Rechtsprechung KW 49-2018

1.Rechtsprechung

1.1.Einkommensteuer

Tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis
Die tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis (§ 18 Abs. 3 i. V. m. § 34 EStG) setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen anderen überträgt. Hierzu muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen (Anschluss an BFH-Urteile vom 10. Juni 1999 IV R 11/99, BFH/NV 1999, 1594; vom 29. Juni 1994 I R 105/93, BFH/NV 1995, 109; vom 18. Mai 1994 I R 109/93, BFHE 175, 249, BStBl. II 1994, 925).
Die "definitive" Übertragung des Mandantenstamms lässt sich erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen. Sie hängt von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab, die das FG als Tatsacheninstanz zu würdigen hat. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate, eine zwischenzeitliche Tätigkeit des Veräußerers als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter des Erwerbers sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen.
BFH v. 21.08.2018, VIII R 2/15
Hinweis:
Gem. § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Vermögens, das der selbständigen Arbeit dient (Praxisveräußerung). Für diesen Veräußerungsgewinn sieht § 34 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 EStG eine Tarifbegünstigung vor.
Der Kläger ist Steuerberater und übte seine freiberufliche Tätigkeit seit dem Jahr 2003 in einer Einzelpraxis aus. Mit Vertrag v. 24.01.2008 veräußerte der Kläger seine Steuerberatungskanzlei für einen Kaufpreis i. H. v. 750.000 EUR an eine Steuerberatungsgesellschaft (S-KG). Gegenstand des Kaufvertrags war neben dem mobilen Praxisinventar auch der gesamte Mandantenstamm des Klägers. Der Kläger verpflichtete sich, an der Mandatsüberleitung mitzuwirken und darüber hinaus neue Mandate für die S-KG zu akquirieren. Gleichzeitig schloss der Kläger mit der S-KG eine freiberufliche Tätigkeitsvereinbarung, die bis zum 31. Dezember 2010 befristet war. Im Rahmen einer Außenprüfung kam das FA zum Ergebnis, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Steuerberatungskanzlei als nicht begünstigter, laufender Gewinn zu erfassen sei. Denn der Kläger habe seine Tätigkeit für die S-KG zum 28. Februar 2010 aufgegeben und unter Mitnahme des überwiegenden Teils seiner Mandanten wieder eine Beratungstätigkeit im Rahmen einer Einzelpraxis aufgenommen.
Der BFH hat entschieden, dass die Tarifvergünstigung gem. § 34 EStG voraussetzt, dass der Steuerpflichtige die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt die Veräußerung einer Praxis voraus, dass der Steuerpflichtige die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich auf einen anderen überträgt. Darüber hinaus muss der Veräußerer nach der Rechtsprechung des BFH seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen. Diese Forderung nach einer zeitweiligen Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit beruht auf der Überlegung, dass bei fortdauernder Tätigkeit des Freiberuflers in seinem bisherigen örtlichen Wirkungskreis eine weitere Nutzung der persönlichen Beziehungen zu den früheren Mandanten auf eigene Rechnung des "Veräußerers" naheliegt und es dadurch nicht zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen der Praxis auf den Erwerber kommt. Wird der Veräußerer als Arbeitnehmer oder als freier Mitarbeiter im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig, ist dies grundsätzlich unschädlich, da der Erwerber trotzdem zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage ist, die Beziehungen zu den früheren Mandanten des Veräußerers zu verwerten. Nimmt der Veräußerer dagegen seine freiberufliche Tätigkeit nach einer gewissen Zeit wieder auf, kann dies auch dann schädlich sein, wenn die Wiederaufnahme zum Zeitpunkt der Übertragung der Praxis nicht geplant war. Maßgebend ist allein, ob es objektiv zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen gekommen ist.

1.2.Bilanzsteuerrecht

Zur Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG
Wird ein bisher bedingt verzinstes Darlehen ohne Bedingungseintritt in ein die Restlaufzeit umfassendes unbedingt verzinstes Darlehen mit einem Zinssatz, der dem effektiven Zinssatz eines bei einer Landesbank refinanzierten Darlehens entspricht, umgewandelt, so liegt auch dann ein verzinsliches Darlehen i. S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG vor, wenn die Verzinsungsabrede zwar vor dem Bilanzstichtag erfolgte, der Zinslauf aber erst danach begann.
BFH v. 18.09.2018, XI R 30/16
Hinweis:
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Ausgenommen von der Abzinsung sind Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate betragen, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 EStG).
Die Klägerin ist eine Unternehmergesellschaft mit dem Unternehmensgegenstand „Halten und Veräußern von Beteiligungen sowie Vermögensverwaltung“. Die Klägerin erwarb im Rahmen einer Kapitalerhöhung Inhaberaktien i. H. v. 750.000 € zum Nominalwert. Im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktien nahm die Klägerin bei ihrem Alleingesellschafter Darlehen i. H. v. 750.000 € auf. Eine Laufzeit dieser Darlehen war nicht ausdrücklich vereinbart; die Darlehen waren mit einer Frist von 30 Tagen kündbar. Die Darlehensverträge sahen vor, dass die Darlehensforderungen ab dem Tage des Geldeingangs bis zur Rückzahlung mit 3 % p.a. „aus den erhaltenen Dividenden zu verzinsen seien; die Verzinsung falle nur an, wenn die AG Dividenden zahle. In ihrem Jahresabschluss des Streitjahres passivierte die Klägerin die Darlehensverbindlichkeiten in voller Höhe. Nach einer Überprüfung der Darlehensverträge gelangte das FA zu der Auffassung, die bei der Klägerin passivierte Darlehensverbindlichkeit sei gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG unter Annahme einer Darlehenslaufzeit von zwölf Jahren mit einem Faktor von 0,503 um 372.750 EUR abzuzinsen.
Der BFH hat entschieden, dass eine Abzinsung auch dann nicht vorzunehmen ist, wenn die Verzinsungsabrede zwar vor dem Bilanzstichtag erfolgt, der Zinslauf aber erst danach beginnt.
Eine verzinsliche Verbindlichkeit i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 EStG liegt vor, wenn das Darlehen mit einer Zinsvereinbarung verbunden ist. Die Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG gründet auf der typisierenden Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht. Wird eine kurzzeitige Verzinsung von vornherein vereinbart, so ist nach Ansicht des BMF eine verzinsliche Verbindlichkeit gegeben. Eine Abzinsung soll dann unterbleiben (BMF v. 26.05.2005, BStBl. 2005 I, 699, Rz. 17). Wird zunächst ein unverzinsliches Darlehen hingegeben und eine Verzinsung später vereinbart, so ist nach Ansicht des BMF ebenfalls von einer verzinslichen Verbindlichkeit auszugehen (BMF v. 26.05.2005, a.a.O., Rz. 18). Ob diese Aussagen auch dann gelten, wenn vor dem Bilanzstichtag eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde, die aber erst für Zeiträume nach diesem Bilanzstichtag eine Verzinsung vorsieht, ist offen. Das BMF scheint auch in diesem Fall von einer verzinslichen Verbindlichkeit auszugehen (BMF v. 26.05.2005, a.a.O., Rz. 18 i. V. m. Rz. 17). Der Senat lässt im Streitfall offen, ob nicht schon vom Zeitpunkt der ursprünglichen Darlehensvereinbarungen an eine verzinsliche Verbindlichkeit vorlag. Dafür spricht, dass auch eine bedingte Verzinsung (im Streitfall 3 % im Falle einer Dividendenzahlung der AG) eine Zinsvereinbarung ist. Jedenfalls folgt er der Ansicht, dass eine spätere unbedingte Verzinsungsabrede zu einer verzinslichen Verbindlichkeit i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG führt, die zum Zeitpunkt des folgenden Bilanzstichtages zu berücksichtigen ist.
 

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