28.10.2020, X R 37/18

Hinweis:
Die Beteiligten und andere Personen haben gem. § 93 Abs. 1 S. 1 AO der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Nach § 93 Abs. 1 S. 3 AO sollen andere Personen als die Beteiligten erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht.

Der Kläger betrieb in den Jahren 2009 bis 2011 einen Handel mit Kraftfahrzeugen, insbesondere mit Gebrauchtwagen. Im Rahmen der Außenprüfung richtete die Prüferin des FA mehrere Anfragen an das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Dabei stellte sich heraus, dass in einer Reihe von Fällen die Verkäufer der Fahrzeuge nicht deren letzte Halter gewesen waren. Die Prüferin konnte deshalb anhand der vom Kläger übergebenen Unterlagen die Lieferketten zwischen dem letzten Halter und dem Verkäufer nicht nachvollziehen. Da die Prüferin bestimmte Umsätze des Klägers mit Gebrauchtfahrzeugen als auffällig ansah, hielt sie es für nötig, die letzten Halter um weitere Auskünfte zu bitten. Sie ging dabei davon aus, dass diese Halter dem Kläger unbekannt seien und meinte infolgedessen, eine vorherige Anfrage beim Kläger könne unterbleiben. Der Kläger macht hiergegen die Verletzung von Rechts- und Verfahrensmängeln geltend.

Der BFH hat entschieden, dass zur Prognose der fehlenden Erfolgsaussichten einer Auskunft durch den Beteiligten es eines klar umrissenen und für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts bedarf. Das finanzgerichtliche Urteil verletzt Bundesrecht, weil notwendige Feststellungen des FG im Rahmen seiner Prüfung der Rechtmäßigkeit des streitigen Auskunftsersuchens dazu fehlen, ob das FA vor deren Erlass bei seiner Prognose hinreichend erwogen hat, inwieweit die beabsichtigte Sachverhaltsaufklärung durch den Kläger (offenkundig) keinen Erfolg versprechen würde. Dazu hätte das FG ermitteln müssen, welches Ziel das FA im Hinblick auf den aus seiner Sicht für die Besteuerung des Klägers erheblichen Sachverhalt verfolgt hat und inwieweit dieses hierfür erforderlich gewesen ist. Ausgehend davon, dass jedes Auskunftsersuchen ein anfechtbarer Verwaltungsakt i. S. d. § 118 S. 1 AO ist, wird das FG im zweiten Rechtsgang feststellen müssen, ob und wenn ja welchen konkreten Ermittlungszweck das FA in jedem Einzelfall verfolgte, so dass es im Rahmen seiner Prognose vor dem Erlass jedes Auskunftsersuchens von einer Erfolglosigkeit der Sachaufklärung durch den Kläger ausgehen durfte.
 

1.2.Erbschaft-/Schenkungsteuer

Berücksichtigung eines Pflichtteilsanspruchs bei Berechnung der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung
Ein nach Eintritt in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft von Todes wegen erworbener Pflichtteilsanspruch ist eine rechtlich geschützte Position von wirtschaftlichem Wert, die bei Berechnung der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung dem Anfangsvermögen des erwerbenden Ehegatten hinzuzurechnen ist.

BFH v. 22.07.2020, II R 42/18

Hinweis:
Der Erbschaftsteuer unterliegt der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als solcher gilt gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb durch Erbanfall i. S. d. § 1922 Abs. 1 BGB. Wird der Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 BGB, § 6 des Lebenspartnerschaftsgesetzes) durch den Tod eines Ehegatten oder den Tod eines Lebenspartners beendet und der Zugewinn nicht nach § 1371 Abs. 2 BGB ausgeglichen, gilt beim überlebenden Ehegatten oder beim überlebenden Lebenspartner der Betrag, den er nach Maßgabe des § 1371 Abs. 2 BGB als Ausgleichsforderung geltend machen könnte, nicht als Erwerb i. S. d. § 3 ErbStG (§ 5 Abs. 1 ErbStG).

Der Kläger ist der Ehemann der im Jahr 2009 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin wurde laut gemeinsamen Erbscheins des zuständigen Amtsgerichts zu 3/4 vom Kläger und zu je 1/8 von ihren beiden Neffen beerbt. Bei Festsetzung der Erbschaftsteuer zog das FA von dem Wert des Erwerbs nach § 5 Abs. 1 ErbStG eine Zugewinnausgleichsforderung ab. Bei der Ermittlung des Werts der Zugewinnausgleichforderung wurde als Teil des güterrechtlichen Anfangsvermögens der Erblasserin nach § 1374 Abs. 2 BGB u. a. der Erwerb eines Pflichtteilsanspruchs durch den Tod ihrer Mutter berücksichtigt. Der Pflichtteilsanspruch war zum Todeszeitpunkt der Erblasserin verjährt und wurde von den Erben, die sich auf die Einrede der Verjährung beriefen, nicht erfüllt. Das FA berücksichtigte daher den Pflichtteilsanspruch weder als Erwerb i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG beim Kläger noch als Endvermögen der Erblasserin bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs.

Der BFH hat entschieden, dass ein nach Eintritt in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft von Todes wegen erworbener Pflichtteilsanspruch eine rechtlich geschützte Position von wirtschaftlichem Wert ist, die bei Berechnung der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung dem Anfangsvermögen des erwerbenden Ehegatten hinzuzurechnen ist.

Für die im Rahmen von § 5 Abs. 1 S. 1 ErbStG erforderliche Bestimmung, welche Vermögenswerte zum Anfangsvermögen eines Ehegatten gehören, ist vorbehaltlich von § 5 Abs. 1 S. 2 - 5 ErbStG allein die Zivilrechtslage ausschlaggebend. Der durch den Tod der Mutter entstandene Pflichtteilsanspruch ist im Anfangsvermögen der Erblasserin – wie vom FA durchgeführt – zu berücksichtigen und der fiktive Zugewinnausgleich entsprechend zu berechnen. Dass der Pflichtteilsanspruch beim Tod der Erblasserin bereits verjährt war, steht einer Hinzurechnung zu ihrem güterrechtlichen Anfangsvermögen entgegen der Auffassung des Klägers nicht entgegen. Zum Zeitpunkt des Todes der Mutter ist der Pflichtteilsanspruch nach § 2317 Abs. 1 BGB als Vollrecht im Vermögen der Erblasserin entstanden. Der spätere Eintritt der Verjährung wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Erwerbs zurück. Im Todeszeitpunkt der Erblasserin war der Pflichtteilsanspruch zwischen den Beteiligten unstreitig verjährt. Daher war er, wie durch das FA durchgeführt, weder als (derivativer) Erwerb beim Kläger nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG noch bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs im Endvermögen der Erblasserin zu berücksichtigen.
 

1.3.Umsatzsteuer

Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung medizinischer Telefonberatung (Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil X-GmbH vom 05.03.2020 - C-48/19)
Auch telefonische Beratungen im Rahmen eines sog. Gesundheitstelefons können einen therapeutischen Zweck verfolgen und unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ fallen.

Telefonische Beratungen im Rahmen von Patientenbegleitprogrammen können Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sein, wenn diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation nachgewiesen einen therapeutischen Zweck erfüllen.

Für die nicht unter einen der Katalogberufe des § 4 Nr. 14 Bst. a UStG fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation entweder aus einer berufsrechtlichen Regelung oder daraus ergeben, dass die betreffenden heilberuflichen Leistungen in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden.

BFH v. 23.09.2020, XI R 6/20

§ 4 Nr. 14 Bst. a UStG befreit die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden“. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Bst. c MwStSystRL. Danach sind „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden“, steuerfrei.

Die Klägerin, eine GmbH, betrieb im Auftrag gesetzlicher Krankenkassen u. a. ein sog. Gesundheitstelefon zur Beratung von Versicherten in medizinischer Hinsicht. Die wurden durch Krankenschwestern und Arzthelfer erbracht, die größtenteils auch als „Gesundheitscoach“ ausgebildet waren. In ca. einem Drittel der Fälle wurde ein Arzt hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine Zweitmeinung erteilte. Das FA weigerte sich die Beratungsleistungen gem. § 4 Nr. 14 Bst. a S. 1 UStG von der Umsatzsteuer zu befreien.

Der BFH hat entschieden, dass telefonische Beratungen im Rahmen von Patientenbegleitprogrammen Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sein können, wenn diese Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation einen therapeutischen Zweck erfüllen.

Auch telefonische Beratungen im Rahmen eines sog. Gesundheitstelefons können einen therapeutischen Zweck verfolgen und unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ fallen. Telefonische Beratungen im Rahmen von Patientenbegleitprogrammen können Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sein, wenn diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation nachgewiesen einen therapeutischen Zweck erfüllen. Für die nicht unter einen der Katalogberufe des § 4 Nr. 14 Bst. a UStG fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation entweder aus einer berufsrechtlichen Regelung oder daraus ergeben, dass die betreffenden heilberuflichen Leistungen in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. Es obliegt nun dem FG, Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) zu den von der Klägerin mit dem Betrieb des Gesundheitstelefons erbrachten Leistungen zu treffen und diese gemäß den Rechtsgrundsätzen des EuGH-Urteils X-GmbH (EU:C:2020:169, Rz 31 bis 33) rechtlich einzuordnen.
 

1.4.Einkommensteuer

Klagebefugnis bei Feststellungsbescheid i. S. d. § 14 Abs. 5 KStG; Betriebsausgabenabzugsverbot für die sog. Bankenabgabe (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 13 EStG i.V.m. § 12 Abs. 2 RStruktFG a. F.)
Die Organgesellschaft einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft ist als Adressatin des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung des dem Organträger zuzurechnenden Einkommens beschwert und (ebenfalls) klagebefugt.

Das die Jahresbeiträge nach § 12 Abs. 2 RStruktFG a. F. (sog. Bankenabgabe) betreffende Betriebsausgabenabzugsverbot in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 13 EStG ist – jedenfalls für Beitragsjahre bis einschließlich 2014 – verfassungsgemäß und mit Unionsrecht vereinbar.

BFH v. 01.07.2020, XI R 20/18

Hinweis:
Nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 13 EStG sind die Jahresbeiträge nach § 12 Abs. 2 RStruktFG Betriebsausgaben, die den Gewinn nicht mindern dürfen. Mit dem RStruktFG verfolgte der Gesetzgeber die Absicht, den Bankenbereich nach der Finanzmarktkrise des Jahres 2009 zu stabilisieren. Es sah die Einrichtung eines die Restrukturierungsmaßnahmen finanziell abstützenden Restrukturierungsfonds vor, dessen finanzielle Grundlage durch eine jährliche Abgabe der Banken geschaffen werden sollte. Die Höhe der Jahresbeiträge richtete sich nach den sog. systemischen Risiken der bankspezifischen Tätigkeit des einzelnen Kreditinstituts. Das zugleich eingeführte Betriebsausgabenabzugsverbot sollte die Wirkung der sog. Bankenabgabe, die ab dem Jahr 2015 unionsrechtlich verankert ist, verstärken.

Im Streitfall setzte die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung gegenüber der Bank einen Jahresbeitrag nach § 12 Abs. 2 RStruktFG a. F. für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.12.2014 bestandskräftig fest. Das Finanzamt behandelte diesen Aufwand nicht als gewinnmindernd.

Der BFH hat entschieden, dass das die Jahresbeiträge nach § 12 Abs. 2 des Restrukturierungsfondsgesetzes (RStruktFG) a. F. (sog. Bankenabgabe) betreffende Betriebsausgabenabzugsverbot in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 13 EStG jedenfalls für Beitragsjahre bis einschließlich 2014 verfassungsgemäß und mit Unionsrecht vereinbar ist.

Der BFH wies die Revision der Klägerin als unbegründet zurück. Das Betriebsausgabenabzugsverbot in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 13 EStG sei nicht verfassungswidrig. Es verstoße insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar schränke das Betriebsausgabenabzugsverbot das sog. objektive Nettoprinzip, d. h. die steuersystematische Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass betrieblich veranlasste Aufwendungen bei der Einkommensermittlung abzugsfähig sein müssen, ein. Diese Einschränkung sei jedoch sachlich hinreichend begründet. Denn das Betriebsausgabenabzugsverbot sei von der erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen, eine steuerliche Zusatzbelastung für risikobehaftete Geschäftsmodelle der Banken zu schaffen. Die Jahresbeiträge i. S. d. § 12 Abs. 2 S. 1 RStruktFG a. F. hätten auch dazu gedient, risikobehaftete Geschäftsmodelle zu minimieren. Der Lenkungsdruck wäre allerdings entschärft worden, hätten die Kreditinstitute die Jahresbeiträge durch eine steuerliche Entlastung teilweise gegenfinanzieren können. Nach dem Urteil des BFH ist der mit dem Betriebsausgabenabzugsverbot verfolgte Lenkungszweck auch gleichheitsgerecht und verhältnismäßig ausgestaltet.


Erste Tätigkeitsstätte eines Postzustellers nach neuem Reisekostenrecht
Der Zustellpunkt (Zustellzentrum), dem ein Postzusteller zugeordnet ist und an dem er arbeitstäglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten (z. B. Sortiertätigkeiten, Abschreibpost, Abrechnungen) ausübt, ist erste Tätigkeitsstätte.

BFH v. 30.09.2020, VI R 10/19

Hinweis:
Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist gem. § 9 Abs. 4a S. 1 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale nach Maßgabe des Satzes 3 anzusetzen. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 S. 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Der Kläger ist bei der Deutschen Post als Zusteller beschäftigt. Streitig ist, ob bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

Der BFH hat entschieden, dass das Zustellungszentrum, dem ein Poststeller zugeordnet ist und an dem er arbeitstäglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten ausübt, die erste Tätigkeitsstätte ist.

Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 S. 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Entgegen der Ansicht des Klägers ist er dem Zustellpunkt R dauerhaft zugeordnet. Schließlich ist der Kläger am Zustellpunkt auch in dem erforderlichen Umfang tätig geworden. Als Postzusteller hatte er nach den bindenden Feststellungen des FG im Zustellpunkt arbeitstäglich Tätigkeiten auszuführen, die ebenso zum Berufsbild eines Postzustellers gehören wie das Zustellen der Briefe an die Kunden der Deutschen Post im Zustellbezirk. Das FG hat zutreffend darauf abgestellt, dass diese Tätigkeiten im Zustellpunkt als ortsfester betrieblicher Einrichtung Teil der Berufstätigkeit eines Postzustellers sind.


Teilweise inhaltsgleich mit BFH v. 30.09.2020, VI R 10/19 – Erste Tätigkeitsstätte eines Rettungsassistenten nach neuem Reisekostenrecht
Die Rettungswache, der ein Rettungsassistent zugeordnet wird, ist dessen erste Tätigkeitsstätte, wenn er dort arbeitstäglich vor dem Einsatz auf dem Rettungsfahrzeug vorbereitende Tätigkeiten vornimmt (z. B. Überprüfung des Rettungsfahrzeugs in Bezug auf Sauberkeit und ordnungsgemäße Bestückung mit Medikamenten und sonstigem (Verbrauchs-)Material, im Bedarfsfall Reinigung sowie Bestückung des Fahrzeugs mit fehlenden Medikamenten und fehlendem (Verbrauchs-)Material).

BFH v. 30.09.2020, VI R 11/19

Hinweis:
Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist gem. § 9 Abs. 4a S. 1 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale nach Maßgabe des Satzes 3 anzusetzen. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 S. 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Der Kläger ist als Sanitäter im Rettungsdienst angestellt. Der Arbeitgeber betrieb in X drei Rettungswachen. Für alle Standorte bestand eine 24-Stunden-Einsatzbereitschaft. Der Kläger begann seinen Schichtdienst regelmäßig in der Hauptwache in der Y-Straße. Der Kläger stempelte seine Arbeitszeiten nicht. Er kam ca. 15 bis 20 Minuten vor Schichtbeginn in die Hauptwache und legte seine Dienstkleidung an. Sobald von der Rettungsleitstelle Einsatzdaten übermittelt wurden, fuhr der Kläger im Rettungsfahrzeug von der Hauptwache zum Einsatz. In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger Mehraufwendungen für Verpflegung bei Auswärtstätigkeit als Werbungskosten geltend. Er gab an, die Abwesenheitszeit habe an allen Arbeitstagen mehr als acht Stunden betragen, so dass eine Verpflegungspauschale von 12 € pro Tag anzusetzen sei. Bei der Ermittlung der Abwesenheitszeiten bezog der Kläger die Fahrzeiten von jeweils einer Stunde zwischen seiner Wohnung und der Hauptwache ein.

Der BFH hat entschieden, dass die Rettungswache, der ein Rettungssanitäter zugeordnet ist, dessen erste Tätigkeitsstätte ist, wenn er dort arbeitstäglich vor dem Einsatz auf dem Rettungsfahrzeug vorbereitende Tätigkeiten vornimmt.

Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Bei der Hauptwache handelte es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers des Klägers. Entgegen der Ansicht des Klägers war dieser der Hauptwache auch dauerhaft zugeordnet. Die Zuordnung des Klägers zur Hauptwache erfolgte auch unbefristet. Schließlich wurde der Kläger in der Hauptwache auch in einem noch hinreichenden Umfang tätig. Er hatte als Rettungsassistent nach den bindenden Feststellungen des FG auch in der Hauptwache arbeitstäglich Tätigkeiten auszuführen, die ebenso zum Berufsbild eines Rettungsassistenten gehören wie die Versorgung der Patienten vor Ort. Ein Ansatz der begehrten Mehraufwendungen für Verpflegung kommt daher nicht in Betracht.


Ertragsteuerrechtliche Beurteilung der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Wirtschaftsgütern über eine Internetplattform
Werden privat und ohne Veräußerungsabsicht angeschaffte bewegliche Wirtschaftsgüter veräußert, kann dies auch dann der letzte Akt der privaten Vermögensverwaltung sein, wenn die Veräußerung über einen langen Zeitraum und in zahlreichen Einzelakten ausgeführt wird. Allein die Verwendung einer auch von gewerblichen Händlern genutzten Internetplattform führt zu keinem anderen Ergebnis.

BFH v. 17.06.2020, X R 18/19

Hinweis:
Eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, ist Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist (§ 15 Abs. 2 S. 1 EStG).

Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Über seinen Internet-Shop bot er Modelleisenbahnen und Zubehörartikel sowie Reparaturen und Umbauten an Modellen an. Eine Umsatzsteuersonderprüfung ergab, dass der Kläger weitere Umsatzerlöse in den Streitjahren aus ca. 1500 Verkäufen über die Internetplattform „eBay“ im Rahmen seiner Gewinnermittlung nicht berücksichtigt hatte. Der Kläger behauptete, die über eBay verkauften Modelleisenbahnen stammten aus einer privat aufgebauten Sammlung, die er in seinem Wohnhaus aufbewahrt habe.

Diese Modelleisenbahnen seien nicht zum Zwecke eines späteren Verkaufs erworben worden. Er habe die Sammlung jedoch verkaufen müssen, um seinen im Jahr 2010 eröffneten Internet-Shop zu finanzieren.

Der BFH hat entschieden, dass die Veräußerung von privat und ohne Veräußerungsabsicht angeschafften beweglichen Wirtschaftsgütern auch dann der letzte Akt der privaten Vermögensverwaltung sein kann, wenn die Veräußerung über einen langen Zeitraum und in zahlreichen Einzelakten ausgeführt wird.

Dem FG ist bei seiner Entscheidungsfindung ein materiell-rechtlicher Fehler unterlaufen. Weil es auf die Frage der Herkunft der veräußerten Modelleisenbahnen in entscheidungserheblicher Weise ankommt, hätte es nicht schlicht unterstellen dürfen, dass diese Gegenstände aus einer privaten Sammlung des Klägers stammten. Das FG im zweiten Rechtsgang tatsächliche Feststellungen nachholen müssen, ob der Kläger die verkauften Modelleisenbahnen bereits ursprünglich für seinen Gewerbebetrieb oder aber zunächst für die private Sammlung erworben hat. Ergeben die Feststellungen im zweiten Rechtsgang, dass die veräußerten Gegenstände ursprünglich aus einer privaten Sammlung des Klägers herrührten, hat das FG weiter zu prüfen, ob diese Gegenstände dennoch in der Folgezeit Teil des Betriebsvermögens geworden sein könnten. Sollte dies nicht der Fall sein, hat das FG erneut zu würdigen, ob die Verkaufstätigkeit des Klägers über eBay für sich betrachtet möglicherweise als gewerblich anzusehen ist, was allerdings nicht allein aufgrund des langen Veräußerungszeitraums und der zahlreichen Verkäufe angenommen werden könnte. Wären die Modelleisenbahnen zu keiner Zeit dem Betriebsvermögen des Gewerbebetriebs „Internet-Shop“ zuzuordnen gewesen, schließt sich hieran die Frage an, ob die eBay-Verkaufstätigkeit des Klägers für sich isoliert betrachtet als gewerblich anzusehen wäre. Bejahendenfalls (so die bisherige Würdigung des FG) ergäben sich dieselben steuerlichen Folgen wie in der vorgenannten Variante; die privat erworbenen Modelleisenbahnen wären mit Aufnahme der Verkaufsaktivitäten ins Betriebsvermögen eingelegt worden. Sollte die isolierte eBay-Verkaufstätigkeit des Klägers schließlich nicht als gewerblich qualifiziert werden, wäre sie ertragsteuerlich irrelevant. Ein privater Sammler kann aufgrund anderer Gesichtspunkte „wie ein Händler“ aktiv werden. Die Verwendung einer auch von gewerblichen Händlern benutzten Internetplattform allein reicht indes nicht aus. Eine solche ermöglicht es auch privaten Nutzern, auf einfache Weise private Gegenstände zu veräußern. Eine besondere Marktkenntnis oder -durchdringung, wie sie der Weiterverkäufer bzw. gewerbsmäßige Händler sicherstellt, verschafft nun auch der Anbieter der Internetplattform.
 

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