Rechtsprechung KW 51-2019

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Nachträgliche Aufhebung eines Durchsuchungsbeschlusses führt zur Rechtswidrigkeit einer bei der Durchsuchung getätigten Sachpfändung
Eine in unmittelbarer Nähe zur eigentlichen Wohnung gelegene, privat genutzte Garage fällt unter den Begriff der "Wohnung" i.S. des § 287 Abs. 4 Satz 1 AO.
Für die gewaltsame Öffnung und für das Durchsuchen einer derartigen Garage mit dem Ziel, pfändbare Gegenstände aufzufinden, ist eine richterliche Anordnung erforderlich, wenn weder die Einwilligung des Vollstreckungsschuldners noch Gefahr im Verzug vorliegen (§ 287 Abs. 4 AO).
Wird der Durchsuchungsbeschluss aufgehoben, wird eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig.
Dem FG ist es verwehrt, die Entscheidung des LG, mit dem dieses den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben hat, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.
Die bloße Erneuerung von Pfandsiegelmarken ist ebenso wie das Mitnehmen der Schlüssel und der Fahrzeugpapiere eines gepfändeten Fahrzeugs keine (erneute) Pfändung.
BFH v. 15.10.2019, VII R 6/18
Hinweis:
Die Wohn- und Geschäftsräume des Vollstreckungsschuldners dürfen ohne dessen Einwilligung nur auf Grund einer richterlichen Anordnung durchsucht werden (§ 287 Abs. 4 S. 1 AO). Dies gilt nicht, wenn die Einholung der Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (§ 287 Abs. 4 S. 2 AO).
Im Streitfall ließen Vollziehungsbeamte des Finanzamts die Hintertüre zur Garage des Klägers in Gegenwart der Polizei durch einen Schlüsseldienst öffnen. Die leitende Vollziehungsbeamtin pfändete dort einen PKW durch Anbringung von je einem Pfandzeichen an Heckscheibe und Tür und Wegnahme der Kennzeichen sowie ein gleichfalls in der Garage geparktes Motorrad durch Anbringung eines Pfandzeichens auf dem Tacho. Dabei lag den Beamten ein Durchsuchungsbeschluss des zuständigen Amtsgerichts für die Wohnung und die Geschäftsräume des Klägers unter Auflistung von zehn Vollstreckungsersuchen, aber ohne Nennung der zu vollstreckenden Beträge vor. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hob das Landgericht den Durchsuchungsbeschluss des AG auf, weil die beizutreibenden Beträge in der Durchsuchungsanordnung nicht bezeichnet worden seien.
Der BFH hat entschieden, dass das Finanzgericht die Rechtswidrigkeit der im Rahmen der Durchsuchung durchgeführten Sachpfändung auf Antrag festzutellen hat, wenn die Durchsuchungsanordnung aufgehoben wurde.
Nach dem Urteil des BFH ist es dem FG verwehrt, die Entscheidung des LG, mit dem dieses den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben hat, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Vielmehr wird aufgrund der bloßen Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig. Die Durchsuchungsanordnung ist Grundlage für die Rechtmäßigkeit der in der Wohnung des Vollstreckungsschuldners gegen dessen Willen durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen. Entfällt die Durchsuchungsanordnung, bleiben auf ihrer Grundlage getroffene Maßnahmen zwar wirksam, sind aber im finanzgerichtlichen Verfahren anfechtbar. Dies dient dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 GG und sichert die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Andernfalls würde der nach der Zivilprozessordnung vorgesehene Rechtsschutz unterlaufen.

1.2.Umsatzsteuer

Vorsteuervergütungsverfahren
Im Vergütungsverfahren genügt der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Vorlage der Rechnung in Kopie, wenn er innerhalb der Antragsfrist seinem Antrag ein Rechnungsdokument in Kopie beifügt, das den Mindestanforderungen entspricht, die an eine berichtigungsfähige Rechnung zu stellen sind (Fortführung BFH-Urteil vom 20.10.2016 - V R 26/15, BFHE 255, 348).
BFH v. 15.10.2019, V R 19/18
Hinweis:
Nach § 18 Abs. 9 S. 2 UStG i. V. m. § 61 Abs. 2 S. 3 UStDV sind dem Vergütungsantrag auf elektronischem Weg die Rechnungen und Einfuhrbelege in Kopie beizufügen, wenn das Entgelt für den Umsatz oder die Einfuhr mindestens 1.000 EUR, bei Rechnungen über den Bezug von Kraftstoffen mindestens 250 EUR beträgt.
Die Klägerin, eine in den Niederlanden ansässige Gesellschaft, die im Baubereich tätig ist, stellte in elektronischer Form - über das hierfür von der niederländischen Finanzverwaltung bereitgestellte Portal - einen Antrag auf Vorsteuervergütung im Verfahren nach § 18 Abs. 9 UStG i. V. m. § 61 UStDV. Das BZSt lehnte eine Vergütung zu zwei Antragspositionen wegen unvollständiger Angaben ab.
Der BFH hat entschieden, dass der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Vorlage der Rechnung in Kopie genügt, wenn er innerhalb der Antragsfrist seinem Antrag ein Rechnungsdokument in Kopie beifügt, das den Mindestanforderungen entspricht, die an eine berichtigungsfähige Rechnung zu stellen sind.
§ 18 Abs. 9 S. 2 UStG i. V. m. § 61 Abs. 2 S. 3 UStDV enthält keine eigenständige Definition der Rechnung, so dass dieser Begriff i. S. v. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG zu verstehen ist. Wie der erkennende Senat unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Erfordernisse (vgl. EuGH, Urteil v. 15.9.2016 - C 518/14 "Senatex") bereits ausdrücklich entschieden hat, liegt eine berichtigungsfähige Rechnung jedenfalls dann vor, wenn sie Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält, so dass sie bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG berichtigt werden kann. Für das Vergütungsverfahren folgt hieraus, dass der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Rechnungsvorlage in Kopie genügt, wenn er innerhalb der Antragsfrist seinem Antrag ein Rechnungsdokument in Kopie beifügt, das den Mindestanforderungen entspricht, die an eine berichtigungsfähige Rechnung nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu stellen sind. Denn berechtigt eine Rechnung, die jedenfalls diesen Mindestanforderungen entspricht, aufgrund einer nachträglichen Ergänzung oder Berichtigung rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Erteilung zum Vorsteuerabzug, genügt die Vorlage einer derartigen Rechnung in Kopie mangels weiterer Besonderheiten im Vergütungsverfahren auch zur Wahrung der Antragsfrist im Vergütungsverfahren.

1.3.Einkommensteuer

Zinsen aus der Stundung eines Ausgleichsanspruchs für den Pflichtteilsverzicht sind einkommensteuerbar
Verzichtet ein Kind gegenüber seinen Eltern auf künftige Pflichtteilsansprüche und erhält es dafür einen fälligen Zahlungsanspruch, so führt die Verzinsung dieses Zahlungsanspruchs zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
BFH v. 06.08.2019, VIII R 22/17
Hinweis:
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.
Die Klägerin hat drei ältere Geschwister. Die Eltern der Klägerin und die vier Kinder schlossen einen notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag ab. Die Eltern gaben an, sich wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt zu haben. Die Kinder verzichteten gegenüber dem überlebenden Elternteil auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht gegen Zahlung einer Abstandszahlung. An sie sollte der Betrag nebst 5 % Zinsen erst nach dem Ableben des letztversterbenden Elternteils ausgezahlt werden. Später ordneten die Eltern unter Verweis auf den Pflichtteilsverzichtsvertrag an, dass an die Klägerin die Auszahlung der Abstandszahlung nebst 5 % Zinsen Zug um Zug gegen Löschung der Grundschuld erfolgen sollte. Der Klägerin wurde die Abstandszahlung nebst Zinsen ausbezahlt. Die Kläger erklärten in ihrer Einkommensteuererklärung aus dem Vorgang keine Einkünfte aus Kapitalvermögen. Das FA vertrat dagegen die Auffassung, dass der Zinsanteil der Zahlung als Zinsen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Besteuerung unterläge.
Der BFH hat entschieden, dass die Verzinsung des Zahlungsanspruchs für den Verzicht auf künftige Pflichtteilsansprüche zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führt.
Zwar unterliegt das Entgelt für den Verzicht auf den Pflichtteil nicht der Besteuerung, da es sich bei der Regulierung der Vermögensnachfolge um einen erbrechtlich, bürgerlich-rechtlich und steuerrechtlich unentgeltlichen Vertrag handelt. Anders verhält es sich bei den Zinsen, die die Eltern der Klägerin als Entgelt für die Stundung der Ausgleichsforderung gezahlt haben: Die Klägerin hatte den Eltern durch die Stundung des Zahlungsanspruchs einen Kredit gewährt. Die hierfür gezahlten Zinsen unterliegen der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Entscheidend ist, dass die Klägerin durch den Verzicht auf ihren Pflichtteil einen fälligen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung erhalten hat, den sie erst in einem zweiten Schritt gestundet hat. Hierdurch wurden die Eltern von ihrer Verpflichtung zur Auszahlung befreit, so dass eine Kreditgewährung vorliegt.
 
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