Rechtsprechung KW 20-2017

1. Verfahrensrecht

Zur Gemeinnützigkeit der Förderung des Turnierbridge

Turnierbridge ist kein Sport i.S. des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 21 AO.

Turnierbridge wird auch nicht von den in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 23 AO genannten sog. privilegierten Freizeitbeschäftigungen umfasst.

BFH  v. 09.02.2017, V R 69/14 u. V R 70/15

Hinweis:

Wer als gemeinnützig anerkannt ist, ist grds. von der Körperschaftsteuer befreit. Dabei sind die als gemeinnützig anerkannten Zwecke, zu denen auch Sport gehört, in § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 25 AO abschließend aufgezählt. Hiervon nicht umfasste Zwecke können aber gem. § 52 Abs. 2 S. 2 AO für gemeinnützig erklärt werden, wenn durch sie die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos gefördert wird.

Geklagt hatte ein Dachverband von Bridge-Vereinen in der Bundesrepublik Deutschland, der die Interessen des deutschen Bridge auf nationaler und internationaler Ebene vertritt und für die Organisation und Reglementierung des nationalen und internationalen Wettbewerbsbetriebs sowie die Veranstaltung nationaler und internationaler Wettbewerbe zuständig ist.

Der BFH hat entscheiden, dass Turnierbridge als gemeinnützig anzuerkennen ist.

Zwar ist Turnierbridge kein Sport und wird auch nicht von den in § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 23 AO genannten sog. privilegierten Freizeitbeschäftigungen umfasst. Wie Schach, das als Sport gilt, fördert Turnierbridge jedoch die Allgemeinheit. Deshalb hat der BFH das für den Kläger zuständige Landes-Finanzministerium verpflichtet, Turnierbridge als gemeinnützig anzuerkennen.




2. Einkommensteuer

Übertragung von Anteilen an geschlossenen Immobilienfonds

Überträgt der Steuerpflichtige einen fremd finanzierten Anteil an einem geschlossenen Immobilienfonds in Erfüllung einer Vergleichsvereinbarung auf eine von dem finanzierenden Kreditinstitut benannte Erwerbergesellschaft und verzichtet das Kreditinstitut im Gegenzug teilweise auf die Rückzahlung des restlichen Darlehens, kann ein privates Veräußerungsgeschäft vorliegen.

BFH v. 31.01.2017, IX R 26/16

Hinweis:

Die Rückabwicklung eines Anschaffungsgeschäfts ist nicht als Veräußerung i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzusehen. Die erstatteten Schuldzinsen und sonstigen Werbungskosten sind im Jahr der Zahlung als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung anzusetzen. Die Herausgabe der Mieteinnahmen führt zu negativen Einnahmen. Die Rückzahlung von Anschaffungskosten führt insoweit zum Ansatz von negativen Werbungskosten, als dass AfA in den Vorjahren berücksichtigt wurde, vgl. Verfügung BayLfSt v. 16.07.2008, S 2256.1.1-1/3 St 32/St 33.

Die Kläger beteiligten sich 1992 mit drei Anteilen an einer Fonds GbR. Die Anschaffungskosten der Beteiligung finanzierten sie in vollem Umfang durch die Aufnahme eines Bankdarlehens. Aus der Beteiligung erzielten die Kläger Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die an die Bank geleisteten Schuldzinsen sowie die AfA auf die von der GbR vermieteten Gebäude brachten sie als Werbungskosten in Abzug. Im Oktober 2010 widerriefen die Kläger ihre Willenserklärungen im Zusammenhang mit dem Abschluss des Darlehensvertrags und nahmen die Bank auf Schadensersatz wegen der Prospekthaftung in Anspruch. Im Februar 2011 schlossen die Kläger einen außergerichtlichen Vergleich, demzufolge die Kläger eine Zahlung an die Bank leisteten und ihre Gesellschaftsanteile an eine von der Bank benannte GmbH abtraten. Im Rahmen einer Verhältnisrechnung behandelte das FA den Darlehensverzicht als teilweise Rückerstattung von Schuldzinsen und als Minderung der AfA-Bemessungsgrundlage. Die Kläger gingen hingegen insgesamt von einer nicht steuerbaren Veräußerung aus, da die 10-jährige Spekulationsfrist bereits abgelaufen war.

Der BFH hat entschieden, dass es sich bei der Übertragung der Anteile an dem geschlossenen Immobilienfonds um eine nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht steuerbare Veräußerung handelte.

Die Kläger haben im Vergleich sowohl die Beteiligung an der GbR als auch das (streitige) Darlehensverhältnis zunächst in seiner rechtlichen Existenz zunächst bestehen lassen und auch mit Wirkung für die Zukunft bestätigt. Das FG hat fehlerhaft angenommen, dass der teilweise Verzicht der Bank auf die Darlehensrückzahlung bei den Klägern zur Erstattung geleisteter Schuldzinsen und zum Rückfluss von Werbungskosten geführt habe und deshalb als Einnahme gem. § 21 EStG steuerbar sei. Die von den Klägern erworbene Beteiligung an der GbR ist nicht rückabgewickelt, sondern an die GmbH übertragen worden. Auch das im Vergleichswege beendete Darlehen ist nicht rückabgewickelt worden. Sodann haben die Kläger eine Einmalzahlung geleistet und ihre Anteile auf die GmbH übertragen. 

Zum Vorliegen eines Steuerstundungsmodells i.S. des § 15b EStG

Für die Annahme eines Steuerstundungsmodells i.S. des § 15b Abs. 1 EStG ist Voraussetzung, dass auf ein vorgefertigtes Konzept i.S. des § 15b Abs. 2 S. 2 EStG zurückgegriffen wird. Das bloße Aufgreifen einer bekannten Gestaltungsidee führt nicht ohne Weiteres zur Annahme eines Steuerstundungsmodells.

Das vorgefertigte Konzept muss von einer vom Steuerpflichtigen verschiedenen Person (Anbieter/Initiator) erstellt worden sein. Charakteristisch ist insoweit die Passivität des Investors/Anlegers.

Setzt der Investor/Anleger eine von ihm selbst oder dem in seinem Auftrag tätigen Berater entwickelte oder modifizierte und individuell angepasste Investition um, liegt kein vorgefertigtes Konzept vor.

Beruhen Investitionen nicht auf einem vorgefertigten Konzept, sondern auf einer individuellen Gestaltung, so sind sie weder von § 15b EStG erfasst, noch als vom Gesetz missbilligte Gestaltung i.S. des § 42 Abs. 1 AO zur Vermeidung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG anzusehen.

BFH v. 17.01.2017, VIII R 7/13

Hinweis:

Nach § 15b Abs. 1 S. 1 EStG dürfen Verluste im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch nach § 15b Abs. 1 S. 2 EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielt. Der nach § 15b Abs. 1 EStG nicht ausgleichsfähige Verlust ist jährlich gesondert festzustellen (§ 15b Abs. 4 S. 1 EStG).

Im Urteilsfall hatte die Steuerpflichtige über die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft eine zu 100 % fremdfinanzierte Inhaberschuldverschreibung mit indexbezogener Bonuszinsabrede erworben. Sie hatte hierzu einen Rechtsanwalt beauftragt, der Kontakt zu verschiedenen Kreditinstituten aufnahm, Berechnungen zur Vorteilhaftigkeit einer entsprechenden Investition erstellte, konkrete Verhandlungen über die Konditionen der Schuldverschreibung und des der Finanzierung dienenden Darlehens führte und deren Ausgestaltung unter Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen und steuerlichen Belange der Steuerpflichtigen abstimmte und auch die Gründung der vermögensverwaltenden Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG (der Klägerin) übernahm. Die Zahlung der Darlehenszinsen und des Disagios führte im Streitjahr 2006 zu einem erheblichen Verlust und bei der von der Klägerin angestrebten uneingeschränkten Verlustverrechnung zu einem entsprechenden Steuerstundungseffekt.

Der BFH hat  entschieden, dass die Voraussetzungen für ein Steuerstundungsmodell gem. § 15b EStG nicht vorliegen.

Für die Annahme eines Steuerstundungsmodells genügt es nach Ansicht des BFH nicht, dass eine rechtliche Gestaltung vorliegt, die auf steuerliche Vorteile durch Verlustabzug/-verrechnung ausgelegt ist und ohne die Möglichkeit einer (sofortigen) Verlustverrechnung nicht gewählt worden wäre.

Voraussetzung ist stets die Nutzung eines vorgefertigten Konzeptes, was bedeute, dass eine von einem Anbieter abstrakt entwickelte Investitionskonzeption am Markt zur Verfügung steht, auf die der Anleger „nur“ noch zugreifen muss. Hieran fehlt es, wenn der Anleger - wie im Streitfall - eine von ihm selbst bzw. seinem Berater entwickelte und individuell angepasste Investition tätigt. Beruhen Investitionen nicht auf einem vorgefertigten Konzept, sondern auf einer individuellen Gestaltung, so sind sie weder von § 15b EStG erfasst, noch als vom Gesetz missbilligte Gestaltung i. S. d. § 42 Abs. 1 AO zur Vermeidung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG anzusehen.





3. Körperschaftsteuer

Verlustabzugsbeschränkung des § 8c KStG in Teilen verfassungswidrig

§ 8c S. 1 KStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 v. 14.08.2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 1912) sowie § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen vom 12.08.2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 1672) und den nachfolgenden Fassungen bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften vom 20.12.2016 (Bundesgesetzblatt I Seite 2998) sind mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit bei der unmittelbaren Übertragung innerhalb von fünf Jahren von mehr als 25 Prozent des gezeichneten Kapitals an einer Kapitalgesellschaft an einen Erwerber (schädlicher Beteiligungserwerb) insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar sind.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum 01.01. 2008 eine Neuregelung zu treffen.

Sollte der Gesetzgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommen, tritt am 01.01.2019 im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit rückwirkend auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens die Nichtigkeit von § 8c S. 1 und § 8c Abs. 1 S. 1 KStG ein.

BVerfG v. 29.03.2017, 2 BvL 6/11

Hinweis:

Werden innerhalb von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals an einer Kapitalgesellschaft übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), kann die Kapitalgesellschaft die bis dahin nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte nicht mehr abziehen, soweit sie rechnerisch auf den übertragenen Anteil entfallen (§ 8c S. 1 KStG).

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine im Jahr 2006 gegründete Kapitalgesellschaft mit zwei Gesellschaftern. Die Geschäftsjahre 2006 und 2007 schloss die Gesellschaft jeweils mit einem Verlust ab. Der festgestellte Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2007 betrug 594.769 €. Im Jahr 2008 erwirtschaftete die Gesellschaft einen Gewinn, bevor sie am Ende dieses Jahres wegen der Kündigung eines Kooperationspartners ihre Liquidation beschloss. Während ihrer Tätigkeit zwischen 2006 und 2008 erlitt die Gesellschaft einen Gesamtverlust von 588,24 €. Anfang 2008 hatte einer der beiden Gesellschafter aufgrund der Befürchtung, dass wegen einer gegen ihn gerichteten Schadensersatzforderung in seinen Geschäftsanteil an der Klägerin vollstreckt werden könnte, diesen Anteil an einen Dritten übertragen. Deshalb kürzte das Finanzamt bei der Körperschaftsteuerveranlagung der Gesellschaft für 2008 gem. § 8c S. 1 KStG die zum 31.12.2007 verbleibenden Verluste um den prozentual auf diesen Gesellschafter entfallenden Anteil und setzte die Körperschaftsteuer für das Jahr 2008 in Höhe von 43.085 € fest. Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren beim Finanzgericht Hamburg erhobenen Klage berief sich die Klägerin auf die Verfassungswidrigkeit von § 8c KStG. Das Finanzgericht Hamburg hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 8c S. 1 KStG zur Entscheidung vorgelegt.

Das BVerfG hat entschieden, dass die Regelung des § 8c S. 1 KStG a.F. und auch die Regelung des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG n.F. verfassungswidrig sind.

§ 8c S. 1 KStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit bei der unmittelbaren Übertragung von mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals an einer Kapitalgesellschaft an einen Erwerber (schädlicher Beteiligungserwerb) insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar sind.

§ 8c S. 1 KStG behandelt Kapitalgesellschaften hinsichtlich der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte unterschiedlich je nachdem, ob ein schädlicher Beteiligungserwerb vorliegt oder nicht. Die nicht genutzten Verluste gehen anteilig unter, obwohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft durch die bloße Anteilsübertragung nicht verändert wird. Für diese Ungleichbehandlung fehlt es an einem sachlich einleuchtenden Grund. Zwar ist das Ziel der Bekämpfung von unerwünschten Steuergestaltungen, insbesondere des Handels mit vortragsfähigen Verlusten (sogenannter Mantelkauf), ein legitimer Zweck, der Ungleichbehandlungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen kann. Allerdings sind die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten, wenn zur Erfassung solcher Gestaltungen allein an die Übertragung eines Anteils von mehr als 25 % angeknüpft wird. Dieser Umstand indiziert für sich genommen nicht eine missbräuchliche Gestaltung, weil es für die Übertragung einer derartigen Beteiligung an einer Verlustgesellschaft vielfältige Gründe geben kann, die nicht regelmäßig darin bestehen, die Verluste für ein anderes Unternehmen des neuen Anteilseigners nutzbar zu machen. Die Gründe, die zur Verfassungswidrigkeit von § 8c S. 1 KStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 führen, treffen auf die damit wortlautidentischen nachfolgenden Fassungen von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG bis zum Inkrafttreten des mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften vom 20.12.2016 eingefügten § 8d KStG ebenso zu.

Ob durch Einführung von § 8d KStG mit Wirkung vom 01.01.2016 der Anwendungsbereich von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in einer Weise reduziert worden ist, dass die Norm nunmehr den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG genügt, bedarf gesonderter Betrachtung. Sie ist deshalb nicht mehr ohne Weiteres aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar wie vor dem Inkrafttreten von § 8d KStG, so dass eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung über diesen Zeitpunkt hinaus nicht in Betracht kommt.
 

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