Rechtsprechung KW 49 - 2020

1.Rechtsprechung

1.1.Einkommensteuer

Steuerbarkeit und -pflicht eines Gastarztstipendiums
Leistungen aus einem Stipendium, das einem ausländischen Mediziner (Gastarzt) von seinem Heimatland für dessen Facharztweiterbildung in Deutschland gewährt wird, können steuerbare wiederkehrende Bezüge gem. § 22 Nr. 1 S. 1 sowie S. 3 Bst. b EStG sein.

Voraussetzung hierfür ist, dass die Weiterbildung im Rahmen eines Dienst- oder diesem vergleichbaren Rechtsverhältnisses erfolgt, die Leistungen aus dem Stipendium an die Erfüllung der sich aus einem solchen Rechtsverhältnis ergebenden Verpflichtungen anknüpfen und darüber hinaus die fehlende Entlohnung aus jenem Rechtsverhältnis ausgleichen sollen. In diesem Fall stellt sich das Stipendium aus Sicht des Stipendiaten zumindest auch als Gegenleistung für seine im Rahmen der Weiterbildung erbrachte Tätigkeit dar.

Die Steuerbefreiung eines solchen Stipendiums nach § 3 Nr. 44 EStG ist ausgeschlossen, wenn der ausländische Gastarzt im Rahmen eines Dienstverhältnisses weisungsgebunden zur Ausübung ärztlicher Betätigungen verpflichtet ist.

BFH v. 08.07.2020, X R 6/19

Hinweis:
Zu den sonstigen Einkünften i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EStG zählen gem. § 22 Nr. 1 S. 1 Hs. 1 EStG Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie nicht zu den in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 6 EStG bezeichneten Einkunftsarten gehören. Nach S. 3 Bst. b der Vorschrift zählen hierzu auch Einkünfte aus Zuschüssen und sonstigen Vorteilen, die als wiederkehrende Bezüge gewährt werden.

Die Klägerin absolvierte nach ihrem Medizinstudium in Libyen an einer deutschen Universitätsklinik eine Weiterbildung zur Fachärztin. Während dieser Zeit hatte sie einen Gastarztstatus und war einer Assistenzärztin vergleichbar tätig. Sie wurde von der Klinik vereinbarungsgemäß nicht entlohnt, sondern erhielt zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten aus Libyen monatliche Stipendien. Das Finanzamt besteuerte die Leistungen als sonstige Einkünfte gem. § 22 Nr. 1 EStG. Das FG meinte hingegen, die Stipendien seien keine steuerbaren Einnahmen und gab der Klägerin Recht.
Der BFH hat entschieden, dass Stipendien, die einem ausländischen Gastarzt von seinem Heimatland für eine Facharztweiterbildung in Deutschland gezahlt werden, der Einkommensteuer unterliegen können.

Stipendien oder Studienbeihilfen können – so der BFH – einkommensteuerbare wiederkehrende Bezüge i. S. d. § 22 Nr. 1 EStG sein. Dies setze voraus, dass sie keiner vorrangigen Einkunftsart (z. B. Arbeitslohn) zuzuordnen seien und nicht freiwillig oder aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht vom Stipendiengeber gezahlt würden. An einer solchen Freiwilligkeit fehle es, wenn den Zahlungen eine wirtschaftliche Gegenleistung des Stipendiaten gegenüberstehe. Im Streitfall seien zwar weder die Facharztweiterbildung an sich noch die Erwartung, die Klägerin werde nach ihrer Weiterbildung als Fachärztin in Libyen tätig sein, als Gegenleistung für das Stipendium anzusehen. Der BFH hob allerdings hervor, dass die Facharztweiterbildung in Deutschland grundsätzlich im Rahmen einer vergüteten ärztlichen Berufstätigkeit erfolge. Sollten daher die Leistungen aus einem Stipendium an die sich aus der Gastarzttätigkeit ergebenden Verpflichtungen anknüpfen und auch die fehlende Entlohnung ausgleichen, stelle sich das Stipendium zumindest auch als Gegenleistung für die Tätigkeit dar und wäre steuerbar. Dies gelte auch, wenn die Tätigkeit nicht dem Stipendiengeber, sondern einem Dritten (Klinik) zugutekomme. Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 44 EStG sei ausgeschlossen, wenn der Gastarzt weisungsgebunden zur Ausübung ärztlicher Betätigungen verpflichtet sei.

Für eine abschließende Entscheidung fehlten dem BFH ausreichende tatsächliche Feststellungen sowohl zur Ausgestaltung des zwischen der Universitätsklinik und der Klägerin bestehenden Rechtsverhältnisses als auch zu den Bedingungen ihres Stipendiums. Diese hat das FG nunmehr im zweiten Rechtsgang nachzuholen.


Zur Tarifermäßigung bei Auszahlung des Rückkaufswertes einer Versicherung der betrieblichen Altersversorgung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG
Die (Einmal-)Zahlung des Rückkaufswertes einer Versicherung der betrieblichen Altersversorgung erfüllt die Tatbestandsmerkmale „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten“ i. S. d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG.

Für die Bestimmung der Außerordentlichkeit dieser Einkünfte ist eine wertende Betrachtung aller Versicherungsverträge aus dem Bereich Direktversicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds vorzunehmen, die unter Geltung des AltEinkG durch eine einmalige Kapitalabfindung bei Rentenbeginn oder vorzeitig durch Kündigung bzw. durch sonstige Vertragsauflösung mit der Folge einer Auszahlung des Rückkaufswertes beendet worden sind.

BFH v. 06.05.2020, X R 24/19

Hinweis:
Gem. § 34 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 1 EStG kommen Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten als außerordentliche Einkünfte in Betracht. Mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 Hs. 2 EStG).

Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem erhielt er von einer Pensionskasse eine Einmalzahlung, die das FA als sonstige Einkünfte in vollem Umfang gem. § 22 Nr. 5 S. 1 EStG der Besteuerung unterwarf. Der Einmalzahlung lagen zwei Rentenversicherungsverträge zugrunde, die die früheren Arbeitgeber des Klägers in den Jahren 2002 und 2006 im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge als Versicherungsnehmer bei der Pensionskasse abgeschlossen hatten und die durch Bruttoentgeltumwandlung finanziert wurden. Die monatlichen Beiträge waren gem. § 3 Nr. 63 EStG als steuerfrei behandelt worden. Da die Einmalzahlung fehlerhaft im bescheinigten Bruttoarbeitslohn enthalten war, minderte das FA im Rahmen des Einspruchsverfahrens den Bruttoarbeitslohn dementsprechend. Dem weiteren Begehren des Klägers, die Einmalzahlung ermäßigt nach der sog. Fünftel-Regelung gem. § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern, entsprach es nicht.

Der BFH hat entschieden, dass die Einmalzahlung des Rückkaufwertes einer Versicherung der betrieblichen Altersversorgung nicht die Tatbestandsmerkmale „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten“ i. S. d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfüllt. Die Voraussetzung der Mehrjährigkeit ist erfüllt, wenn die früheren Beitragszahlungen sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckten und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfassten. Hiernach kann die einmalige Kapitalabfindung eines Anspruchs auf laufende Altersbezüge grundsätzlich als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten angesehen werden. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erfordert jedoch sowohl nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch nach dem Einleitungssatz des § 34 Abs. 2 EStG zusätzlich die „Außerordentlichkeit“ dieser Einkünfte. Die Annahme des FG, die Zahlung des Rückkaufswertes sei als außerordentlich i. S. dieser Vorschrift anzusehen, wird durch die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen nicht getragen. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen werden im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein. Für die vorzunehmende wertende Beurteilung der Einmalzahlung ist auf sämtliche Versicherungsverträge abzustellen, die zu gem. § 22 Nr. 5 S. 1 EStG zu versteuernden Leistungen aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen führen und die während der Geltung der im Streitjahr maßgebenden Rechtslage (d. h. ab Inkrafttreten des AltEinkG am 01.01.2005 bis gegenwärtig) durch eine einmalige Kapitalabfindung bei Rentenbeginn oder vorzeitig durch Kündigung bzw. durch sonstige Vertragsauflösung mit der Folge einer Auszahlung des Rückkaufswertes beendet worden; nicht einzubeziehen sind Altersvorsorgeverträge.

Mangels statistischen Materials kann nicht beurteilt werden, ob es nur in atypischen Einzelfällen zur Kapitalabfindung bei Rentenbeginn bzw. zur vorzeitigen Beendigung von Versicherungsverträgen aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung durch Kündigung oder sonstige Aufhebung verbunden mit einer Auszahlung des Rückkaufswertes kommt oder nicht. Dies wird das FG festzustellen haben.
 

2.Verwaltungsanweisungen

2.1.Bilanzsteuerrecht

Beurteilung vereinnahmter und verausgabter Pfandgelder
Das BMF hat zur bilanzsteuerrechtlichen Beurteilung vereinnahmter und verausgabter Pfandgelder Stellung genommen.

BMF v. 08.12.2020

Mit Urteil v. 09.01.2013, I R 33/11, BStBl. 2019 II S. 150 hat der BFH zur bilanzsteuerrechtlichen Behandlung von Pfandgeldern bei einem Mineralbrunnenbetrieb entschieden.
  • Nehmen Teilnehmer eines Mehrwegsystems mit Brunneneinheitsflaschen und ‑kästen mehr Leergut von ihren Kunden zurück als sie mit dem Vollgut zuvor an diese ausgegeben hatten (sog. Mehrrücknahmen), sind deshalb weder Anschaffungskosten noch gegen die Kunden gerichtete Forderungen zu aktivieren. In Betracht kommt jedoch die Aktivierung eines Nutzungsrechts, dessen Wert sich danach bemisst, inwieweit in Folge der Mehrrücknahmen die jeweilige Miteigentumsquote des Teilnehmers an dem Leergutpool überschritten wird.
  • Für die Verpflichtung, bei Rückgabe des Individualleerguts und der Brunneneinheitsflaschen und -kästen die erhaltenen Pfandgelder an die Kunden zurückzuzahlen, ist eine Verbindlichkeit zu passivieren. Die Verbindlichkeit kann wegen Bruch oder Schwund des Leerguts, bei den Brunneneinheitsflaschen und -kästen darüber hinaus aber auch der Höhe nach zu mindern sein, wenn aufgrund der eigentumsunabhängigen Zirkulation des Leerguts erfahrungsgemäß davon auszugehen ist, dass ein bestimmter Teil an andere Poolmitglieder zurückgegeben wird.
Aus Vereinfachungsgründen wird es nicht beanstandet, wenn der Steuerpflichtige Einheits- leergut weiterhin wie Individualleergut bilanziell abbildet und auf der Passivseite der Bilanz entsprechend verfährt. Hat der Steuerpflichtige in einem Wirtschaftsjahr, das nach der Ver- öffentlichung dieses BMF-Schreibens endet, auf die Ausübung dieses Wahlrechtes unwider- ruflich verzichtet, ist er daran auch für die Zukunft gebunden. Die Entscheidung ist einheitlich für den gesamten Betrieb zu treffen.
 

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