Rechtsprechung KW 30-2018

1.Rechtsprechung

1.1.Einkommensteuer

Nicht abziehbare Schuldzinsen - Berücksichtigung von Verlusten
Für die Berechnung der Überentnahme nach § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG ist zunächst vom einkommensteuerrechtlichen Gewinn auszugehen. Dieser Begriff umfasst auch Verluste.
Verluste führen für sich genommen nicht zu Überentnahmen. Die Bemessungsgrundlage für die nicht abziehbaren Schuldzinsen ist im Wege teleologischer Reduktion zu begrenzen.
Die Bemessungsgrundlage für die nicht abziehbaren Schuldzinsen ist begrenzt auf den Entnahmenüberschuss des Zeitraums von 1999 bis zum aktuellen Wirtschaftsjahr (entgegen Rz. 11 f. des BMF-Schreibens vom 17. November 2005 IV B 2 -S 2144- 50/05, BStBl. I 2005, 1019).
BFH v. 14.03.2018, X R 17/16
Hinweis:
Schuldzinsen sind gem. § 4 Abs. 4a S. 1 EStG nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind.  Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen (§ 4 Abs. 4a S. 2 EStG). Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden mit 6 % der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt (§ 4 Abs. 4a S. 3 Hs. 1 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 € verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a S. 4 EStG). Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- und Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt unberührt (§ 4 Abs. 4a S. 5 EStG).
Im Streitfall führte der Kläger einen Kraftfahrzeughandel. Er erzielte in den Jahren von 1999 bis 2008 teils Gewinne, teils Verluste, und tätigte Entnahmen und Einlagen in ebenfalls stark schwankender Höhe. Zugleich waren im Betrieb Schuldzinsen angefallen. Das FA versagte in den beiden Streitjahren 2007 und 2008 für einen Teil der Schuldzinsen den Betriebsausgabenabzug, weil Überentnahmen i. S. d. § 4 Abs. 4a EStG vorgelegen hätten. Die Berechnung des FA entsprach den Vorgaben des BMF-Schreibens v. 17.11.2005, BStBl. 2005 I S. 1019. Daher kam es zu einer Verrechnung mit in den Vorjahren unberücksichtigt gebliebenen Verlusten im Wege einer formlosen Verlustfortschreibung.
Der BFH hat entschieden, dass die Bemessungsgrundlage für die nicht abziehbaren Schuldzinsen auf die Entnahmenüberschüsse des Zeitraums von 1999 bis zum aktuellen Wirtschaftsjahr begrenzt ist.
Der BFH begrenzt im Wege der teleologischen Reduktion die nach den Überentnahmen ermittelte Bemessungsgrundlage der nicht abziehbaren Schuldzinsen auf den von 1999 bis zum Beurteilungsjahr erzielten Entnahmenüberschuss und damit auf den Überschuss aller Entnahmen über alle Einlagen. So wird sichergestellt, dass ein in der Totalperiode erwirtschafteter Verlust die Bemessungsgrundlage für § 4 Abs. 4a EStG nicht erhöht und damit der Gefahr vorgebeugt, dass ein betrieblicher Verlust ohne jede Entnahme zur teilweisen Versagung des Schuldzinsenabzugs führen kann. Zudem wird der Verlust des aktuellen Jahres nicht anders bewertet als der Verlust aus Vorjahren. Dies kann für den Steuerpflichtigen in bestimmten Jahren günstiger, in anderen Jahren aber auch nachteiliger sein als der Verrechnungsmodus des BMF. Die Entscheidung ist insbesondere für Einzelunternehmer und Personengesellschaften im Bereich des Mittelstands von großer Bedeutung. Da es gleichgültig ist, in welchem Jahr innerhalb der Totalperiode Gewinne oder Verluste erzielt sowie Entnahmen oder Einlagen getätigt wurden, ist der Steuerpflichtige zu einer vorausschauenden Planung seiner Entnahmen auch in Gewinnjahren veranlasst, damit diese sich nicht durch spätere Verluste in steuerschädliche Überentnahmen verwandeln.

Kindergeld; Zählkindervorteil in einer „Patchwork-Familie“
Leben die Eltern eines gemeinsamen Kindes in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen und sind in deren Haushalt auch zwei ältere, aus einer anderen Beziehung stammende Kinder eines Elternteils aufgenommen, erhält der andere Elternteil für das gemeinsame Kind nicht den nach § 66 Abs. 1 EStG erhöhten Kindergeldbetrag für ein drittes Kind.
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass einem in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebenden Elternteil im Hinblick auf die in seinem Haushalt lebenden, bei ihm kindergeldrechtlich nicht zu berücksichtigenden Kinder des anderen Elternteils der Zählkindervorteil versagt wird, während einem Stiefelternteil dieser Zählkindervorteil für die Kinder seines Ehegatten gewährt wird.
BFH v. 25.04.2018, III R 24/17
Hinweis:
Ob das Kind beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt werden kann, richtet sich nach § 63 Abs. 1 EStG. Danach werden Kinder i. S. d. § 32 Abs. 1 EStG berücksichtigt (§ 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG). Das sind die im ersten Grad mit dem Kindergeldberechtigten verwandten Kinder (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und die Pflegekinder (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Ferner erfasst § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG die vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder seines Ehegatten und § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG die vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommenen Enkel.
Der Kläger ist der Vater einer im März 2016 geborenen Tochter (T). Er lebt mit der Kindsmutter (Lebensgefährtin) in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt. Zu dem Haushalt gehören auch die beiden 2009 und 2012 geborenen ehelichen Kinder der Lebensgefährtin des Klägers. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte auf Antrag des Klägers Kindergeld für T in Höhe von 190 € fest. Den Einspruch des Klägers, mit dem er begehrte, das Kindergeld auf 196 € zu erhöhen, weil T als sein drittes Kind zu berücksichtigen sei, wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück.
Der BFH hat entschieden, dass dem Kläger für T nicht der nach § 66 Abs. 1 EStG erhöhte Kindergeldbetrag für ein drittes Kind zusteht.
Die Kinder der Lebensgefährtin des Klägers begründen keinen Zählkindervorteil beim Kläger, da keiner der Tatbestände des § 63 Abs. 1 S. 1 EStG einschlägig ist. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass einem in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebenden Elternteil im Hinblick auf die in seinem Haushalt lebenden, bei ihm kindergeldrechtlich nicht zu berücksichtigenden Kinder des anderen Elternteils der Zählkindervorteil versagt wird, während einem Stiefelternteil dieser Zählkindervorteil für die Kinder seines Ehegatten gewährt wird.
 

1.2.Bilanzsteuerrecht

Bilanzierung von Provisionsvorauszahlungen und damit im Zusammenhang stehender Aufwendungen
Solange der Provisionsanspruch des Handelsvertreters noch unter der aufschiebenden Bedingung der Ausführung des Geschäfts steht, ist er nicht zu aktivieren. Provisionsvorschüsse sind beim Empfänger als „erhaltene Anzahlungen“ zu passivieren.
Aufwendungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Provisionsvorschüssen stehen, sind nicht als „unfertige Leistung“ zu aktivieren, wenn kein Wirtschaftsgut entstanden ist.
BFH v. 26.04.2018, III R 5/16
Hinweis:
Wird der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, ist für den Schluss des betreffenden Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 EStG). Zu diesen GoB gehört das in § 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 2 HGB geregelte Realisationsprinzip, demzufolge Gewinne nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie am Abschlussstichtag schon realisiert waren.
Der Kläger betrieb ein Reisebüro und ermittelte seinen Gewinn durch Bestandsvergleich. Er betrieb das Reisebüro als Franchiseunternehmen. Nach dem Agenturvertrag zwischen der Y-GmbH und dem Kläger erhielt der Kläger für „alle zur Ausführung gelangten Buchungsgeschäfte“ eine Provision, die grundsätzlich 10 % des jeweiligen Reisepreises betrug. Streitig war, ob Aufwendungen eines Reisebüros, die im Zusammenhang mit der Vermittlung von erst im Folgejahr angetretenen Reisen angefallen sind, zu aktivieren sind.
Der BFH hat entschieden, dass die Aufwendungen im wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Provisionsvorschüssen nicht als unfertige Leistung zu aktivieren sind, da kein Wirtschaftsgut entstanden ist.
Soweit Zahlungen als Provisionsvorschüsse zu werten sind, fehlt es an einer Gewinnrealisierung. Denn erst durch die Ausführung der Reise (Bedingungseintritt) wird der Gewinn durch die Entstehung des Provisionsanspruchs realisiert. Die Provisionsvorschüsse sind als "erhaltene Anzahlungen" nach § 266 Abs. 3 C.3. HGB zu passivieren. Darin kommt die Verpflichtung zum Ausdruck, die Beträge bei Nichtausführung der Reise zurückzahlen zu müssen. Soweit bezüglich der erhaltenen Provisionen noch keine Gewinnrealisierung eingetreten ist, sind die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht als "unfertige Leistungen" zu aktivieren. Denn die Aktivierung von Aufwendungen - von RAP abgesehen – setzt grundsätzlich das Vorliegen eines Wirtschaftsguts voraus, dass also Aufwendungen zum Erwerb eines Wirtschaftsguts (durch Anschaffung oder Herstellung) geführt haben müssen. Laufende Betriebsausgaben, die sich nicht eindeutig bestimmten Aufträgen zurechnen lassen und sich nicht von den laufenden Aufwendungen abheben, sind nicht geeignet, ein selbständig bewertungsfähiges Wirtschaftsgut zu begründen.
 

1.3.Sonstiges

Berücksichtigung negativer Anschaffungskosten im Rahmen des § 20 Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002
Die Minderung der Anschaffungskosten des Einbringenden nach § 20 Abs. 7 Satz 3
UmwStG 2002 durch Entnahmen im Rückwirkungszeitraum kann auch zu einem negativen Wert führen.
BFH v. 07.03.2018, I R 12/16
Hinweis:
Nach § 20 Abs. 5 S. 3 UmwStG i. d. F. SEStEG sind die Anschaffungskosten der Anteile um den Buchwert der Entnahmen zu vermindern und um den sich nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG ergebenden Wert der Einlagen zu erhöhen.
Der Kläger ist alleiniger Anteilseigner einer Rechtsanwaltschaftsgesellschaft mbH. Der Gesellschafter beschloss am 30.08.2005 die Erhöhung des Stammkapitals der GmbH von 25.000 € auf 26.000 €. Die neue Stammeinlage war als Sacheinlage durch Einbringung der Rechtsanwalts-Einzelpraxis zu leisten. Der steuerliche Übertragungsstichtag wurde auf den 02.01.2005 festgelegt. Da der Buchwert des einzubringenden Betriebsvermögens zum steuerlichen Übertragungsstichtag negativ war (./. 56.750,70 €), wurde bei der Beigeladenen eine Forderung gegen den Kläger in Höhe von 56.750,70 € aktiviert. Im Rückwirkungszeitraum betrug der Saldo aus Entnahmen und Einlagen rd. 458.000 €. Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Entnahmen im Rückwirkungszeitraum zu einer entsprechenden Erhöhung des Betriebsvermögens der GmbH zum 02.01.2005 und zum Anfall eines Veräußerungsgewinns beim Kläger führten.
Der BFH hat entschieden, dass die Überentnahmen im Rückwirkungszeitraum nicht zu einem Veräußerungsgewinn beim Kläger sondern zu negativen Anschaffungskosten der Anteile an der GmbH führten.
§ 20 Abs. 7 S. 3 UmwStG a.F. (§ 20 Abs. 5 S. 3 UmwStG n.F.) sieht vor, dass von den Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile der Buchwert der Entnahmen abzuziehen und der sich nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG ergebende Wert der Einlagen hinzuzusetzen ist. Die Norm beinhaltet nach ihrem Wortlaut lediglich eine Korrektur der sich ergebenden Anteilsanschaffungskosten, nicht hingegen die Vorgabe eines „Mindestansatzes“ des eingebrachten Betriebsvermögens. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, dass sich die im Rückwirkungszeitraum vorgenommenen Entnahmen und Einlagen bei einer späteren Veräußerung der Gesellschaftsanteile nicht erfolgswirksam auswirken sollen, lässt sich zudem statt durch sofortige Zwangsrealisierung aller im eingebrachten Betriebsvermögen vorhandener stiller Reserven auch durch die Anerkennung negativer Anteilsanschaffungskosten erreichen.
 

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