Rechtsprechung KW 33 - 2020

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Fehlende Gemeinnützigkeit bei unverhältnismäßig hohen Geschäftsführervergütungen
Zur Feststellung von Mittelfehlverwendungen i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO durch überhöhte Vergütungen an den Geschäftsführer einer gemeinnützigen Körperschaft sind die Grundsätze der vGA zu berücksichtigen. Maßstab des externen Fremdvergleichs sind dabei die für vergleichbare Tätigkeiten auch von Wirtschaftsunternehmen gewährten Vergütungen.

Gewährt die Körperschaft ihrem Geschäftsführer eine Versorgungszusage, die über eine Unterstützungskasse erfüllt wird, ist der für den Geschäftsführer liegende Vorteil in Höhe der fiktiven Jahresnettoprämie in die Gesamtausstattung einzubeziehen.

Ein Entzug der Gemeinnützigkeit ist bei kleineren Verstößen gegen das Mittelverwendungsgebot des § 55 AO unverhältnismäßig (Bagatellvorbehalt).

BFH v. 12.03.2020, V R 5/17

Hinweis:
Nach § 52 Abs. 1 S. 1 AO muss die Tätigkeit der Körperschaft auf die selbstlose Förderung der Allgemeinheit gerichtet sein. Eine Förderung geschieht selbstlos, wenn durch sie nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt und wenn die übrigen in § 55 Abs. 1 AO genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Dabei regelt § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AO, dass die Mitglieder oder Gesellschafter keine Gewinnanteile und in ihrer Eigenschaft als Mitglieder auch keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten dürfen (sog. Verbot der Mitgliederbegünstigung), während § 55 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 AO hierzu ergänzend und erweiternd bestimmt, dass die Körperschaft keine Person durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen darf (sog. Drittbegünstigungsverbot).

Im Streitfall hatte das Finanzamt einer gGmbH, die sich in der psychiatrischen Arbeit engagiert und in erster Linie Leistungen im Bereich der Gesundheits- und Sozialbranche erbringt, wegen unangemessen hoher Geschäftsführerbezüge die Gemeinnützigkeit für die Jahre 2005 - 2010 versagt. Das FG hatte die dagegen erhobene Klage abgewiesen.

Der BFH hat entscheiden, dass sog. Mittelfehlverwendungen vorliegen, die zum Entzug der Gemeinnützigkeit führen können, wenn eine gemeinnützige Körperschaft ihrem Geschäftsführer unverhältnismäßig hohe Tätigkeitsvergütungen gewährt.

Das Urteil ist von weitreichender Bedeutung für die Besteuerung gemeinnütziger Körperschaften, da es die Grundlagen für die Ermittlung von noch zulässigen Geschäftsführerbezügen aufzeigt und diese Grundsätze auch auf andere Geschäftsbeziehungen mit gemeinnützigen Körperschaften (z. B. Miet-, Pacht-, Darlehensverträge) angewendet werden können. Ob im Einzelfall unverhältnismäßig hohe Vergütungen anzunehmen sind, ist durch einen sog. Fremdvergleich zu ermitteln. Als Ausgangspunkt hierfür können allgemeine Gehaltsstrukturuntersuchungen für Wirtschaftsunternehmen herangezogen werden, ohne dass dabei ein „Abschlag“ für Geschäftsführer von gemeinnützigen Organisationen vorzunehmen ist. Da sich der Bereich des Angemessenen auf eine Bandbreite erstreckt, sind nur diejenigen Bezüge als unangemessen zu bewerten, die den oberen Rand dieser Bandbreite um mehr als 20% übersteigen. Liegt ein unangemessen hohes Geschäftsführergehalt vor, ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ein Entzug der Gemeinnützigkeit allerdings erst dann gerechtfertigt, wenn es sich nicht lediglich um einen geringfügigen Verstoß gegen das Mittelverwendungsgebot handelt.

Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, obwohl die Tatsache bei einem vorangegangenen Änderungsbescheid bereits bekannt war
Wenn eine Tatsache dem FA bereits beim Erlass eines vorangegangenen Änderungsbescheids bekannt war, ermöglicht § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich keine auf diese Tatsache gestützte weitere Änderung des Bescheids. Etwas anderes gilt jedoch u.a., wenn es sich bei dem vorangegangenen Änderungsbescheid um eine auf § 165 Abs. 2 AO gestützte Änderung im vollmaschinellen Verfahren aufgrund einer automatisierten Überprüfung sämtlicher ergangener Steuerbescheide zur Umsetzung einer geänderten BFH-Rechtsprechung handelte (Fortführung der BFH-Entscheidungen vom 12.01.1989, IV R 8/88, BStBl. 1989 II S. 438, unter 4., und vom 18.12.2014, VI R 21/13, BStBl. 2017 II S. 4, Rz 20).

BFH v. 28.05.2020, X B 19/20

Hinweis:
Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO).

Die Kläger reichten eine geänderte Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ab. Daraus ergaben sich bisher nicht erfasste Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Das FA erließ daraufhin aufgrund eines vollmaschinellen Korrekturlaufs einen nach § 165 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2014. Darin wurde die zumutbare Belastung entsprechend der BFH-Rechtsprechung zugunsten der Kläger neu berechnet. Die nacherklärten Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb wurden erst in einem weiteren verfahrensrechtlich auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid erfasst, allerdings irrtümlich als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Hiergegen wandten sich die Kläger mit dem Argument, die Tatsache sei bei Erlass des Änderungsbescheids nicht mehr neu gewesen, weil das FA sie bereits im zuvor ergangenen Änderungsbescheid hätte berücksichtigen können.

Der BFH hat entschieden, dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich ist, obwohl die Tatsache bei einem vorangegangenen Änderungsbescheid bereits bekannt war, wenn es sich bei dem vorangegangenen Änderungsbescheid um eine auf § 165 Abs. 2 AO gestützte Änderung im vollmaschinellen Verfahren aufgrund einer automatisierten Überprüfung sämtlicher ergangener Steuerbescheide zur Umsetzung einer geänderten BFH-Rechtsprechung handelte.

Ein bestandskräftiger Bescheid kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden, wenn die Tatsache beim Erlass eines vorangehenden Bescheids bereits bekannt war. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat allerdings in Fällen, in denen bei der vorangegangenen Änderung nicht der gesamte Steuerfall materiell-rechtlich überprüft werden musste, verschiedentlich Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa darin, dass der vorangegangene Änderungsbescheid ausschließlich die auf § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO gestützte Anpassung an einen Grundlagenbescheid vorgenommen hatte. Zu der vorliegend zu beurteilenden Konstellation, dass der vorangegangene Änderungsbescheid auf § 165 Abs. 2 AO gestützt war, hat sich der BFH zwar noch nicht geäußert. Hierfür kann aber nichts anderes gelten. Ebenso wie bei der Anpassungsänderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO oder bei der Aufnahme eines zusätzlichen Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO berechtigt auch § 165 Abs. 2 AO („soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat“) nur zu einer punktuellen Änderung und gerade nicht zu einer Gesamtüberprüfung der Steuerfestsetzung. 

1.2.Umsatzsteuer

Keine Rechnung ohne Leistungsbeschreibung
Ein Abrechnungsdokument ist keine Rechnung und kann deshalb auch nicht mit der Folge einer Ausübungsvoraussetzung für den Vorsteuerabzug rückwirkend berichtigt werden, wenn es wegen ganz allgemein gehaltener Angaben (hier „Produktverkäufe“) nicht möglich ist, die abgerechnete Leistung eindeutig und leicht nachprüfbar festzustellen.

BFH v. 12.03.2020, V R 48/17

Hinweis:
Der Vorsteuerabzug setzt nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung den Besitz einer nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnung voraus. Die zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung hat insbesondere Angaben zu der dem Leistenden erteilten Steuernummer oder USt-IdNr. sowie zu Menge und Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder zu Umfang und Art der sonstigen Leistung zu enthalten (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und Nr. 5 UStG). 

Im November 2005 erwarb die Klägerin von der X-GmbH (Verlag) Standardsoftware und rechnete darüber mit der Credit Note vom 07.12.2005 ab. Darin fehlten Angaben zur Steuernummer und zur Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) des Verlags. Der Gegenstand der Abrechnung war mit „Transfer Sum November 2005“ beschrieben. Zusammen mit der Credit Note übermittelte die Klägerin einen „Accounting Report“, in dem unter „Sales Products“ (Produktverkäufe) die Nettoumsätze aus den verkauften Software-Produkten in einer Summe zusammengefasst dargestellt waren; darauf wurde der Steuersatz „16 %“ angewendet und als Ergebnis der „Rechnungsbetrag brutto“ angegeben. Im Nachgang zu einer betriebsinternen Prüfung wurden die Steuernummer des Verlags aufgeführt, sowie die vom Verlag erworbene Software aufgelistet. Hierauf gab die Klägerin eine berichtigte USt-Erklärung ab, in der sie aus der credit note keine Vorsteuern mehr geltend machte. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie eine rückwirkende Berichtigung geltend machte.

Der BFH hat entschieden, dass ein Abrechnungsdokument keine Rechnung ist, wenn es wegen ganz allgemein gehaltener Angaben nicht mehr möglich ist, die abgerechnete Leistung eindeutig und leicht nachprüfbar festzustellen.

Ein Dokument ist eine Rechnung und damit berichtigungsfähig, wenn es Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung hat hinsichtlich der Leistungsbeschreibung nach § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 UStG folgende Angaben zu enthalten: „die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder den Umfang und die Art der sonstigen Leistung“. Nach diesen Maßstäben fehlt es vorliegend an einer berichtigungsfähigen Rechnung. Denn die Angaben in der Credit Note sind – auch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände-- unbestimmt und ermöglichen nicht, die abgerechnete Leistung zu erkennen. 

1.3.Bilanzsteuer

Gewinnerhöhende Auflösung einer § 6b EStG-Rücklage bei Verschmelzung
Wird eine GmbH unter Buchwertfortführung zu einem steuerlichen Übertragungsstichtag, der dem Tag nachfolgt, zu dem auch das vierte reguläre Wirtschaftsjahr nach Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG endet, verschmolzen, ist die Auflösung der Rücklage (§ 6b Abs. 3 Satz 5 EStG) in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft vorzunehmen.

BFH v. 29.04.2020, XI R 39/18

Hinweis:
Nach § 6b Abs. 1 EStG können Gewinne aus der Veräußerung von Grund und Boden u. a. von den Anschaffungskosten des Grund und Bodens, die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Wirtschaftsjahr entstanden sind, abgezogen werden. Soweit ein Abzug nicht vorgenommen wird, kann nach § 6b Abs. 3 EStG im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden. Bis zur Höhe der Rücklage können sodann die Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach § 6b EStG begünstigter Wirtschaftsgüter, die in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt werden, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung gekürzt werden. In Höhe des Kürzungsbetrags ist die Rücklage aufzulösen. Ist eine Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahrs noch vorhanden, ist sie nach § 6b Abs. 3 S. 5 EStG zu diesem Zeitpunkt mit einem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG von 6 % für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, gewinnerhöhend aufzulösen.

Streitig ist, ob eine Rücklage nach § 6b EStG bei einer Rechtsvorgängerin einkommenserhöhend aufzulösen ist, wenn sich dem Tag des Ablaufs der (bei ihr ungenutzten) Reinvestitionsfrist der Stichtag einer rückwirkenden Verschmelzung auf eine Rechtsnachfolgerin, deren Tochtergesellschaft investiert, unmittelbar anschließt.

Der BFH hat entschieden, dass die Rücklage in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft aufzulösen ist.

Im Zuge der (rückwirkenden) Verschmelzung konnte die vormals bei dem übertragenden Rechtsträger gebildete Rücklage mit dem verbliebenen Teilbetrag nicht auf die übernehmende Gesellschaft übergehen, da zu diesem Zeitpunkt die gesetzlichen Voraussetzungen für eine (zwingende) Auflösung der Rücklage erfüllt waren. Diese Auflösung ist (ebenso wie der Ansatz eines Zuschlags) bei der Steuerfestsetzung für das Streitjahr (gegenüber der übernehmenden Gesellschaft als Rechtsnachfolgerin der übertragenden Gesellschaft) einkommens- (§ 8 Abs. 1 KStG) und gewerbeertragserhöhend (§ 7 GewStG) zu berücksichtigen.

Da der übernehmende Rechtsträger mit Wirkung ab dem steuerlichen Übertragungsstichtag (hier: 01.07.2011) in die steuerliche Rechtsstellung der Überträgerin eintritt (§ 12 Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 2 S. 1 UmwStG, bedeutet dies hinsichtlich der hier relevanten Rücklage des § 6b Abs. 3 EStG, dass diese von der Klägerin in der Weise fortzuführen ist, wie sie von der übertragenden Körperschaft hätte fortgeführt werden können bzw. müssen. Wenn aber – wie im Streitfall – die B-GmbH (die Verschmelzung hinweggedacht) die Rücklage am 01.07.2011 nicht mehr hätte „nutzen“ können, weil die Reinvestitionsfrist am 30.06.2011 abgelaufen war und die Rücklage zwingend schon bei der Erstellung der Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft hätte gewinnerhöhend aufgelöst werden müssen, kann sie auch von der Klägerin nicht „genutzt“ werden.
 

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