Rechtsprechung KW 09-2020

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Kein Zeugnisverweigerungsrecht volljähriger Kinder im Kindergeldprozess
Die Mitwirkungspflicht volljähriger Kinder in Kindergeldsachen (§ 68 Abs. 1 Satz 2 EStG) erstreckt sich auch auf das finanzgerichtliche Verfahren. Aufgrund des dadurch angeordneten Ausschlusses des § 101 AO hat das Kind insoweit im finanzgerichtlichen Verfahren kein Zeugnisverweigerungsrecht.
BFH v. 18.09.2019, III R 59/18
Hinweis:
Angehörige - und somit gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 AO auch volljährige Kinder - sind nach § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 101 AO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt.
Im Streitfall ging es darum, ob im Falle geschiedener Eltern der Vater oder die Mutter das Kindergeld für das gemeinsame Kind beanspruchen konnten. Der Vater hatte beantragt, das Kindergeld zu seinen Gunsten festzusetzen, weil das Kind nicht mehr bei der Mutter lebe und er den höheren Unterhaltsbeitrag leiste. Das Finanzgericht wies die Klage des Vaters mit der Begründung ab, das Kind lebe weiterhin im Haushalt der Mutter. Es stützte sich dazu auf ein Schreiben des Kindes an die Kindergeldkasse, wonach es sich jedes zweite Wochenende in der Wohnung der Mutter aufgehalten und auch die Sommerferien dort verbracht habe. Das FG verzichtete auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Vernehmung des Kindes, weil das Kind erklärt hatte, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.
Der BFH hat entschieden, dass vojjährige Kinder im Kindergeldprozess kein Zeugnisverweigerungsrecht haben.
Nach § 68 Abs. 1 S. 2 EStG haben volljährige Kinder in Kindergeldsachen umfassende Mitwirkungspflichten. Daher gilt der Grundsatz, dass Angehörige, also auch volljährige Kinder, nach § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 101 AO zur Verweigerung der Aussage berechtigt sind, ausnahmsweise nicht im Kindergeldprozess. Volljährige Kinder sind dementsprechend im finanzgerichtlichen Verfahren verpflichtet, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht erstreckt sich auf alle für die Kindergeldzahlung maßgebenden Sachverhaltselemente, insbesondere – wie im Streitfall – auf die Haushaltszuordnung, also auf die Tatsachen, nach denen sich bestimmt, ob ein Kind noch dem Haushalt eines Elternteils zuzuordnen ist.

Nichtigkeit von Umsatzsteuerbescheiden
Ein Umsatzsteuerbescheid ist nichtig, wenn aus ihm nicht klar ersichtlich wird, ob der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) eine GmbH oder deren Geschäftsführer bzw. Liquidator ist.
Der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden; ausreichend ist vielmehr, dass er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt.
BFH v. 16.01.2020, V R 56/17
Hinweis:
Ein Verwaltungsakt ist nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn er an einem besonders schweren Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. 
Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Alleiniger Geschäftsführer war M. Das Amtsgericht lehnte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. Seitdem befindet sich die Klägerin in Liquidation (i.L.). Die vor der Liquidation aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide waren jeweils gerichtet an: "Herrn M in Firma C-GmbH…".
Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz: "als gesetzlicher Vertreter von Firma C-GmbH…". Die anschließend während der Liquidation der Klägerin ergangenen Bescheide sind gerichtet an: "Herrn M in Fa. C-GmbH i.L. …" Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Zusatz: "Als Liquidator für Fa. C-GmbH i.L. …".
Der BFH hat entschieden, dass der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden muss; ausreichend ist vielmehr, dass er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt.
Nach ständiger Rechtsprechung muss der Steuerschuldner in dem Bescheid nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Ausreichend ist vielmehr, wenn er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus der Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war für Herrn M ohne weiteres erkennbar, dass er die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide zunächst in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und später als Liquidator der Klägerin erhalten hat und sie ihn nicht als Steuerschuldner betreffen.
 

1.2.Einkommensteuer

Umorientierung während einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung
Nimmt ein volljähriges Kind nach Erlangung eines ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine nicht unter § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG fallende Berufstätigkeit auf, erfordert § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, zwischen einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit und einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen.
Zwei zeitlich und inhaltlich zusammenhängende Ausbildungsabschnitte können auch dann zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden, wenn das Kind sich nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts umorientiert und seine Ausbildung anders als ursprünglich geplant fortsetzt (hier: Betriebswirtschaftsstudium statt Bankkolleg nach einer Bankausbildung).
BFH v. 23.10.2019, III R 14/18
Hinweis:
Nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Bst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird. In den Fällen des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i. S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind insoweit unschädlich (§ 32 Abs. 4 S. 3 EStG).
Der Kläger ist Vater eines im Dezember 1992 geborenen Sohnes (S), der nach dem Abitur eine Ausbildung bei einer Volksbank absolvierte, die im Januar 2015 endete. Die Familienkasse  gewährte dem Kläger Kindergeld für S bis Januar 2015. Nach dem Abschluss seiner Banklehre wurde S von der Volksbank als Vollzeitbeschäftigter übernommen. Bereits im April 2014 hatte er an einer Informationsveranstaltung über ein Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt teilgenommen. Der Beginn des Studiums verzögerte sich dann jedoch auf unbestimmte Zeit. S bewarb sich daraufhin am 10.06.2015 auf einen Onlinestudiengang Betriebswirtschaftslehre und nahm das Studium zum 01.09.2015 auf. Im August 2017 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das im September 2015 aufgenommene Studium erneut Kindergeld.
Die Familienkasse lehnte den Antrag ab und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück. Die anschließende Klage blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Der BFH hat entschieden, dass zwei zeitlich und inhaltlich zusammenhängende Ausbildungsabschnitte auch dann zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden können, wenn das Kind sich nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts umorientiert und seine Ausbildung anders als ursprünglich geplant fortsetzt.
Nach der BFH-Rechtsprechung wird der Begriff der Erstausbildung in § 32 Abs. 4 S. 2 EStG wie folgt eingeschränkt:
  • Es muss sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln,
  • Der auf einen Abschluss in Form einer Prüfung ausgerichtet ist,
  • Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen;
  • Mehrere Ausbildungsabschnitte können eine einheitliche Erstausbildung bilden, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann;
  • Dabei kommt es darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.
Der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Banklehre und dem Betriebswirtschaftsstudium liegt vor. Der zeitliche Zusammenhang wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass S sich, nachdem die Bankausbildung im Januar 2015 beendet war, erst im April 2015 zum Studium der Betriebswirtschaftslehre entschlossen hat. Der erforderliche enge sachliche Zusammenhang liegt ebenfalls zwischen der Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Betriebswirtschaftsstudium vor.
 
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