Rechtsprechung KW 48 - 2020

1.Rechtsprechung

1.1.Einkommensteuer

Erste Tätigkeitsstätte bei Auslands(praxis)semestern
Sieht die Studienordnung einer Universität vor, dass Studierende einen Teil des Studiums an einer anderen (weiteren) Hochschule (hier Auslandssemester) absolvieren können bzw. müssen, wird an der anderen Hochschule keine weitere erste Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 S. 8 EStG begründet.

Studierende können daher Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen, die durch den Besuch der anderen Hochschule veranlasst sind, nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5a und Abs. 4a EStG als vorab entstandene Werbungskosten geltend machen.

Entsprechendes gilt in der Regel auch für Studierende, die im Rahmen ihres Studiums ein Praxissemester oder Praktikum ableisten können bzw. müssen und dabei ein Dienstverhältnis begründen.

BFH v. 14.05.2020, VI R 3/18

Hinweis:
Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG, liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind.

Die Klägerin nahm nach einer abgeschlossenen Ausbildung ein Studium an einer inländischen Hochschule auf. Die Studienordnung der Hochschule schreibt für den Studiengang vor, dass die/der Studierende das Studium für zwei Semester an einer ausländischen Partneruniversität zu absolvieren hat. Während des Auslandsstudiums bleibt die/der Studierende an der inländischen Hochschule eingeschrieben. Die Klägerin beantragte für die Zeit des Auslandsstudiums die Anerkennung der dadurch bedingten zusätzlichen Unterkunftskosten sowie der Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten. Das Finanzamt lehnte dies ab, da die Auslandsuniversität die erste Tätigkeitsstätte der Klägerin sei und daher die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung – vergleichbar einem Arbeitsnehmer – nur im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten angesetzt werden könnten. Eine solche liege aber unstreitig nicht vor.

Der BFH hat entschieden, dass Studierende Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen eines Auslandsemester als vorab entstandene Werbungskosten geltend machen können.

Anders als das Finanzgericht gab der BFH der Klage der Studentin statt. Sehe die Studienordnung wie im Fall der Klägerin vor, dass Studierende einen Teil des Studiums an einer ausländischen Hochschule absolvieren können bzw. müssen, bleibe die inländische Hochschule, jedenfalls soweit die/der Studierende dieser auch für die Zeiten des Auslandsstudiums zugeordnet bleibe, die erste Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 S. 8 EStG. Kosten für Unterkunft und Verpflegungsmehraufwand im Ausland seien deshalb als vorweggenommene Werbungskosten steuerlich zu berücksichtigen, auch wenn keine doppelte Haushaltsführung vorliege. Entsprechendes gelte bei Praxissemestern. Von dieser Rechtsprechung profitieren allerdings nur Studierende, die bereits eine Erstausbildung (Berufsausbildung oder eine Bachelorstudiengang) abgeschlossen haben. Aufwendungen für die erste Ausbildung (Berufsausbildung oder Studium) sind hingegen vom Werbungskostenabzug ausgenommen (§ 9 Abs. 6 EStG). Der Aufwand wird nur im Rahmen des Sonderausgabenabzugs berücksichtigt und wirkt sich steuerlich nur aus, wenn die/der Studierende im Jahr der Aufwandsentstehung über steuerpflichtige Einkünfte verfügt.
 

1.2.Bilanzsteuerrecht

Zur Passivierung von Verbindlichkeiten bei Rangrücktritt
Eine Rangrücktrittserklärung, die die Erfüllung der Verpflichtung nicht nur aus zukünftigen Gewinnen und Einnahmen, sondern auch aus „sonstigem freien Vermögen“ vorsieht, löst selbst dann weder handels- noch steuerbilanziell ein Passivierungsverbot aus, wenn der Schuldner aufgrund einer fehlenden operativen Geschäftstätigkeit aus der Sicht des Bilanzstichtages nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen, und eine tatsächliche Belastung des Schuldnervermögens voraussichtlich nicht eintreten wird.

BFH v. 19.08.2020, XI R 32/18

Hinweis:
Die Klägerin, eine GmbH, hatte ihre operative Geschäftstätigkeit mindestens seit dem Jahr 2006 mit Ausnahme der Anmietung und Weitervermietung ihres Betriebsgeländes eingestellt und diese nach eigenen Angaben erst im Jahr 2017 wieder aufgenommen. Alleingesellschafterin ist B. 2007 verzichtete B gegenüber der Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt eine bilanzielle Überschuldung aufwies, auf Forderungen in Höhe von und gab zugleich eine Rangrücktrittserklärung ab: „Zur Abwendung der Überschuldung bei Ihrer Gesellschaft werden wir mit unseren Forderungen hinter die Forderungen aller anderen gegenwärtigen und zukünftigen Gläubiger in der Weise zurücktreten, dass die Forderungen nur aus sonst entstehenden Jahresüberschüssen, einem Liquidationsüberschuss oder aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft übersteigenden freien Vermögen zu bedienen sind …“. Nach einer Außenprüfung gingen die Prüfer davon aus, dass aufgrund der fehlenden operativen Geschäftstätigkeit sowie der Vermögenslosigkeit der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mit einer Rückzahlung der Verbindlichkeiten gegenüber B zu rechnen sei. Die Klägerin sei durch die bestehende Verpflichtung wirtschaftlich nicht belastet.

Der BFH hat entschieden, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung, die die Erfüllung der Verpflichtung auch aus „sonstigem freien Vermögen“ vorsieht, selbst dann kein Passivierungsverbot auslöst, wenn der Schuldner aufgrund fehlender Geschäftstätigkeit voraussichtlich nicht in der Lage ist, freies Vermögen zu schaffen.

Das wirtschaftliche Unvermögen des Schuldners ist nach Ansicht des BFH unerheblich; vielmehr kommt es allein auf den rechtlichen Gehalt der Durchsetzungssperre an. Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG setzt dabei voraus, dass sich der Anspruch des Gläubigers verabredungsgemäß nur auf künftiges Vermögen des Schuldners und damit nicht auf am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen bezieht. Etwas anderes ergibt sich im Streitfall nicht daraus, dass freies Vermögen mit Ausnahme einer Forderung am maßgeblichen Bilanzstichtag weder vorhanden gewesen ist noch – wie das FA meint – die konkrete Möglichkeit bestanden habe, freies Vermögen zu schaffen. § 5 Abs. 2a EStG stellt nicht darauf ab, ob freies Vermögen zum maßgeblichen Bilanzstichtag bereits vorhanden ist oder künftig geschaffen werden kann. Es reicht aus, dass auf das „freie“ Vermögen Bezug genommen wird, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe dieses am zu beurteilenden Bilanzstichtag tatsächlich vorhanden ist. Der dahingehende Zukunftsbezug, dass das in Bezug genommene Vermögen erst noch erwirtschaftet werden muss, wäre zwar faktisch, nicht jedoch rechtlich gegeben.
 

1.3.Sonstiges

Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheids nach Kaufpreisherabsetzung aufgrund vertraglich vereinbarter Anpassungsklausel
Die Herabsetzung der Gegenleistung i. S. d. § 16 Abs. 3 GrEStG ermöglicht keine Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.

Eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG auf einen im Kaufvertrag vereinbarten, einseitig durchsetzbaren Anspruch auf Herabsetzung der Gegenleistung ist nicht möglich.

BFH v. 22.07.2020, II R 32/18

Hinweis:
Wird die Gegenleistung für das Grundstück herabgesetzt, so wird auf Antrag die Steuer entsprechend niedriger festgesetzt oder die Steuerfestsetzung geändert, wenn die Herabsetzung innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfindet (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) oder wenn die Herabsetzung (Minderung) auf Grund des § 437 BGB vollzogen wird.

Mit notariell beurkundetem Vertrag erwarb die Klägerin von einer GmbH Ackerflächen, Grünland, Umland, Wald und sonstige Flächen zu einem Gesamtkaufpreis von ca. 1.000.000 €. Aufgrund nachträglicher Kaufpreissenkung beantragte die Klägerin die Änderung der festgesetzten Grunderwerbsteuer. Das FA lehnte diesen ab, da die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 GrEStG nicht erfüllt seien.

Der BFH hat entschieden, dass eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG auf einen im Kaufvertrag vereinbarten, einseitig durchsetzbaren Anspruch auf Herabsetzung der Gegenleistung nicht möglich ist.

Wäre ein Ereignis, das nach § 16 Abs. 1 - 3 GrEStG die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet, namentlich die Herabsetzung der Gegenleistung, ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, liefe § 16 Abs. 4 GrEStG ausnahmslos leer. Denn mit dem Ende des Kalenderjahres einer Kaufpreisherabsetzung i. S. d. § 16 Abs. 3 GrEStG würde dann die vierjährige Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO erneut beginnen. Damit bedürfte es des § 16 Abs. 4 GrEStG nicht, wonach die Festsetzungsfrist (§§ 169 - 171 AO) lediglich nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Eintritt des Ereignisses endet. Die Korrekturvorschrift des § 16 Abs. 3 GrEStG ist bei Kaufpreisminderungen im Gegensatz zu unbeschränkter Korrektur bei Kaufpreiserhöhungen nach § 9 GrEStG zeitlich und inhaltlich stark eingeschränkt. So berechtigt eine einvernehmliche nachträgliche Herabsetzung unabhängig aus welchem Rechtsgrund oder Motiv nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nur innerhalb einer zweijährigen Frist nach Steuerentstehung zur Änderung der Grunderwerbsteuer. Dagegen ist die Änderung nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG zeitlich – abgesehen vom Antragserfordernis – nicht eingeschränkt, jedoch inhaltlich auf den gesetzlichen Minderungsanspruch nach § 437 BGB begrenzt.


Grunderwerbsteuerbefreiung bei Übergang von einer Gesamthand – Maßstäbe der Missbrauchsprüfung
§ 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG bezweckt die Abwehr missbräuchlicher Gestaltungen durch Verbindung des grundsätzlich steuerfreien Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand mit der steuerfreien Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen. Die Vorschrift ist teleologisch zu reduzieren, soweit abstrakt keine Steuer zu vermeiden war. Auf einen konkreten Missbrauch im Einzelfall kommt es nicht an.

Abstraktes Missbrauchspotential fehlt, wenn der Wechsel im Gesellschafterbestand ausnahmsweise grunderwerbsteuerbar war. § 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG ist insoweit nicht anzuwenden.

Es ist nicht maßgebend, ob die Grunderwerbsteuer festgesetzt und entrichtet wurde.

BFH v. 25.08.2020, II R 23/18

Hinweis:
Geht ein Grundstück von einer Gesamthand in das Alleineigentum einer an der Gesamthand beteiligten Person über, so wird die Steuer nach § 6 Abs. 2 S. 1 GrEStG in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Erwerber am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Nach § 6 Abs. 2 S. 2 GrEStG gilt dies entsprechend, wenn ein Grundstück bei der Auflösung der Gesamthand in das Alleineigentum eines Gesamthänders übergeht. Nach § 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG gelten die Vorschriften der Abs. 1 - 3 insoweit nicht, als ein Gesamthänder innerhalb von fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat.

Durch notarielle Verträge vom 22.2.2010 erwarb die Klägerin sämtliche Kommanditanteile an der KG sowie sämtliche Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH. Nachdem für den Kaufvertrag vom 22.02.2010 gesonderte Feststellungen nach § 17 GrEStG und des Grundbesitzwerts ergangen waren, setzte das FA gegen die KG wegen des Anteilserwerbs der Klägerin an der KG Grunderwerbsteuer fest. Aufgrund eines Inolvenzplanverfahrens wurde die Steuer nicht entrichtet. Nach Eingang eines notariellen Grundbuchberichtigungsantrags wegen des Übergangs des Gesellschaftsvermögens der KG am 30.09.2010 auf die Klägerin nach § 738 BGB setzte das FA für diesen Vorgang unter Berufung auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der Klägerin Grunderwerbsteuer für eine auf den 30.09.2010 datierte Anwachsung fest.

Der BFH hat entschieden, dass § 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG teleologisch zu reduzieren ist, soweit abstrakt keine Steuer zu vermeiden war. Ein Missbrauchspotential fehlt, wenn der Wechsel im Bestand der Gesellschafter ausnahmsweise grunderwerbsteuerbar war.

§ 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG ist infolge teleologischer Reduktion im Streitfall nicht anzuwenden. Die Klägerin hat am 22.02.2010 sämtliche Geschäftsanteile der KG erworben. Dieser Vorgang war nach § 1 Abs. 2a GrEStG steuerbar. Das bedeutet, dass die Überführung der Grundstücke in den grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnungsbereich der Klägerin bereits der Grunderwerbsteuer unterlag. Schwierigkeiten bei Festsetzung und Erhebung dieser Grunderwerbsteuer sind für die Reichweite des § 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG nicht von Bedeutung.
 
 

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