Rechtsprechung KW 46-2019

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Steuerfreie Leistungen eines Dirigenten
Die Leistungen eines Dirigenten, dem die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass er die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie z. B. ein Orchester oder Kammermusikensemble, sind nach § 4 Nr. 20 Bst. a S. 2 UStG steuerfrei (Änderung der Rechtsprechung, BFH-Urteil vom 18.02.2010 - V R 28/08, BFHE 228, 474, BStBl. II 2010, 876).
Der Dirigent, dessen Leistungen nach § 4 Nr. 20 Bst. a S. 2 UStG steuerfrei sind, kann die Vorsteuerbeträge auf im Inland erbrachte Vermittlungsleistungen ausländischer Konzertagenturen auch dann nicht nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG abziehen, wenn er sie für Leistungen bezieht, die er im Ausland erbringt und die dort steuerbar und steuerpflichtig sind.
BFH v. 22.08.2019, V R 14/17
Hinweis:
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG kann der Unternehmer die Steuer für Leistungen i. S. d. § 13b Abs. 1 u. 2 UStG, die - wie hier die Vermittlungsleistungen der im Ausland ansässigen Künstleragenturen - für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Dem Leistungsempfänger wird damit der Vorsteuerabzug für die Steuer eröffnet, die er nach § 13b UStG schuldet. Der Vorsteuerabzug ist aber nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UStG ausgeschlossen für Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden.
Der Kläger war im Streitjahr als Dirigent selbständig tätig. Er übt seine Tätigkeit in Konzert-, Opern- und Theaterhäusern im Inland und im Ausland aus. Die Landesdirektion Sachsen bescheinigte ihm unbefristet, die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Bst. a S. 1 UStG zu erfüllen. Für die Vermittlung von Engagements in Spanien, Italien und in den Niederlanden stellten zwei im übrigen Gemeinschaftsgebiet (Großbritannien und Italien) ansässige Künstleragenturen dem Kläger im Streitjahr Provisionen in Rechnung, die auch im Streitjahr bezahlt wurden. Das FA gelangte im Rahmen einer Außenprüfung zu dem Ergebnis, dass die Agenturen als im Ausland ansässige Unternehmer Vermittlungsleistungen an den Kläger erbracht hätten, die nach § 3a Abs. 2 UStG im Inland steuerbar seien. Die entsprechenden Umsatzsteuerbeträge schulde der Kläger als Leistungsempfänger nach § 13b Abs. 2 Nr. 1 u. Abs. 5 UStG. Die Beträge könnten aber nicht gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG als Vorsteuer abgezogen werden, weil sie zur Verwendung für Leistungen im Ausland bezogen worden seien, die im Inland steuerfrei wären (§ 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UStG).
Der BFH hat entschieden, dass ein Dirigent, dessen Leistungen umsatzsteuerfrei sind, die Vorsteuerbeträge auf im Inland erbrachte Vermittlungsleistungen ausländischer Konzertagenturen auch dann nicht nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG abziehen kann, wenn er sie für Leistungen bezieht, die er im Ausland erbringt und die dort steuerbar und steuerpflichtig sind.
Der Kläger hat die Vermittlungsleistungen für die Ausführung von kulturellen sonstigen Leistungen verwendet, die nach § 3a Abs. 2 UStG am Sitzort der unternehmerischen Auftraggeber in den anderen Mitgliedsländern ausgeführt und dort steuerbar sind, die aber - wenn sie im Inland erbracht worden wären - unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 20 Bst. a S. 2 UStG fallen würden. Liegen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UStG mithin vor, ist der Vorsteuerabzug des Klägers gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG ausgeschlossen. Eine einschränkende Auslegung des § 4 Nr. 20 S. 1 Bst. a S. 2 UStG im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UStG dergestalt, dass der Vorsteuerausschluss nicht zur Anwendung kommt, wenn die in einem anderen Mitgliedstaat ausgeführten Verwendungsumsätze dort steuerpflichtig sind ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und widerspricht Art. 169 Bst. a MwStSystR.

1.2.Einkommensteuer

Steuerliche Berücksichtigung des Forderungsverzichts eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft nach Einführung der Abgeltungsteuer
Ein durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasster, unbedingter Verzicht eines Gesellschafters auf einen Teil der ihm gegen die Kapitalgesellschaft zustehenden Darlehensforderung führt zu einer Einlage i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 2 EStG, soweit der Gesellschafter auf den werthaltigen Teil der Forderung verzichtet (Anschluss an Beschluss des Großen Senats des BFH vom 09.06.1997 - GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl. II 1998, 307, unter C.II.4.). Dies setzt voraus, dass der Verzichtsbetrag den Nennwert des nicht werthaltigen Teils der Forderung übersteigt. Stehen dem durch die Einlage bewirkten Zufluss Anschaffungskosten in gleicher Höhe gegenüber, fällt kein Gewinn i. S. d. § 20 Abs. 4 EStG an.
Der Verzicht des Gesellschafters auf den nicht werthaltigen Teil seiner Forderung gegen die Kapitalgesellschaft steht einer Abtretung gleich und führt nach Einführung der Abgeltung­steuer zu einem gemäß § 20 Abs. 2 S. 2 EStG steuerlich zu berücksichtigenden Forderungsausfall. Steuerliche Auswirkungen hat der Forderungsverzicht jedoch nur, wenn der Steuerpflichtige für den nicht werthaltigen Teil der Forderung Anschaffungskosten getragen hat.
BFH v. 06.08.2019, VIII R 18/16
Hinweis:
Nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Als Veräußerung in diesem Sinne gelten gem. § 20 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 EStG auch die Einlösung, Rückzahlung, Abtretung oder verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft. Der Veräußerung werden danach Ersatztatbestände gleichgestellt, um alle Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen zu erfassen.
Im Streitfall war der Kläger zu mehr als 10 % an einer GmbH beteiligt. Er hatte Forderungen gegen die GmbH im Nennwert von 801.768,78 € für einen Kaufpreis von 364.154,60 € erworben. Der Kläger verzichtete gegenüber der GmbH auf einen Teilbetrag seiner Darlehensforderung i. H. v. 275.000 €. Im Hinblick auf einen teilentgeltlichen Erwerb zu 43,5 % ging er davon aus, dass er einen Veräußerungsverlust i. H. v. 119.625 € erlitten habe. Dem folgten Finanzamt und FG nicht.
Der BFH hat entschieden, dass der Verzicht eines Gesellschafters auf eine Darlehensforderung gegen die Gesellschaft nach Einführung der Abgeltungsteuer zu einem steuerlich zu berücksichtigenden Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen führen kann.
Nach dem Urteil des BFH steht der Verzicht des Gesellschafters auf den nicht werthaltigen Teil seiner Forderung gegen die Kapitalgesellschaft einer Abtretung gleich und führt nach Einführung der Abgeltungsteuer zu einem gem. § 20 Abs. 2 S. 2 EStG steuerlich zu berücksichtigenden Forderungsausfall. Es liegt insoweit auch keine Einlage vor. Ein durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasster, unbedingter Verzicht eines Gesellschafters auf einen Teil der ihm gegen die Kapitalgesellschaft zustehende Darlehensforderung führt nur insoweit zu einer Einlage i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 2 EStG, als der Gesellschafter auf den werthaltigen Teil der Forderung verzichtet. Die Einlage setzt dabei voraus, dass der Verzichtsbetrag den Nennwert des nicht werthaltigen Teils der Forderung übersteigt. Stehen dem durch die Einlage bewirkten Zufluss Anschaffungskosten in gleicher Höhe gegenüber, fällt somit kein Gewinn i. S. d. § 20 Abs. 4 EStG an. Gleichwohl erwies sich die Klageabweisung durch das FG im Ergebnis als zutreffend. Denn steuerliche Auswirkungen hätte der Forderungsverzicht nur gehabt, wenn der Steuerpflichtige für den nicht werthaltigen Teil der Forderung Anschaffungskosten getragen hätte. Hieran fehlte es im Streitfall. Der Kläger hatte die Forderung im Nennwert von 801.768 € zum Kaufpreis von 364.154 € erworben. Der Kaufpreis wurde bei wirtschaftlicher Betrachtung für den werthaltigen Teil der Forderung aufgewandt.
Der Verzicht in Höhe von 275.000 € bezog sich somit auf den nicht werthaltigen Teil der Forderung, für den dem Kläger keine Anschaffungskosten entstanden waren. Seine Leistungsfähigkeit wurde durch den Verzicht auf den nicht werthaltigen Teil der Forderung folglich nicht gemindert. Mit seinem Urteil setzt der VIII. Senat des BFH seine Rechtsprechung fort, nach der seit Einführung der Abgeltungsteuer grundsätzlich sämtliche Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen zu erfassen sind und dies gleichermaßen für Gewinne und Verluste gilt (vgl. Urteil vom 24.10 2017 VIII R 13/15, zum insolvenzbedingten Ausfall einer privaten Darlehensforderung).

Auflösung einer Kapitalgesellschaft - Eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen - Indizwirkung des festgestellten Jahresabschlusses
Die bis zum Senatsurteil vom 11.07.2017 - IX R 36/15 (BFHE 258, 427, BStBl. II 2019, 208) anerkannten Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen sind weiter anzuwenden, wenn der Gesellschafter eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum 27.09.2017 geleistet hatte oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tag eigenkapitaler­setzend geworden war (Bestätigung der Rechtsprechung).
Haben die Gesellschafter einer GmbH durch Feststellung des Jahresabschlusses untereinander und im Verhältnis zur Gesellschaft rechtsverbindlich bestätigt, dass eine im Jahresabschluss ausgewiesene Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber einem Gesellschafter in der ausgewiesenen Höhe besteht, ist dies auch für die Besteuerung des Gesellschafters von Bedeutung; die Feststellung des Jahresabschlusses spricht dann zumindest indiziell für das Bestehen der Forderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft dem Grunde und der Höhe nach.
BFH v. 02.07.2019, IX R 13/18
Hinweis:
Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt (§ 17 Abs. 2 S. 1 EStG). Mit Urteil vom 27.09.2017, IX R 36/15, BStBl. 2019 II, 208 hat der BFH seine langjährige Rechtsprechung zu nachträglichen Anschaffungskosten bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 17 EStG) geändert.
Im Streitfall war der Kläger Alleingesellschafter und –geschäftsführer einer GmbH. In einem Darlehensrahmenvertrag war seit 1999 vereinbart, dass Auslagen und sonstige Einlagen des Klägers bei der GmbH auf einem Darlehenskonto erfasst werden sollten. Das Darlehen sollte in der Krise der Gesellschaft stehen bleiben. Seit 2009 liquidierte der Kläger die GmbH. Die letzte Bilanz weist nur noch das gezeichnete Kapital und die verbliebene Verbindlichkeit gegenüber dem Kläger aus. Das FA bestritt den Bestand der Forderung und machte, soweit Unterlagen noch zur Verfügung standen, Mängel der Buchführung geltend. Das FG hat die Klage abgewiesen und u. a. ausgeführt, der Kläger müsse den Endbestand des Darlehens über den gesamten Zeitraum seiner Entstehung lückenlos nachweisen. Das sei ihm nicht gelungen.
Der BFH hat entschieden, dass Steuerpflichtige, die ihrer GmbH als Gesellschafter bis zum 27.09.2017 eine (ehemals) eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe geleistet haben, den Ausfall ihrer Rückzahlungs- oder Regressansprüche im Fall der Veräußerung oder Auflösung der Gesellschaft als nachträgliche Anschaffungskosten geltend machen können.
Der Bestand der (ausgefallenen) Gesellschafterforderung ergab sich indiziell dem Grunde und der Höhe nach aus dem festgestellten Jahresabschluss der GmbH. Mit der förmlichen Feststellung des Jahresabschlusses bestätigten die Gesellschafter zugleich die darin abgebildeten Rechtsverhältnisse untereinander und im Verhältnis zur Gesellschaft. Steuerrechtlich ergab sich daraus zumindest ein Indiz für das Bestehen der Gesellschafterforderung.
Im Streitfall reichte dem BFH dieses Indiz, um das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und der Klage stattzugeben. Welche Anforderungen an die Darlegung und den Nachweis einer Gesellschafterforderung zu stellen sind, wenn der Jahresabschluss der GmbH nicht förmlich festgestellt ist (z. B. weil sich die Gesellschafter nicht einigen können), war im Streitfall nicht zu entscheiden.

2.Verwaltungsanweisungen

2.1.Internationales Steuerrecht

Folgen des EuGH-Urteils Wächtler
Das BMF hat zu den Folgen des EuGH-Urteils v. 26.02.2019, C-581/17 „Wächtler“ Stellung genommen.
BMF v. 13.11.2019
§ 6 Abs. 4 AStG ist bis zu einer gesetzlichen Änderung in den Fällen des § 6 Abs. 1 S. 1 sowie des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AStG, in denen der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 9 Abs. 2 des Freizügigkeitsabkommens zu beachten ist, wie folgt anzuwenden:
Abweichend von § 6 Abs. 4 S. 1 AStG ist eine Stundung auf Antrag des Steuerpflichtigen
  1. in fünf gleichen Jahresraten vorzunehmen, die nach § 234 AO zu verzinsen sind,
  2. ohne dass es auf eine erhebliche Härte bei alsbaldiger Einziehung ankommt und
  3. ohne Sicherheitsleistung, es sei denn, der Steueranspruch erscheint – zum Beispiel mangels Beitreibungshilfe – gefährdet.
 
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