Rechtsprechung KW 04-2020

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

EuGH-Vorlage zur Dokumentation der Ausübung des Zuordnungswahlrechts
Steht Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug in den Fällen, in denen ein Zuordnungswahlrecht beim Leistungsbezug besteht, ausgeschlossen ist, wenn bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuer-Jahreserklärung keine für die Finanzbehörden erkennbare Zuordnungsentscheidung abgegeben wurde?
Steht Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der eine Zuordnung zum privaten Bereich unterstellt wird bzw. eine dahingehende Vermutung besteht, wenn keine (ausreichenden) Indizien für eine unternehmerische Zuordnung vorliegen?
BFH v. 18.09.2019, XI R 3/19
Hinweis:
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge sind für den Besteuerungszeitraum abzusetzen, in den sie fallen (§ 16 Abs. 2 S. 1 UStG).
Der Kläger, der einen Gerüstbaubetrieb unterhält, errichtete ein Einfamilienhaus mit einer Gesamtnutzfläche von ca. 150 m², wovon auf ein Zimmer („Arbeiten“) ca. 17 m² entfielen (Fertigstellung 2015). Erst in der am 28.09.2016 beim FA eingegangenen Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2015 - nicht aber in den zuvor eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen - machte der Kläger für die Errichtung des Arbeitszimmers anteilig Vorsteuern geltend. Das FA versagte den Vorsteuerabzug wegen der nicht rechtzeitig (bis zum 31. Mai des Folgejahres als gesetzlicher Abgabetermin der Steuererklärung) erfolgten Zuordnung des Zimmers zum Unternehmensvermögen.
Der BFH hat Zweifel, ob das Unionsrecht einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der im Falle eines sog. Zuordnungswahlrechtes beim Leistungsbezug der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist, wenn bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuer-Jahreserklärung die Zuordnungsentscheidung gegenüber dem FA nicht getroffen wurde. Er hat den EuGH um Klärung gebeten.
Der BFH vertritt im Vorlagebeschluss die Auffassung, dass nach den von ihm zur Zuordnungsentscheidung entwickelten Kriterien die Revision des Klägers gegen das klageabweisende Urteil unbegründet wäre. Zweifelhaft sei jedoch, ob ein Mitgliedstaat eine Ausschlussfrist für die Zuordnung zum Unternehmensvermögen vorsehen dürfe. Zwar gehe das Unionsrecht in Art. 168a Abs. 1 MwStSyStRl ausdrücklich von einer „Zuordnung“ von Gegenständen aus. Es enthalte jedoch keine näheren Regelungen hierzu. Mit dem Vorabentscheidungsersuchen soll auch geklärt werden, welche Rechtsfolgen eine nicht (rechtzeitig) getroffene Zuordnungsentscheidung hat. Sollte der EuGH die bisherige (nationale) Handhabung als zu restriktiv ansehen, würde das die Möglichkeit eines Vorsteuerabzugs bei unternehmerischer Tätigkeit und sog. gemischter Nutzung erleichtern. In einem weiteren Verfahren, das den Erwerb einer Photovoltaikanlage durch einen Privatmann betrifft, hat der BFH mit Beschluss vom selben Tage (Az. XI R 7/19) ebenfalls den EuGH angerufen.

Umsatzsteuerrechtliche Organschaft zwischen einem Rechtsanwalt und einer Rechtsanwalts-GmbH
Die für die wirtschaftliche Eingliederung i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderliche Verflechtung der Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft kann auf entgeltlichen Leistungen des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn eine Rechtsanwalts-GmbH Rechtsanwalts-Dienstleistungen von ihrem Alleingesellschafter-Geschäftsführer, einem Rechtsanwalt, bezieht.
Für solche Innenumsätze wird kein unrichtiger Steuerbetrag nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG geschuldet, weil Abrechnungen über diese Umsätze mit gesondertem Steuerausweis keine tauglichen Rechnungen i. S. des § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG sind.
BFH v. 18.09.2019, XI R 39/17
Hinweis:
Nach § 2 Abs. 1 S. 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers (§ 2 Abs. 1 S. 2 UStG). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird (§ 2 Abs. 1 S. 3 UStG). Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
Der Kläger war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der A-GmbH (GmbH) und in den Streitjahren als Rechtsanwalt unternehmerisch tätig. Zwischen ihm und der GmbH bestand ein Kooperationsvertrag, wonach er Mandate namens und im Auftrag der GmbH bearbeiten und zur Abrechnung bringen sollte. Vergütung erhielt der Kläger von den von ihm bearbeiteten und abgerechneten Mandaten eine Umsatzbeteiligung i. H. v. 45 % der jährlich vereinnahmten Nettoumsätze. Nach einer Außenprüfung gelangte das FA zu der Auffassung, ein Zufluss der Honorare beim Kläger sei nicht erst im Zeitpunkt der Gutschrift, sondern bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit seiner Forderung anzunehmen. Als beherrschender Gesellschafter habe er es in der Hand gehabt, sich die geschuldeten Beträge auszahlen zu lassen. Neben den Erlösen seien auch die Umsätze aufgrund des unterstellten Zuflusses zu erhöhen.
Der BFH hat entschieden, dass eine wirtschaftliche Eingliederung i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vorliegt, wenn ein Rechtsanwalt-GmbH Rechtsanwalts-Dienstleistungen von ihrem Alleingesellschafter-Geschäftsführer bezieht. Die GmbH war in den Streitjahren in das Unternehmen des Klägers finanziell eingegliedert. Schließlich ist auch die wirtschaftliche Eingliederung der GmbH in das Unternehmen des Klägers gegeben. Für die wirtschaftliche Eingliederung i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG müssen die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sein. Dabei kann die wirtschaftliche Eingliederung auf entgeltlichen Leistungen des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt. Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft hat zur Folge, dass die gewerbliche Tätigkeit der in das Unternehmen des Klägers (Organträger) eingegliederten GmbH (Organgesellschaft) nicht selbständig ausgeübt wird; die eingegliederte GmbH ist kein Unternehmer i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 UStG. Sie ist als Organgesellschaft unselbständiger Teil des Unternehmens des Klägers, so dass die GmbH und der Kläger als ein Unternehmen zu behandeln sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 UStG).

Grundsätzlich keine Geschäftsveräußerung trotz vollständiger Übertragung der Anteile an einer GmbH; mögliche Geschäftsveräußerung bei Begründung einer Organschaft
Die Inhaberschaft von Anteilen an einer GmbH reicht (im Gegensatz zur Inhaberschaft von Vermögenswerten dieser GmbH) für sich genommen nicht hin, um eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit der Veräußerin fortführen zu können.
Anders kann es sein, wenn die bisherige Organträgerin die Anteile an der GmbH an die neue Organträgerin überträgt.
BFH v. 18.09.2019, XI R 33/18
Hinweis:
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer u. a. die gesetzlich geschuldete Steuer für sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist u. a. die Steuer für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet (§ 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG).
Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, war alleinige Gesellschafterin der B-GmbH. An diese vermietete sie Betriebsgrundstücke (steuerpflichtig). Die Klägerin war umsatzsteuerrechtliche Organträgerin der B-GmbH. Im Streitjahr verkaufte die Klägerin ihre Beteiligung an der B-GmbH überwiegend an eine Beteiligungsgesellschaft (Erwerberin). Eine Option zur Umsatzsteuerpflicht erfolgte nicht. Einen geringeren Teil der Anteile brachte die Klägerin im Wege der Sachkapitalerhöhung in die Erwerberin ein, so dass sie seitdem zu 25,1 % an der Erwerberin beteiligt ist. Für dieses Geschäft hatte die Klägerin Beratungsleistungen in Anspruch genommen. Die für die Leistungen gezahlte Umsatzsteuer zog sie in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr als Vorsteuer ab.
Der BFH hat entschieden, dass die Inhaberschaft von Anteilen an einer GmbH für sich genommen nicht hinreichend ist, um eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit der Veräußerin fortführen zu können. Anders kann es sein, wenn die bisherige Organträgerin die Anteile an der GmbH an die neue Organträgerin überträgt.
Die Klägerin war Unternehmerin i. S. d. § 2 UStG, die die Anteile an der B-GmbH in ihrem Unternehmensvermögen gehalten hat. Die Klägerin war in Bezug auf die B-GmbH an sich als geschäftsleitende Holding wirtschaftlich tätig, denn die Vermietung eines Gebäudes durch eine Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaft stellt einen "Eingriff in die Verwaltung" der Tochtergesellschaft dar, der als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um zu beurteilen, ob FA und FG den Vorsteuerabzug zutreffend nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG versagt haben, weil die Veräußerung der Anteile an der B-GmbH an die Erwerberin und die Einbringung der Anteile an der B-GmbH in die Erwerberin gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ein steuerfreier Umsatz oder als Geschäftsveräußerung nicht steuerbar ist. Eine Geschäftsveräußerung scheidet bei isolierter Betrachtung der Veräußerung der Anteile an sich aus, weil eine Beteiligung an einem Unternehmen kein "hinreichendes Ganzes" i. S. eines Teilvermögens ist. Läge eine Organschaft vor, könnte die Beteiligung an der B-GmbH ein Teilvermögen sein; denn beim Veräußerer notwendige Gegenstände dürfen vom Erwerber angemietet werden und müssen deshalb z. B. nicht mitübertragen werden.

1.2.Sonstiges

Unternehmensidentität - Kein "ruhender Gewerbebetrieb" im Gewerbesteuerrecht - Fortbestehen der Unternehmensidentität bei einer Besitzpersonengesellschaft
Der vortragsfähige Gewerbeverlust i. S. des § 10a GewStG geht unter, wenn zum Schluss des Erhebungszeitraums zwar eine die einkommensteuerrechtliche Existenz des Betriebs unberührt lassende Betriebsunterbrechung ("ruhender Gewerbebetrieb") gegeben ist, gewerbesteuerrechtlich hiermit aber die werbende Tätigkeit nicht nur vorübergehend unterbrochen bzw. eine andersartige werbende Tätigkeit aufgenommen wird. Es entfällt die für die Verlustfeststellung erforderliche Unternehmensidentität.
Bei einer Besitzpersonengesellschaft besteht die Unternehmensidentität jedenfalls so lange fort, als sie mit der nämlichen Betriebskapitalgesellschaft sachlich und personell verflochten bleibt.
BFH v. 30.10.2019, IV R 59/16
Hinweis:
Nach § 10a GewStG wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. EUR um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.
Im jetzt entschiedenen Fall hatte sich eine Unternehmensgruppe umstrukturiert, was für die zu beurteilende gewerblich geprägte KG bedeutete, dass sie in einem Zwischenschritt ihren Betrieb an eine andere Gesellschaft der Unternehmensgruppe verpachtete. Nach einem Jahr wurde der Pachtvertrag wieder aufgehoben, die bisherige Pächterin erwarb Teile des Betriebsvermögens von der Personengesellschaft und mietete nur noch das Betriebsgrundstück an. Das Finanzamt war der Meinung, dass der bisherige Betrieb mit Übergang zur Verpachtung jedenfalls gewerbesteuerlich beendet worden sei. Bisherige Verlustvorträge seien damit entfallen und könnten nicht mit späteren Gewinnen verrechnet werden.
Der BFH hat entschieden, dass gewerbesteuerliche Verlustvorträge bei der Verpachtung des Betriebs einer gewerblich geprägten Personengesellschaft untergehen können.
Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die Kürzung des Gewerbeertrags um Verluste aus früheren Jahren u. a. die sog. Unternehmensidentität voraus. Danach muss der Gewerbetrieb, in dem die Verluste entstanden sind, mit dem Gewerbebetrieb identisch sein, der den Abzug der Verluste begehrt. Dies hängt davon ab, ob die tatsächlich ausgeübte Betätigung die gleiche geblieben ist. Ist dies nicht der Fall, geht der Verlustvortrag unter. Der BFH verwies die Sache an das FG zurück. Er führte aus, dass es - entgegen der Auffassung des FG - nicht ausreicht, wenn der Gewerbebetrieb im Anrechnungsjahr wieder mit dem des Verlustentstehungsjahrs identisch ist, in der Zwischenzeit aber die werbende Tätigkeit nicht nur vorübergehend unterbrochen oder eine andersartige werbende Tätigkeit ausgeübt wurde. Vielmehr muss die Unternehmensidentität ununterbrochen bestanden haben. Sollte sich im zweiten Rechtsgang ergeben, dass es mit der Verpachtung zu einer Betriebsaufspaltung gekommen sei, habe die Unternehmensidentität von der Verpachtung an für die Dauer der personellen und sachlichen Verflechtung fortbestanden.
 
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