Rechtsprechung KW 32-2017

1. Rechtsprechung

1.1 Verfahrensrecht

Traditionelle Freimaurerloge nicht gemeinnützig - Diskriminierung von Frauen - Fehlende "Förderung der Allgemeinheit" - Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgesellschaften - Keine Gleichheit im Unrecht - Schutz nach der EMRK

Eine Freimaurerloge, die Frauen von der Mitgliedschaft ausschließt, ist nicht gemeinnützig.
BFH  v. 17.05.2017, V R 52/15

Hinweis:
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG sind Körperschaften von der Körperschaftsteuer befreit, die nach der Satzung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO).
Die Entscheidung betrifft eine Vereinigung zur Pflege der Freimaurerei (Loge). Diese nimmt nur Männer als Mitglieder auf. Sie ermöglichte nur diesen das Ritual in den Tempelarbeiten. Streitig war, ob der Ausschluss von Frauen der Gemeinnützigkeit entgegensteht.
Der BFH hat entschieden, dass die traditionelle Freimaurerloge nicht gemeinnützig ist.
Für den Ausschluss von Frauen konnte die Loge weder zwingende sachliche Gründe anführen noch war dies durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt. Der BFH sah hierin keinen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Loge. Denn der Loge ist es durch die Versagung der Steuervergünstigung nicht verwehrt, nur Männer als Mitglieder auszuwählen und aufzunehmen. Soweit sich die Loge darauf berief, dass katholische Ordensgemeinschaften als gemeinnützig anerkannt würden, obwohl sie ebenfalls Männer oder Frauen von der Mitgliedschaft ausschließen, verweist der BFH darauf, dass die Förderung mildtätiger oder kirchlicher Zwecke keine Förderung der Allgemeinheit erfordert. Das Urteil des BFH könnte sich aber auch auf Vereine auswirken, die die Gemeinnützigkeit in Anspruch nehmen, aber wie z.B. Schützenbruderschaften, Männergesangsvereine oder Frauenchöre Männer oder Frauen ohne sachlichen Grund von der Mitgliedschaft ausschließen.

Anforderungen an die Aufzeichnungen bei Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung und Verwendung einer offenen Ladenkasse; Zulässigkeit einer Quantilsschätzung
Eine Aufbewahrung von Tagessummen-Belegen mit Einzelaufzeichnung der Erlöse und Summenbildung kann, sofern im Betrieb keine weiteren Ursprungsaufzeichnungen angefallen sind, in Fällen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung und Verwendung einer offenen Ladenkasse bei Anlegung des im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfungsmaßstabs den formellen Anforderungen an die Aufzeichnungen genügen.
Die Rechtsprechung, wonach Einzelaufzeichnungen der Erlöse in bestimmten Fällen aus Zumutbarkeitsgründen nicht geführt werden müssen, ist nicht auf Einzelhändler beschränkt, sondern kann auch auf Klein-Dienstleister anwendbar sein.
Die Anforderungen, die der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung an die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs gestellt hat (Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743), gelten bei summarischer Betrachtung auch dann, wenn die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs durch Vornahme einer Quantilsschätzung zur Begründung der Schätzungshöhe herangezogen werden.
Eine während des Prüfungszeitraums vorgenommene Preiserhöhung um 26 % schließt es im Regelfall aus, einen durchgehenden Zeitreihenvergleich für die Zeit vor und nach der Preiserhöhung vorzunehmen.
Es ist bisher nicht geklärt, ob die monatlichen Rohgewinnaufschlagsätze, die von der Software der Finanzverwaltung geschätzt werden, der Gauß'schen Normalverteilung folgen, und ob die in einem üblichen Prüfungszeitraum (drei Jahre mit 36 Monats-Einzelwerten) erhobene Grundgesamtheit groß genug für die Anwendung der bei einer Gauß'schen Normalverteilung geltenden Gesetzmäßigkeiten ist.
Es ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Gericht nicht darauf hinweist, dass eine bei ihm sechs Arbeitstage vor Fristablauf eingereichte Rechtsmittelschrift nicht unterschrieben ist.
BFH  v. 12.07.2017, X B 16/17

Hinweis:
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 UStG ist jeder Unternehmer verpflichtet, zur Feststellung der Umsatzsteuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Aus den Aufzeichnungen müssen die vereinbarten Entgelte für die vom Unternehmer ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen zu ersehen sein (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 und 5 UStG). Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmers und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten und die Grundlagen für die Steuerberechnung festzustellen (§ 63 Abs. 1 UStDV). Dabei darf der Unternehmer das Entgelt und den Steuerbetrag in einer Summe - statt des (Netto-)Entgelts allein -  aufzeichnen (§ 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 UStDV). Am Schluss jedes Voranmeldungszeitraums hat der Unternehmer u.a. die Summe der Entgelte zu errechnen und aufzuzeichnen (§ 63 Abs. 3 S. 3 UStDV).
Der Kläger erzielte in den Streitjahren gewerbliche Einkünfte aus einer Gaststätte. Den Gewinn ermittelte der Kläger durch Einnahmenüberschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG. Der Kläger erzielte ganz überwiegend Betriebseinnahmen in Form von Bargeld. Hierzu wurde eine offene Ladenkasse geführt. Neben dem laufenden Gaststättenbetrieb betätigte sich der Kläger einmal jährlich an einem dreitägigen örtlichen Volksfest und erzielte Einnahmen aus sonstigen Veranstaltungen (Familienfeiern, Buffets). Die Einnahmen aus dem laufenden Gaststättenbetrieb notierte der Antragsteller getrennt je Kassiervorgang auf einem Zettel. Durch Summenbildung ermittelte er die Tageseinnahmen und schloss die Summe mit seinem Namenszeichen ab. Die Tageseinnahmen-Zettel enthalten das jeweilige Datum, ansonsten aber kein Ordnungskriterium. Im Rahmen einer Außenprüfung kam zu Hinzuschätzungen aufgrund einer sog. „Quantilsschätzung“.
Der BFH hat entschieden, dass die Aufbewahrung von Tagessummen-Belegen mit Einzelaufzeichnung der Erlöse und Summenbildung den formellen Anforderungen an die Aufzeichnungen genügen kann.
Da die Einnahmen aus dem laufenden Gaststättenbetrieb einzeln notiert wurden, bestehen insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Hinzuschätzung. Hinsichtlich der auf dem Volksfest erzielten Erlöse genügen die Aufzeichnungen des Antragstellers hingegen auch bei summarischer Betrachtung nicht den geltenden Anforderungen. Der Antragsteller hat insoweit lediglich die Einnahmen eines gesamten Tages in einer Summe notiert.


1.2 Einkommensteuer
Aufwendungen für ein im Rahmen mehrerer Einkunftsarten genutztes häusliches Arbeitszimmer

Der gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 geltende Höchstbetrag abziehbarer Aufwendungen in Höhe von 1.250 € ist bei der Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers im Rahmen mehrerer Einkunftsarten nicht nach den zeitlichen Nutzungsanteilen in Teilhöchstbeträge aufzuteilen. Er kann durch die dem Grunde nach abzugsfähigen Aufwendungen in voller Höhe ausgeschöpft werden (Anschluss an BFH-Urteil vom 16. Juli 2014 X R 49/11, BFH/NV 2015, 177).
BFH  v. 25.04.2017, VIII R 52/13
Hinweis:
Gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Betriebsausgaben abziehen. Dies gilt nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 2 EStG. In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt; die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 EStG).
Der Kläger war im Streitjahr in Vollzeit nichtselbständig tätig. Daneben betätigte er sich schriftstellerisch und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Er machte Betriebsausgaben für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe des Höchstbetrags von 1.250 € geltend. Das FA ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu. Strittig war, ob der Höchstbetrag gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 EStG  bei Nutzung des Arbeitszimmers im Rahmen mehrerer Einkunftsarten in Teilhöchstbeträge aufzuteilen ist.
Der BFH hat entschieden, dass der Höchstbetrag gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 EStG nicht in mehrere Teilhöchstbeträge aufzuteilen ist.
Da der Kläger mehrere betriebliche oder berufliche Tätigkeiten ausgeübt hat, ist in Bezug auf jede dieser Tätigkeiten gesondert zu prüfen, ob ein "anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Regelung für diese zur Verfügung steht. Vorliegend stand dem Kläger für die Ausübung seiner nichtselbständigen Arbeit ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, so dass insoweit kein Abzug möglich war. Die für das häusliche Arbeitszimmer getragenen Aufwendungen sind im zweiten Schritt entsprechend den tatsächlichen Nutzungsanteilen auf die verschiedenen Einnahmequellen und Einkünfte aufzuteilen, unabhängig davon, ob die Aufwendungen im Rahmen dieser Einkunftsart dem Grunde nach abzugsfähig sind. Es erfolgt jedoch keine Aufteilung des Höchstbetrags gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 EStG. Der Steuerpflichtige kann die dem Grunde nach abzugsfähigen und auf verschiedene Einkunftsarten entfallenden Aufwendungen insgesamt bis zum Höchstbetrag von 1.250 € abziehen. Wenn die Aufwendungen – wie vorliegend – bei der einen Einkunftsart nicht abzugsfähig sind, steht der Höchstbetrag für die andere Einkunftsart zu Verfügung. Damit konnten im Streitfall, die auf die selbständige Tätigkeit entfallenden Aufwendungen bis zum Höchstbetrag i. H. v. 1.250 € abgezogen werden.

 

1.3 Bilanzsteuerrecht 


Rückstellungen für ein Aktienoptionsprogramm
Eine AG kann Rückstellungen für Verbindlichkeiten aus einem Aktienoptionsprogramm zugunsten von leitenden Mitarbeitern nicht bilden, wenn die Optionen nur ausgeübt werden können, falls der Verkehrswert der Aktien zum Ausübungszeitpunkt einen bestimmten Betrag (hier: 10 % des Ausübungspreises) übersteigt und/oder wenn das Ausübungsrecht davon abhängt, dass es in der Zukunft zu einem Verkauf des Unternehmens oder einem Börsengang kommt. Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines dieser Ereignisse ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
BFH  v. 15.03.2017, I R 11/15

Hinweis:
Gem. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist.
Die Klägerin gab in den Streitjahren Aktienoptionen an Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter aus. Die Verpflichtung der Klägerin war davon abhängig, dass der Verkehrswert der Aktien zum Ausübungszeitpunkt der Option einen bestimmten Betrag überschreitet (hier: 10% des Ausübungspreises). Außerdem war das Optionsrecht der Mitarbeiter davon abhängig, dass es in der Zukunft zu einem Verkauf des Unternehmens oder einem Börsengang kommt. Die Optionsbedingungen sahen u.a. ein Ersetzungsrecht vor, d.h. nach Ausübung einer Option kann die Klägerin nach eigenem Ermessen festlegen, dass statt der Ausgabe von Options-Aktien ein deren Verkehrswert entsprechender Barbetrag abzüglich des Ausübungspreises gezahlt wird. Die Klägerin bildete in den Streitjahren Rückstellungen für das Aktienoptionsprogramm.

Der BFH hat entschieden, dass für das Aktienoptionsprogramm keine Rückstellungen gebildet werden konnten.
Die Ausgabe von Aktienoptionen an Mitarbeiter durch eine AG im Rahmen eines Aktienoptionsplans, der mit einer bedingten Kapitalerhöhung verbunden ist, führt nicht zu einem gewinnwirksamen Personalaufwand; auch ist im Hinblick auf die künftige Ausgabe neuer Aktien mangels gegenwärtiger wirtschaftlicher Belastung kein Raum für die Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung. Die Rückstellungsbildung hinsichtlich der Ansprüche der Optionsberechtigten auf Barausgleich scheitert daran, dass die Verbindlichkeiten zu den Bilanzstichtagen der Streitjahre weder rechtlich entstanden noch wirtschaftlich verursacht waren. Die Verbindlichkeiten der AG auf Barausgleich an jene Optionsberechtigten, die zu den Bilanzstichtagen in den Diensten der AG gestanden haben, waren zu diesen Zeitpunkten noch nicht rechtlich entstanden. Zwar können Rückstellungen auch für am Bilanzstichtag dem Grunde nach noch nicht entstandene Verbindlichkeiten gebildet werden, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich verursacht sind. Auch dies war hier indessen nicht der Fall.

2. Verwaltungsanweisungen


2.1 Umsatzsteuer

Verzicht auf Steuerbefreiung und Rücknahme des Verzichts

Das BMF hat zur zeitlichen Grenze für die Erklärung des Verzichts auf die Steuerbefreiung und die Rücknahme des Verzichts Stellung genommen.
BMF v. 02.08.2017

Hinweis:
Mit Urteilen v. 19.12.2013, V R 6/12 und V R 7/12, hat der BFH entschieden, dass die Rücknahme des Verzichts auf Steuerbefreiungen nach § 9 UStG möglich ist, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder auf Grund eines Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164 AO noch änderbar ist. Der Verzicht und sein Rückgängigmachen als actus contrarius sind mit Blick auf die zeitlichen Grenzen ihres Ausübens gleich zu behandeln. Mit Urteil v. 21.10.2015, XI R 40/13, hat der BFH ausgeführt, dass der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung eines Grundstücks (außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens) nach Maßgabe des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG nur in dem dieser Grundstückslieferung zu Grunde liegenden notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden kann und dass ein späterer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung unwirksam ist, auch wenn er notariell beurkundet wird. Wegen dieser zeitlich bindenden Beschränkung der Optionsausübung auf den ursprünglich notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag bleibt auch die Rücknahme des Verzichts auf diesen Zeitpunkt begrenzt.
Das BMF hat den UStAE angepasst und wendet die BFH-Rechtsprechung grundsätzlich in allen offenen Fällen an.
Beruft sich der Unternehmer auf für ihn günstigere Verwaltungsanweisungen im BMF-Schreiben vom 31.03.2004, wird die Wirksamkeit der Option in Fällen von notariellen Vertragsergänzungen oder -änderungen für Erklärungen nach dem 31.03.2004 bis zum 31.10.2010 nicht beanstandet. Für Zeiträume ab dem 01.11.2010 kommt auf Grund des BMF-Schreibens vom 01.10.2010 ein Vertrauensschutz in Fällen von notariellen Vertragsergänzungen oder -änderungen noch bis zur formellen Bestandskraft der betreffenden Jahressteuerfestsetzung in Betracht, wenn die Erklärungen vor dem 01.01.2018 abgegeben wurden.

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